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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Politische Briefe.

der jeweiligen Besitzer vorzunehmen. Es fehlt nur noch der Vorschlag, eine
Art Docks für zinstragende Papiere anzulegen, wo die Besitzer nnr hineingelassen
werden, um deu Kupon abzuschneiden und dabei die Steuer zu entrichten. Wenn
freilich jemand ausländische Papiere im Auslande deponirte und sich die Zinsen
schicken ließe, dagegen bliebe nichts übrig, als bei ausländischen Geldsendungen
Älteste über Ursprung und Zweck vorzuschreiben und die Angaben zu kontroliren.

Es ist ein gefährliches Ding mit dem Dilettantismus. Er überrascht uns
sogleich mit einem noch schrecklicheren Mittel, das ist die sogenannte Fnssivn
oder Selbstangnbe des Besitzes und Einkommens. Man hat es mit dieser
Fashion zu verschiedenen Zeiten und um verschiedenen Orten versucht. Bewahrt
hat sie sich nur und bcwühreu kann sie sich uur, nicht als Selbstangabe des
Vermögens, sondern als Selbstbestimmung des Stcuerbeitrages, wo ein herrschender
Stand ein Gemeinwesen sich zur Ehre und zum Gewinn erhält und regiert.
Alle andern Fassionen reißen der private" und öffentlichen Moral eine von
Tag zu Tag sich erweiternde Wunde. Wenn sie über den Umfang der Land¬
schaften hinaus, wo sie jetzt besteht und wo ihr Schade sich verbirgt, aus das
ganze Reich ausgedehnt wird, so kann man im Stil des Antonius prophezeien:
Die deutsche Moral, wehklagend ihrer Wunde, schreit zum Himmel ob der Flut
von Lüge und Meineid, die sich dnrch das ganze Leben wälzt. Das ist umso-
weniger übertrieben, als niemand seinen Besitz anf Heller und Pfennig angeben.
Aktiven und Passiver, Gewisses und Ungewisses genau gegeneinander abwägen
kann. Die Irrungen verschlagen nichts für die Statistik, welche Jrrtnmsgrenzen
allen ihren Angaben hinzusetzt, aber sie verschlagen sehr viel für die Moral.

Will man das fundirte Einkommen, vorausgesetzt, man findet es, nicht rein
nach den Objekten, sondern mit Rücksicht auf die Gesnmmtlage des Eingeschätzten
besteuern, so stößt man auf Fragen wie die folgenden: Wo bedeutet das zins¬
tragende Papier mehr, haufenweise als Reservefonds eines großen Handelshauses,
dein aber schon die Passiver über den Kopf wachsen; als Besitz eines Beamten,
der uur von seinem Gehalte lebt, aber von den Gläubigern seines Sohnes be¬
stürmt wird; als Notpfennig der gerade den täglichen Unterhalt erwerbenden
^twe; als zunehmende Ersparnis eines soliden Dienstboten? Am Ende muß
Man fügen, daß die wirtschaftliche Lage des letzteren die gesundeste und daher
^uerfähigste ist, und darnach den der Rente zu entnehmenden Prozentsatz be¬
sessen.

Die Besteuerung des fundirten Einkommens, welche Fürst Bismarck ge-
""int hat, ist zu deuten als Selbstbestimmung des Stcuerbeitrages derjenigen
Leute, deren Wohlstand oder Reichtum in Lebensweise und sichtbaren Objekten,
"l Dienerschaft, Wagen, Palästen, Gärten n. s. w. vor Augen liegt.

Der Liberalismus, der mit der Höherbestenernng des fundirten Einkommens
in viel weiteren Grenzen zum Teil unter dein Bann jener dilettantischen An¬
sichten stehen mag. hat endlich zur Befürwortung jener Besteuerung ein poli-


GroiizlwN'n IV. 1882, 2
Politische Briefe.

der jeweiligen Besitzer vorzunehmen. Es fehlt nur noch der Vorschlag, eine
Art Docks für zinstragende Papiere anzulegen, wo die Besitzer nnr hineingelassen
werden, um deu Kupon abzuschneiden und dabei die Steuer zu entrichten. Wenn
freilich jemand ausländische Papiere im Auslande deponirte und sich die Zinsen
schicken ließe, dagegen bliebe nichts übrig, als bei ausländischen Geldsendungen
Älteste über Ursprung und Zweck vorzuschreiben und die Angaben zu kontroliren.

Es ist ein gefährliches Ding mit dem Dilettantismus. Er überrascht uns
sogleich mit einem noch schrecklicheren Mittel, das ist die sogenannte Fnssivn
oder Selbstangnbe des Besitzes und Einkommens. Man hat es mit dieser
Fashion zu verschiedenen Zeiten und um verschiedenen Orten versucht. Bewahrt
hat sie sich nur und bcwühreu kann sie sich uur, nicht als Selbstangabe des
Vermögens, sondern als Selbstbestimmung des Stcuerbeitrages, wo ein herrschender
Stand ein Gemeinwesen sich zur Ehre und zum Gewinn erhält und regiert.
Alle andern Fassionen reißen der private» und öffentlichen Moral eine von
Tag zu Tag sich erweiternde Wunde. Wenn sie über den Umfang der Land¬
schaften hinaus, wo sie jetzt besteht und wo ihr Schade sich verbirgt, aus das
ganze Reich ausgedehnt wird, so kann man im Stil des Antonius prophezeien:
Die deutsche Moral, wehklagend ihrer Wunde, schreit zum Himmel ob der Flut
von Lüge und Meineid, die sich dnrch das ganze Leben wälzt. Das ist umso-
weniger übertrieben, als niemand seinen Besitz anf Heller und Pfennig angeben.
Aktiven und Passiver, Gewisses und Ungewisses genau gegeneinander abwägen
kann. Die Irrungen verschlagen nichts für die Statistik, welche Jrrtnmsgrenzen
allen ihren Angaben hinzusetzt, aber sie verschlagen sehr viel für die Moral.

Will man das fundirte Einkommen, vorausgesetzt, man findet es, nicht rein
nach den Objekten, sondern mit Rücksicht auf die Gesnmmtlage des Eingeschätzten
besteuern, so stößt man auf Fragen wie die folgenden: Wo bedeutet das zins¬
tragende Papier mehr, haufenweise als Reservefonds eines großen Handelshauses,
dein aber schon die Passiver über den Kopf wachsen; als Besitz eines Beamten,
der uur von seinem Gehalte lebt, aber von den Gläubigern seines Sohnes be¬
stürmt wird; als Notpfennig der gerade den täglichen Unterhalt erwerbenden
^twe; als zunehmende Ersparnis eines soliden Dienstboten? Am Ende muß
Man fügen, daß die wirtschaftliche Lage des letzteren die gesundeste und daher
^uerfähigste ist, und darnach den der Rente zu entnehmenden Prozentsatz be¬
sessen.

Die Besteuerung des fundirten Einkommens, welche Fürst Bismarck ge-
""int hat, ist zu deuten als Selbstbestimmung des Stcuerbeitrages derjenigen
Leute, deren Wohlstand oder Reichtum in Lebensweise und sichtbaren Objekten,
"l Dienerschaft, Wagen, Palästen, Gärten n. s. w. vor Augen liegt.

Der Liberalismus, der mit der Höherbestenernng des fundirten Einkommens
in viel weiteren Grenzen zum Teil unter dein Bann jener dilettantischen An¬
sichten stehen mag. hat endlich zur Befürwortung jener Besteuerung ein poli-


GroiizlwN'n IV. 1882, 2
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[0013] Politische Briefe. der jeweiligen Besitzer vorzunehmen. Es fehlt nur noch der Vorschlag, eine Art Docks für zinstragende Papiere anzulegen, wo die Besitzer nnr hineingelassen werden, um deu Kupon abzuschneiden und dabei die Steuer zu entrichten. Wenn freilich jemand ausländische Papiere im Auslande deponirte und sich die Zinsen schicken ließe, dagegen bliebe nichts übrig, als bei ausländischen Geldsendungen Älteste über Ursprung und Zweck vorzuschreiben und die Angaben zu kontroliren. Es ist ein gefährliches Ding mit dem Dilettantismus. Er überrascht uns sogleich mit einem noch schrecklicheren Mittel, das ist die sogenannte Fnssivn oder Selbstangnbe des Besitzes und Einkommens. Man hat es mit dieser Fashion zu verschiedenen Zeiten und um verschiedenen Orten versucht. Bewahrt hat sie sich nur und bcwühreu kann sie sich uur, nicht als Selbstangabe des Vermögens, sondern als Selbstbestimmung des Stcuerbeitrages, wo ein herrschender Stand ein Gemeinwesen sich zur Ehre und zum Gewinn erhält und regiert. Alle andern Fassionen reißen der private» und öffentlichen Moral eine von Tag zu Tag sich erweiternde Wunde. Wenn sie über den Umfang der Land¬ schaften hinaus, wo sie jetzt besteht und wo ihr Schade sich verbirgt, aus das ganze Reich ausgedehnt wird, so kann man im Stil des Antonius prophezeien: Die deutsche Moral, wehklagend ihrer Wunde, schreit zum Himmel ob der Flut von Lüge und Meineid, die sich dnrch das ganze Leben wälzt. Das ist umso- weniger übertrieben, als niemand seinen Besitz anf Heller und Pfennig angeben. Aktiven und Passiver, Gewisses und Ungewisses genau gegeneinander abwägen kann. Die Irrungen verschlagen nichts für die Statistik, welche Jrrtnmsgrenzen allen ihren Angaben hinzusetzt, aber sie verschlagen sehr viel für die Moral. Will man das fundirte Einkommen, vorausgesetzt, man findet es, nicht rein nach den Objekten, sondern mit Rücksicht auf die Gesnmmtlage des Eingeschätzten besteuern, so stößt man auf Fragen wie die folgenden: Wo bedeutet das zins¬ tragende Papier mehr, haufenweise als Reservefonds eines großen Handelshauses, dein aber schon die Passiver über den Kopf wachsen; als Besitz eines Beamten, der uur von seinem Gehalte lebt, aber von den Gläubigern seines Sohnes be¬ stürmt wird; als Notpfennig der gerade den täglichen Unterhalt erwerbenden ^twe; als zunehmende Ersparnis eines soliden Dienstboten? Am Ende muß Man fügen, daß die wirtschaftliche Lage des letzteren die gesundeste und daher ^uerfähigste ist, und darnach den der Rente zu entnehmenden Prozentsatz be¬ sessen. Die Besteuerung des fundirten Einkommens, welche Fürst Bismarck ge- ""int hat, ist zu deuten als Selbstbestimmung des Stcuerbeitrages derjenigen Leute, deren Wohlstand oder Reichtum in Lebensweise und sichtbaren Objekten, "l Dienerschaft, Wagen, Palästen, Gärten n. s. w. vor Augen liegt. Der Liberalismus, der mit der Höherbestenernng des fundirten Einkommens in viel weiteren Grenzen zum Teil unter dein Bann jener dilettantischen An¬ sichten stehen mag. hat endlich zur Befürwortung jener Besteuerung ein poli- GroiizlwN'n IV. 1882, 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/13>, abgerufen am 26.05.2024.