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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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enner des Stammbuches selbst ermittelt, die "Studentengeographie" mit philo¬
logischer Akribie mit den betreffenden Blattern des Stammbuches kollatiouirt,
und dabei zeigte sich deun allerdings, daß beide im wesentlichen mit einander
übereinstimmten. Nur bei dem Dorfe Eutritzsch, wo im Stammbuche als ehe¬
maliger lwizxes der "selige Hendel" genannt war, hatte Capieux dafür deu
"seligen Giesle" eingesetzt, weil "niemals ein Hendel in Entritzsch gewesen sei."
Als Dichter aber der oben angeführten klassischen Strophe und als Erfinder
der ganzen "Studentengeographie" hatte sich in dem Stammbuche ein swä.
Avol. Werner genannt; unter der Strophe stand noch der schwungvolle Zusatz:
..Bester Herr Bruder? Dieses sey das Denckmahl der festesten Freundschafft,
welche wir in dieser Zauber Flur in dem schönen Pleis Athen errichteten.
Leipzig d. 20. Novbr. 1770." Hiermit wurde die Untersuchung geschlossen, und
die Vücherkomimssiou berichtete nochmals nach Dresden, worauf Kupfer und
Capieux zu einer Geldstrafe verurteilt wurden.

Die Dörfer, die Goethe in "Dichtung und Wahrheit" als Zielpunkte seiner
Leipziger Spaziergünge nennt, befinden sich natürlich sämmtlich auf der "Studeuten-
i^vgraphie," sämmtlich mit kurzen, für den Neuling lehrreichen Zusätzen. Vou
Nnschwitz heißt es: "Ein gantz angenehmer Ort, man frage die Lohnkutscher
darum, " von Gohlis: "Merseburger---Die nützliche Pflanze der Gelehr¬
samkeit wird hier von den vielen Knoten-Unkraut erhellt. Schade genug--."
Bei den Kohlgarten von Reudnitz ist bemerkt: "Eine immerflüßende Quelle
und Erquikuug grundtriebiger Kuchenmuseu -- Die Caravanen dahin sind be¬
kannt --," beim Rosenthal: "Die schönste Promenade um Leipzig. Freylich
giebt es auch viele moralische Eber darinnen, doch dafür kau das gute Rosenthal
nicht -- --.""

Daß auch der junge Goethe gelegentlich als "grundtriebige Kuchenmuse
nach Reuduitz gepilgert ist, und wie er dort den Kuchenbäcker Hendel -- den
das erwähnte Stammbuch irrtümlich nach Entritzsch versetzt hatte -- in einer
parvdistischeu Ode gefeiert hat, ist allbekannt. Die "Stndentengeographie" zeigt
uun auch, wo das böse Merseburger geschenkt wurde, dem er einen Hauptteil
der Schuld nu heikler schweren Erkrankung in Leipzig zuschob.




enner des Stammbuches selbst ermittelt, die „Studentengeographie" mit philo¬
logischer Akribie mit den betreffenden Blattern des Stammbuches kollatiouirt,
und dabei zeigte sich deun allerdings, daß beide im wesentlichen mit einander
übereinstimmten. Nur bei dem Dorfe Eutritzsch, wo im Stammbuche als ehe¬
maliger lwizxes der „selige Hendel" genannt war, hatte Capieux dafür deu
"seligen Giesle" eingesetzt, weil „niemals ein Hendel in Entritzsch gewesen sei."
Als Dichter aber der oben angeführten klassischen Strophe und als Erfinder
der ganzen „Studentengeographie" hatte sich in dem Stammbuche ein swä.
Avol. Werner genannt; unter der Strophe stand noch der schwungvolle Zusatz:
..Bester Herr Bruder? Dieses sey das Denckmahl der festesten Freundschafft,
welche wir in dieser Zauber Flur in dem schönen Pleis Athen errichteten.
Leipzig d. 20. Novbr. 1770." Hiermit wurde die Untersuchung geschlossen, und
die Vücherkomimssiou berichtete nochmals nach Dresden, worauf Kupfer und
Capieux zu einer Geldstrafe verurteilt wurden.

Die Dörfer, die Goethe in „Dichtung und Wahrheit" als Zielpunkte seiner
Leipziger Spaziergünge nennt, befinden sich natürlich sämmtlich auf der „Studeuten-
i^vgraphie," sämmtlich mit kurzen, für den Neuling lehrreichen Zusätzen. Vou
Nnschwitz heißt es: „Ein gantz angenehmer Ort, man frage die Lohnkutscher
darum, " von Gohlis: „Merseburger---Die nützliche Pflanze der Gelehr¬
samkeit wird hier von den vielen Knoten-Unkraut erhellt. Schade genug--."
Bei den Kohlgarten von Reudnitz ist bemerkt: „Eine immerflüßende Quelle
und Erquikuug grundtriebiger Kuchenmuseu — Die Caravanen dahin sind be¬
kannt --," beim Rosenthal: „Die schönste Promenade um Leipzig. Freylich
giebt es auch viele moralische Eber darinnen, doch dafür kau das gute Rosenthal
nicht — —.""

Daß auch der junge Goethe gelegentlich als „grundtriebige Kuchenmuse
nach Reuduitz gepilgert ist, und wie er dort den Kuchenbäcker Hendel — den
das erwähnte Stammbuch irrtümlich nach Entritzsch versetzt hatte — in einer
parvdistischeu Ode gefeiert hat, ist allbekannt. Die „Stndentengeographie" zeigt
uun auch, wo das böse Merseburger geschenkt wurde, dem er einen Hauptteil
der Schuld nu heikler schweren Erkrankung in Leipzig zuschob.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/135>, abgerufen am 17.06.2024.