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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Klaviermusik seit Robert Schumann.
Von Hermann Krotzschincrr. (Schluß.)

meer der Zahl der Virtuosenkomponisten sind noch I. Winiawski
und I. Wielhorski bemerkenswert, jener dnrch den Enthusiasmus,
in niclchen ihn das Geflatter der eignen Töne zu versetzen scheint,
dieser dnrch die natürlich weiche Stimmung seiner Bagatellen.
Einer der fleißigsten ans dieser Klasse, Rudolph Wilmers, ist
heute total veraltet. Seine Kompositionen sind plump überladen, mattherzig,
haben keinen Geist und kein Ende. Selten, daß man ihn einmal bei einem
vornehmeren Gedanken trifft wie in der Mnäe as Oonoert (or<. 105). Das¬
selbe Schicksal wie Wilmers' Kompositionen haben auch die von Hans Seeling
erfahren, dessen zu ihrer Zeit pikante Harmonien hente jede Spitze eingebüßt
haben. Uns will es hente unbegreiflich erscheinen, wie dieses stumpfe Talent
mit seinen ewigen zweitaktigen Perioden jemals für einen poetischen Kopf gelten
konnte, wie man ihn, der bestenfalls Mendelssohn oder Schumann zitirt, für
originell halten konnte. Littolf, der in der Orchesterkomposition eine Zeit lang
als Revolutionär galt, zeigt sich in seinen virtuosen Salonkompositionen für das
Klavier sehr zahln, schmachtend und mitunter geschmacklos. Nur das Phan¬
tastische scheint ihn wirklich etwas aufzurütteln. Interessant ist z. B. sein Scherzo
(c>x. 115), ein wie ein Irrlicht hin- und hertänzelnder, nirgends faßbarer Satz,
und die Walpurgisnacht, ein wildes und rohes, aber doch von wirklicher Kraft
erfülltes Stück. Leschetizlch steht ans der Grenze des Zulässigen. Einzelne
musikalische wertvolle Züge und ab und zu ein poetischer Brocken verraten, daß
er etwas Gutes könnte.

Einer der besten Komponisten im virtuosen Salonsache ist Theodor Kullack.
Mit seinen Oktavetüden als guter Musiker und Pädagog weit und breit doku-
mentirt, hat er auch in den brillanten Kleinigkeiten, die ab und zu aus seiner
Feder kamen, meist einen Zug von Größe und Noblesse behalten. Er erscheint
wie ein Mann, der den Kindern zu Liebe einmal mit Fangball spielt. Er wirft
aber in Kraft und Übermut ewige Längen weiter als die andern. Einzelne seiner
feinen Salonsachen, wie die v^rmides, Z^IMicI.68, das frische, kecke, launige
l'n'l>ni<! et Lodvi^o, die Kd"d.k?.vrg.Ap gehören zu dein besten der Gattung und
können mit den Werken Hellers verglichen werden. Oft genug allerdings ver¬
fällt auch er der landläufigen Sentimentalität, welche für die Salon- und Thee¬
musik um einmal kanonisch zu sei" scheint.


Die Klaviermusik seit Robert Schumann.
Von Hermann Krotzschincrr. (Schluß.)

meer der Zahl der Virtuosenkomponisten sind noch I. Winiawski
und I. Wielhorski bemerkenswert, jener dnrch den Enthusiasmus,
in niclchen ihn das Geflatter der eignen Töne zu versetzen scheint,
dieser dnrch die natürlich weiche Stimmung seiner Bagatellen.
Einer der fleißigsten ans dieser Klasse, Rudolph Wilmers, ist
heute total veraltet. Seine Kompositionen sind plump überladen, mattherzig,
haben keinen Geist und kein Ende. Selten, daß man ihn einmal bei einem
vornehmeren Gedanken trifft wie in der Mnäe as Oonoert (or<. 105). Das¬
selbe Schicksal wie Wilmers' Kompositionen haben auch die von Hans Seeling
erfahren, dessen zu ihrer Zeit pikante Harmonien hente jede Spitze eingebüßt
haben. Uns will es hente unbegreiflich erscheinen, wie dieses stumpfe Talent
mit seinen ewigen zweitaktigen Perioden jemals für einen poetischen Kopf gelten
konnte, wie man ihn, der bestenfalls Mendelssohn oder Schumann zitirt, für
originell halten konnte. Littolf, der in der Orchesterkomposition eine Zeit lang
als Revolutionär galt, zeigt sich in seinen virtuosen Salonkompositionen für das
Klavier sehr zahln, schmachtend und mitunter geschmacklos. Nur das Phan¬
tastische scheint ihn wirklich etwas aufzurütteln. Interessant ist z. B. sein Scherzo
(c>x. 115), ein wie ein Irrlicht hin- und hertänzelnder, nirgends faßbarer Satz,
und die Walpurgisnacht, ein wildes und rohes, aber doch von wirklicher Kraft
erfülltes Stück. Leschetizlch steht ans der Grenze des Zulässigen. Einzelne
musikalische wertvolle Züge und ab und zu ein poetischer Brocken verraten, daß
er etwas Gutes könnte.

Einer der besten Komponisten im virtuosen Salonsache ist Theodor Kullack.
Mit seinen Oktavetüden als guter Musiker und Pädagog weit und breit doku-
mentirt, hat er auch in den brillanten Kleinigkeiten, die ab und zu aus seiner
Feder kamen, meist einen Zug von Größe und Noblesse behalten. Er erscheint
wie ein Mann, der den Kindern zu Liebe einmal mit Fangball spielt. Er wirft
aber in Kraft und Übermut ewige Längen weiter als die andern. Einzelne seiner
feinen Salonsachen, wie die v^rmides, Z^IMicI.68, das frische, kecke, launige
l'n'l>ni<! et Lodvi^o, die Kd«d.k?.vrg.Ap gehören zu dein besten der Gattung und
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fällt auch er der landläufigen Sentimentalität, welche für die Salon- und Thee¬
musik um einmal kanonisch zu sei« scheint.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/136>, abgerufen am 17.06.2024.