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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Acme und Anno Fischer.

stelln"g, die bei Knut nicht vorkommt und gar nicht vorkommen kann, weil sie
dasselbe bedeutet wie etwa ein hölzernes Eisen oder ein gelbes Birn. Weiß
denn Fischer nicht, daß Kant das Ding an sich i^o^e,^ genannt hat und
Grenzbegrisf? Sind Begriffe nicht Vernnnftformen, und heißt ^vo? nicht Vernunft?

Es würde Kant uicht eingefallen sein, über etwas zu reden, wohin weder
die Fähigkeit anzuschauen uoch zu denken reicht. Aber K. Fischer verwechselt
eben das Denkenmnsfen mit dem Sein. Daß wir zu allem, was wir anschauen
und denken, eine Ursache denken müssen, das ist "ach dein allgemeinen Grundsatz
der Kausalität sicher, aber Gedanken siud uoch keine Dinge, sondern ^o"<^tL^".
Ob voov^so", welche erschlossene Begriffe sind, Existenz haben, das muß von
andern Thatsachen aus erschlossen werden. Die Freiheit z. B. ist theoretisch
ein ovo^/ecvo^ als Idee, aber die Thatsache des Sittengesetzes weist nach, daß
sie wirklich existirt als Bedingung zur Möglichkeit der Moral, das Ding an sich
aber ist ein ovo^tevov ohne das Merkmal der Existenz, welches allein dnrch Em¬
pfindung und Anschauung gegeben werden könnte, also ein völlig leerer Begriff.
Darum kann die Erscheinung niemals den Charakter des Dinges an sich tragen.

Damit kommen wir zur Verteidigung Kants in Betreff jener notwendigen
tiefsinnigen und volle Wahrheit enthaltenden Widerlegung des Idealismus, in
welcher er fast Wort für Wort von K. Fischer mißverstanden ist.

Es handelt sich um die Grundfrage, ob die Dinge anßer uns existiren?
Berkleh hatte gesagt: Sind die Dinge unsre Vorstellungen, so sind sie nicht
anßer uns und existiren nicht unabhängig von uns. Ihr wirkliches Dasein ist
nur ein zusaimuenhängender, in sich konsequenter Schein. Kant war derselbe
Irrtum untergeschoben worden. Ihm kam es daher darauf an, zu zeigen, daß
freilich die Dinge außer uus existiren, obgleich sie von uns vorgestellt werden.
Diesen Beweis führt er dadurch, daß er eine bestimmte Thatsache bringt, welche
nur dadurch erklärlich und möglich ist, daß wir uicht bloß Vorstellungen in uns
haben, sondern wirkliche Dinge außer uns wahrnehmen. Die Thatsache ist im
allgemeinen die, daß innere Erfahrung überhaupt nur durch äußere Erfahrung
möglich ist. Das Denken selbst ist eine Thatsache der innern Erfahrung,
die einzige, die der empirische oder subjektive Idealismus als unbezweifelt
galten läßt. Wir können es unmittelbar im Bewußtsein beobachten als Er¬
scheinung, die in der Zeit abläuft. Aber wir können die Zeit, in der wir
senken, nicht bestimmen, mithin das Denken selbst nicht richtig beobachten, wenn
Mir nicht irgend einen festen Anhalt in der äußern Erfahrung haben. Denn
jede Zeitbestimmung setzt etwas Beharrliches voraus, an dem eine Veränderung
stattfindet. Es sind die Veränderungen der Dinge anßer uns im Runen, welche
d^ Zeit unsers eignen Daseins sixirbar, bestimmbar machen. Also könnten wir
von dein Denken selbst nichts wissen, wenn nicht Dinge außer uus wahr¬
genommen würden. Die neuere Physiologie würde sagen: Das Denken ist un¬
möglich ohne Bethätigung des Stoffwechsels im Gehirn. Wenn dieser Stoff-


Acme und Anno Fischer.

stelln»g, die bei Knut nicht vorkommt und gar nicht vorkommen kann, weil sie
dasselbe bedeutet wie etwa ein hölzernes Eisen oder ein gelbes Birn. Weiß
denn Fischer nicht, daß Kant das Ding an sich i^o^e,^ genannt hat und
Grenzbegrisf? Sind Begriffe nicht Vernnnftformen, und heißt ^vo? nicht Vernunft?

Es würde Kant uicht eingefallen sein, über etwas zu reden, wohin weder
die Fähigkeit anzuschauen uoch zu denken reicht. Aber K. Fischer verwechselt
eben das Denkenmnsfen mit dem Sein. Daß wir zu allem, was wir anschauen
und denken, eine Ursache denken müssen, das ist »ach dein allgemeinen Grundsatz
der Kausalität sicher, aber Gedanken siud uoch keine Dinge, sondern ^o«<^tL^«.
Ob voov^so«, welche erschlossene Begriffe sind, Existenz haben, das muß von
andern Thatsachen aus erschlossen werden. Die Freiheit z. B. ist theoretisch
ein ovo^/ecvo^ als Idee, aber die Thatsache des Sittengesetzes weist nach, daß
sie wirklich existirt als Bedingung zur Möglichkeit der Moral, das Ding an sich
aber ist ein ovo^tevov ohne das Merkmal der Existenz, welches allein dnrch Em¬
pfindung und Anschauung gegeben werden könnte, also ein völlig leerer Begriff.
Darum kann die Erscheinung niemals den Charakter des Dinges an sich tragen.

Damit kommen wir zur Verteidigung Kants in Betreff jener notwendigen
tiefsinnigen und volle Wahrheit enthaltenden Widerlegung des Idealismus, in
welcher er fast Wort für Wort von K. Fischer mißverstanden ist.

Es handelt sich um die Grundfrage, ob die Dinge anßer uns existiren?
Berkleh hatte gesagt: Sind die Dinge unsre Vorstellungen, so sind sie nicht
anßer uns und existiren nicht unabhängig von uns. Ihr wirkliches Dasein ist
nur ein zusaimuenhängender, in sich konsequenter Schein. Kant war derselbe
Irrtum untergeschoben worden. Ihm kam es daher darauf an, zu zeigen, daß
freilich die Dinge außer uus existiren, obgleich sie von uns vorgestellt werden.
Diesen Beweis führt er dadurch, daß er eine bestimmte Thatsache bringt, welche
nur dadurch erklärlich und möglich ist, daß wir uicht bloß Vorstellungen in uns
haben, sondern wirkliche Dinge außer uns wahrnehmen. Die Thatsache ist im
allgemeinen die, daß innere Erfahrung überhaupt nur durch äußere Erfahrung
möglich ist. Das Denken selbst ist eine Thatsache der innern Erfahrung,
die einzige, die der empirische oder subjektive Idealismus als unbezweifelt
galten läßt. Wir können es unmittelbar im Bewußtsein beobachten als Er¬
scheinung, die in der Zeit abläuft. Aber wir können die Zeit, in der wir
senken, nicht bestimmen, mithin das Denken selbst nicht richtig beobachten, wenn
Mir nicht irgend einen festen Anhalt in der äußern Erfahrung haben. Denn
jede Zeitbestimmung setzt etwas Beharrliches voraus, an dem eine Veränderung
stattfindet. Es sind die Veränderungen der Dinge anßer uns im Runen, welche
d^ Zeit unsers eignen Daseins sixirbar, bestimmbar machen. Also könnten wir
von dein Denken selbst nichts wissen, wenn nicht Dinge außer uus wahr¬
genommen würden. Die neuere Physiologie würde sagen: Das Denken ist un¬
möglich ohne Bethätigung des Stoffwechsels im Gehirn. Wenn dieser Stoff-


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[0019] Acme und Anno Fischer. stelln»g, die bei Knut nicht vorkommt und gar nicht vorkommen kann, weil sie dasselbe bedeutet wie etwa ein hölzernes Eisen oder ein gelbes Birn. Weiß denn Fischer nicht, daß Kant das Ding an sich i^o^e,^ genannt hat und Grenzbegrisf? Sind Begriffe nicht Vernnnftformen, und heißt ^vo? nicht Vernunft? Es würde Kant uicht eingefallen sein, über etwas zu reden, wohin weder die Fähigkeit anzuschauen uoch zu denken reicht. Aber K. Fischer verwechselt eben das Denkenmnsfen mit dem Sein. Daß wir zu allem, was wir anschauen und denken, eine Ursache denken müssen, das ist »ach dein allgemeinen Grundsatz der Kausalität sicher, aber Gedanken siud uoch keine Dinge, sondern ^o«<^tL^«. Ob voov^so«, welche erschlossene Begriffe sind, Existenz haben, das muß von andern Thatsachen aus erschlossen werden. Die Freiheit z. B. ist theoretisch ein ovo^/ecvo^ als Idee, aber die Thatsache des Sittengesetzes weist nach, daß sie wirklich existirt als Bedingung zur Möglichkeit der Moral, das Ding an sich aber ist ein ovo^tevov ohne das Merkmal der Existenz, welches allein dnrch Em¬ pfindung und Anschauung gegeben werden könnte, also ein völlig leerer Begriff. Darum kann die Erscheinung niemals den Charakter des Dinges an sich tragen. Damit kommen wir zur Verteidigung Kants in Betreff jener notwendigen tiefsinnigen und volle Wahrheit enthaltenden Widerlegung des Idealismus, in welcher er fast Wort für Wort von K. Fischer mißverstanden ist. Es handelt sich um die Grundfrage, ob die Dinge anßer uns existiren? Berkleh hatte gesagt: Sind die Dinge unsre Vorstellungen, so sind sie nicht anßer uns und existiren nicht unabhängig von uns. Ihr wirkliches Dasein ist nur ein zusaimuenhängender, in sich konsequenter Schein. Kant war derselbe Irrtum untergeschoben worden. Ihm kam es daher darauf an, zu zeigen, daß freilich die Dinge außer uus existiren, obgleich sie von uns vorgestellt werden. Diesen Beweis führt er dadurch, daß er eine bestimmte Thatsache bringt, welche nur dadurch erklärlich und möglich ist, daß wir uicht bloß Vorstellungen in uns haben, sondern wirkliche Dinge außer uns wahrnehmen. Die Thatsache ist im allgemeinen die, daß innere Erfahrung überhaupt nur durch äußere Erfahrung möglich ist. Das Denken selbst ist eine Thatsache der innern Erfahrung, die einzige, die der empirische oder subjektive Idealismus als unbezweifelt galten läßt. Wir können es unmittelbar im Bewußtsein beobachten als Er¬ scheinung, die in der Zeit abläuft. Aber wir können die Zeit, in der wir senken, nicht bestimmen, mithin das Denken selbst nicht richtig beobachten, wenn Mir nicht irgend einen festen Anhalt in der äußern Erfahrung haben. Denn jede Zeitbestimmung setzt etwas Beharrliches voraus, an dem eine Veränderung stattfindet. Es sind die Veränderungen der Dinge anßer uns im Runen, welche d^ Zeit unsers eignen Daseins sixirbar, bestimmbar machen. Also könnten wir von dein Denken selbst nichts wissen, wenn nicht Dinge außer uus wahr¬ genommen würden. Die neuere Physiologie würde sagen: Das Denken ist un¬ möglich ohne Bethätigung des Stoffwechsels im Gehirn. Wenn dieser Stoff-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/19>, abgerufen am 26.05.2024.