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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Epilog zum Parfifcil.

Wege und lasse seine Werke durch sich selbst wirken. Wenn aber er und seine
Apostel in aufdringlichster Weise fortwährend verkünden, das; diese Irrwege die
allein richtigen und zu den höchsten Zielen der Kunst führenden sind, wenn sie
immer von einem Wagnerschen Stile (oder Style!), der doch nur eine Manier
ist, sprechen, dann bedarf es der Abwehr, dann ist man genötigt, auf das Ver¬
zerrte, Krankhafte, Widersinnige, Irrige und Schädliche seiner Bestrebungen
immer wieder zurückzukommen und vor solcher Afterkunst zu warnen.

Freilich ist das mehr oder minder ein vergebliches Unternehmen. Die große
Masse des Publikums, nach neuem immer dürstend und das alte rasch vergessend
und leicht unterschätzend, giebt sich willig jeder neuen Erscheinung hin und wird
stets auf Seite bekämpfter Neuerer stehen. Einen solchen Kampf überlaßt man
dann auch am besten der Zeit, die stets über Echtes und Unechtes gerecht ent¬
scheidet. Bereits finden die Direktionen der größten Theater ein Haar in der
Aufführung Wagnerscher Werke ("Tannhäuser" und "Lohengrin" ausgenommen).
Wenn operistische Bandenführer anf den "Nibelungenring" reisen und Zulauf
erhalten, so ist das nur ein momentaner Erfolg. Die guten Leute kommen,
zahlen und befriedigen die Neugierde. Hüte man sich doch, an die tiefen Wir¬
kungen zu glauben, die dieses Werk überall hervorbringen soll. Allerwärts sind
die Meinungen sehr geteilt; was in den Zeitungen steht, ist meistens Schwindel
und Fälschung. Auch Wollen die wenigsten ehrlich zugeben, daß sie sich von
Äußerlichkeiten haben gefangen nehmen lassen, daß sie enttäuscht siud, daß sie
kein Urteil besitze" und daß sie mit dein großen Hansen stimmen, sei es ans
Eigensinn oder Feigheit. "Tristan und Isolde," "Meistersinger" und "Nibe-
luugmiriug" führt mau wohl ehrenhalber hie und da noch auf größeren stehenden
Bühnen auf, aber das Geschäft lohnt die darauf verwendete Mühe und Arbeit
in keiner Weise, da keins dieser Stücke andauernde Zugkraft besitzt. Was mau
von Vayrenth aus über den massenhaften Besuch der Vorstellungen schrieb, war
erlogen. Das Haus war, mit Ausnahme der letzten Aufführung, nie vollständig
gefüllt; kaum waren je mehr als zwei Drittel der Plätze besetzt, und selbst dieser
müßige Besuch wurde nur erreicht, indem man Freibillete dnrch das ganze Land
hin in Menge verteilte. Wenn trotzdem ein bedeutender Überschuß sich heraus¬
gestellt hat, so ist derselbe nur dem enorme", für Musiker und andre geringe
Leute geradezu unerschwinglichen Eintrittspreise zuzuschreiben. Dreißig Mark für
eine Vorstellung zu fordern, war eine Veutelschueiderei; das, was man sah und
hörte, war mit dem zehnten Teil dieses Betrages mehr als genug bezahlt. Von
Wagnerscher Seite warf mau, als der Besuch sich durchaus uicht heben wollte,
den Vahreuther Gastwirten ihre schwindelhafter Preise vor. Diese aber wiesen
jeden derartigen Vorwurf mit Recht zurück, indem sie einfach den hohen Ein¬
trittspreis als Ursache der vielen leeren Sitze geltend machten.

Die von uns nach dem Wvlzogenschen Leitfaden zusammengestellten Motive,
deren Aufzcihlnng man ohne Anwandlung von Übelkeit kaum lesen kann, dürften


Epilog zum Parfifcil.

Wege und lasse seine Werke durch sich selbst wirken. Wenn aber er und seine
Apostel in aufdringlichster Weise fortwährend verkünden, das; diese Irrwege die
allein richtigen und zu den höchsten Zielen der Kunst führenden sind, wenn sie
immer von einem Wagnerschen Stile (oder Style!), der doch nur eine Manier
ist, sprechen, dann bedarf es der Abwehr, dann ist man genötigt, auf das Ver¬
zerrte, Krankhafte, Widersinnige, Irrige und Schädliche seiner Bestrebungen
immer wieder zurückzukommen und vor solcher Afterkunst zu warnen.

Freilich ist das mehr oder minder ein vergebliches Unternehmen. Die große
Masse des Publikums, nach neuem immer dürstend und das alte rasch vergessend
und leicht unterschätzend, giebt sich willig jeder neuen Erscheinung hin und wird
stets auf Seite bekämpfter Neuerer stehen. Einen solchen Kampf überlaßt man
dann auch am besten der Zeit, die stets über Echtes und Unechtes gerecht ent¬
scheidet. Bereits finden die Direktionen der größten Theater ein Haar in der
Aufführung Wagnerscher Werke („Tannhäuser" und „Lohengrin" ausgenommen).
Wenn operistische Bandenführer anf den „Nibelungenring" reisen und Zulauf
erhalten, so ist das nur ein momentaner Erfolg. Die guten Leute kommen,
zahlen und befriedigen die Neugierde. Hüte man sich doch, an die tiefen Wir¬
kungen zu glauben, die dieses Werk überall hervorbringen soll. Allerwärts sind
die Meinungen sehr geteilt; was in den Zeitungen steht, ist meistens Schwindel
und Fälschung. Auch Wollen die wenigsten ehrlich zugeben, daß sie sich von
Äußerlichkeiten haben gefangen nehmen lassen, daß sie enttäuscht siud, daß sie
kein Urteil besitze« und daß sie mit dein großen Hansen stimmen, sei es ans
Eigensinn oder Feigheit. „Tristan und Isolde," „Meistersinger" und „Nibe-
luugmiriug" führt mau wohl ehrenhalber hie und da noch auf größeren stehenden
Bühnen auf, aber das Geschäft lohnt die darauf verwendete Mühe und Arbeit
in keiner Weise, da keins dieser Stücke andauernde Zugkraft besitzt. Was mau
von Vayrenth aus über den massenhaften Besuch der Vorstellungen schrieb, war
erlogen. Das Haus war, mit Ausnahme der letzten Aufführung, nie vollständig
gefüllt; kaum waren je mehr als zwei Drittel der Plätze besetzt, und selbst dieser
müßige Besuch wurde nur erreicht, indem man Freibillete dnrch das ganze Land
hin in Menge verteilte. Wenn trotzdem ein bedeutender Überschuß sich heraus¬
gestellt hat, so ist derselbe nur dem enorme», für Musiker und andre geringe
Leute geradezu unerschwinglichen Eintrittspreise zuzuschreiben. Dreißig Mark für
eine Vorstellung zu fordern, war eine Veutelschueiderei; das, was man sah und
hörte, war mit dem zehnten Teil dieses Betrages mehr als genug bezahlt. Von
Wagnerscher Seite warf mau, als der Besuch sich durchaus uicht heben wollte,
den Vahreuther Gastwirten ihre schwindelhafter Preise vor. Diese aber wiesen
jeden derartigen Vorwurf mit Recht zurück, indem sie einfach den hohen Ein¬
trittspreis als Ursache der vielen leeren Sitze geltend machten.

Die von uns nach dem Wvlzogenschen Leitfaden zusammengestellten Motive,
deren Aufzcihlnng man ohne Anwandlung von Übelkeit kaum lesen kann, dürften


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[0193] Epilog zum Parfifcil. Wege und lasse seine Werke durch sich selbst wirken. Wenn aber er und seine Apostel in aufdringlichster Weise fortwährend verkünden, das; diese Irrwege die allein richtigen und zu den höchsten Zielen der Kunst führenden sind, wenn sie immer von einem Wagnerschen Stile (oder Style!), der doch nur eine Manier ist, sprechen, dann bedarf es der Abwehr, dann ist man genötigt, auf das Ver¬ zerrte, Krankhafte, Widersinnige, Irrige und Schädliche seiner Bestrebungen immer wieder zurückzukommen und vor solcher Afterkunst zu warnen. Freilich ist das mehr oder minder ein vergebliches Unternehmen. Die große Masse des Publikums, nach neuem immer dürstend und das alte rasch vergessend und leicht unterschätzend, giebt sich willig jeder neuen Erscheinung hin und wird stets auf Seite bekämpfter Neuerer stehen. Einen solchen Kampf überlaßt man dann auch am besten der Zeit, die stets über Echtes und Unechtes gerecht ent¬ scheidet. Bereits finden die Direktionen der größten Theater ein Haar in der Aufführung Wagnerscher Werke („Tannhäuser" und „Lohengrin" ausgenommen). Wenn operistische Bandenführer anf den „Nibelungenring" reisen und Zulauf erhalten, so ist das nur ein momentaner Erfolg. Die guten Leute kommen, zahlen und befriedigen die Neugierde. Hüte man sich doch, an die tiefen Wir¬ kungen zu glauben, die dieses Werk überall hervorbringen soll. Allerwärts sind die Meinungen sehr geteilt; was in den Zeitungen steht, ist meistens Schwindel und Fälschung. Auch Wollen die wenigsten ehrlich zugeben, daß sie sich von Äußerlichkeiten haben gefangen nehmen lassen, daß sie enttäuscht siud, daß sie kein Urteil besitze« und daß sie mit dein großen Hansen stimmen, sei es ans Eigensinn oder Feigheit. „Tristan und Isolde," „Meistersinger" und „Nibe- luugmiriug" führt mau wohl ehrenhalber hie und da noch auf größeren stehenden Bühnen auf, aber das Geschäft lohnt die darauf verwendete Mühe und Arbeit in keiner Weise, da keins dieser Stücke andauernde Zugkraft besitzt. Was mau von Vayrenth aus über den massenhaften Besuch der Vorstellungen schrieb, war erlogen. Das Haus war, mit Ausnahme der letzten Aufführung, nie vollständig gefüllt; kaum waren je mehr als zwei Drittel der Plätze besetzt, und selbst dieser müßige Besuch wurde nur erreicht, indem man Freibillete dnrch das ganze Land hin in Menge verteilte. Wenn trotzdem ein bedeutender Überschuß sich heraus¬ gestellt hat, so ist derselbe nur dem enorme», für Musiker und andre geringe Leute geradezu unerschwinglichen Eintrittspreise zuzuschreiben. Dreißig Mark für eine Vorstellung zu fordern, war eine Veutelschueiderei; das, was man sah und hörte, war mit dem zehnten Teil dieses Betrages mehr als genug bezahlt. Von Wagnerscher Seite warf mau, als der Besuch sich durchaus uicht heben wollte, den Vahreuther Gastwirten ihre schwindelhafter Preise vor. Diese aber wiesen jeden derartigen Vorwurf mit Recht zurück, indem sie einfach den hohen Ein¬ trittspreis als Ursache der vielen leeren Sitze geltend machten. Die von uns nach dem Wvlzogenschen Leitfaden zusammengestellten Motive, deren Aufzcihlnng man ohne Anwandlung von Übelkeit kaum lesen kann, dürften

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/193>, abgerufen am 17.06.2024.