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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Gpilog zum parsifcil.

das "iisinnige Bemühen und die irrtümlichen Voraussetzungen der neuen Kunst-'
richtnng jedermann klar zu macheu imstande sein. Mit Tönen lassen sich be¬
stimmte seelische Vorgänge oder änßere Erscheinungen (gewisse Naturlaute, Vvgel-
stunmeu und dergleichen ausgenommen) nnn einmal nicht darstellen. Ohne ein
erklärendes Wort wird jede musikalische Phrase vieldeutig, wenn uicht überhaupt
ganz zweifelhaft und unverständlich bleiben. Da nun auch vorliegenden Falles
wieder nur Motive das Gerippe eines großen Tvuwerkes bilden, sollte man
wenigstens meinen, daß dieselben rhythmisch prägnant erfunden, scharf gegliedert
und harmonisch und melodisch klar gebildet wären. Welche Täuschung! Meist
sind sie das gerade Gegenteil dessen, was man zu erwarten berechtigt ist. Das
ursprünglich einfache ist, wie alles von Wagner gemodelte, widernatürlich und
krankhaft verzerrt; so gleich das Hauptmotiv der Oper, der Liebesmahlsprnch, der
in eigensinnigen Synkopen und Bindungen so prätentiös sich reckt und ver¬
schwimmt, das; schon sein Auswendiglernen allein zur Mühsal wird. Die
Synkope spielt überhaupt eine aufdringliche, nichts weniger als angenehme Rolle
fast in allen Motiven. Ans dem Knochengerüste, das fest und konsistent sein
sollte, wird dadurch eine gallertartige, dehnbar weiche, verschwimmende Masse,
die dem Rhythmus jeden Halt raubt und die Qual des Hörens verdoppelt.
Mit diesen schlüpfrigen und uugreifbareu rhythmischen Formationen geht eine
geschlechtslose Harmonik Hand in Hand. Man erhält fast nie das Gefühl
einer bestimmten Tonart, sondern treibt steuerlos meist in allen vierundzwanzig
Dur- und Mvllscaleu und unausgesetzt in euharmonischeu Verwechslungen umher.
Das Unbedeutendste wird ans diese Weise ballonhaft aufgebauscht und sieht
wirklich zuletzt uach etwas ans. Zur vollständigen Verwirrung des Hörers aber
führt, daß, abgesehen von der fortwährenden Verlapselung aller Motive, auch
im größern Ganzen alle rhythmischen Elemente in steter Mischung erscheinen.
Gleichzeitig erklingen nicht nnr verschiedene Themen, sondern anch verschiedene
Taktarten, und dabei finden sich häufig im Zusammenklange Viertel-, Achtel-
nnd SechzehntclbeN'eguugeu, Triolen und Sextvlen, punktirte und gerade Noten,
Bindungen und Synkopen. Während man den Motiven lauscht, entschlüpfen
dem Ohre die Harmonien, und während man die Modulationen zu enträtseln sucht,
verliert man den thematischen Faden. Indem sich Wagner an jedes Textwort, an
jede Anspielung anklammert, zerfasert er seine Tonsätze in unendlich viele Splitter,
giebt deswegen, wenn ihn: einzelne geniale Momente, erfrischende Lichtblicke,
überraschende Klänge und oft bezaubernde Effekte auch uicht abzusprechen sind,
nie etwas Befriedigendes, etwas Ganzes. Momentan beginnt man bei glück¬
lichen Ansätzen Wohl immer wieder zu hoffen, daß ein größerer Zug, eine er¬
quicklichere Formation eintreten könne, aber der ferne Lichtschimmer, der aus
dem Jrrsal eiuer dunkeln Hölleuwelt zu leiten versprach, trügt immer wieder.
In das frühere Dunkel zurückgeworfen, stößt mau bei jeder Veweguug deu Kopf
an Zacke" und Vorsprünge. Dem Vordersatze der Wagnerschen Gebilde fehlt


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das »iisinnige Bemühen und die irrtümlichen Voraussetzungen der neuen Kunst-'
richtnng jedermann klar zu macheu imstande sein. Mit Tönen lassen sich be¬
stimmte seelische Vorgänge oder änßere Erscheinungen (gewisse Naturlaute, Vvgel-
stunmeu und dergleichen ausgenommen) nnn einmal nicht darstellen. Ohne ein
erklärendes Wort wird jede musikalische Phrase vieldeutig, wenn uicht überhaupt
ganz zweifelhaft und unverständlich bleiben. Da nun auch vorliegenden Falles
wieder nur Motive das Gerippe eines großen Tvuwerkes bilden, sollte man
wenigstens meinen, daß dieselben rhythmisch prägnant erfunden, scharf gegliedert
und harmonisch und melodisch klar gebildet wären. Welche Täuschung! Meist
sind sie das gerade Gegenteil dessen, was man zu erwarten berechtigt ist. Das
ursprünglich einfache ist, wie alles von Wagner gemodelte, widernatürlich und
krankhaft verzerrt; so gleich das Hauptmotiv der Oper, der Liebesmahlsprnch, der
in eigensinnigen Synkopen und Bindungen so prätentiös sich reckt und ver¬
schwimmt, das; schon sein Auswendiglernen allein zur Mühsal wird. Die
Synkope spielt überhaupt eine aufdringliche, nichts weniger als angenehme Rolle
fast in allen Motiven. Ans dem Knochengerüste, das fest und konsistent sein
sollte, wird dadurch eine gallertartige, dehnbar weiche, verschwimmende Masse,
die dem Rhythmus jeden Halt raubt und die Qual des Hörens verdoppelt.
Mit diesen schlüpfrigen und uugreifbareu rhythmischen Formationen geht eine
geschlechtslose Harmonik Hand in Hand. Man erhält fast nie das Gefühl
einer bestimmten Tonart, sondern treibt steuerlos meist in allen vierundzwanzig
Dur- und Mvllscaleu und unausgesetzt in euharmonischeu Verwechslungen umher.
Das Unbedeutendste wird ans diese Weise ballonhaft aufgebauscht und sieht
wirklich zuletzt uach etwas ans. Zur vollständigen Verwirrung des Hörers aber
führt, daß, abgesehen von der fortwährenden Verlapselung aller Motive, auch
im größern Ganzen alle rhythmischen Elemente in steter Mischung erscheinen.
Gleichzeitig erklingen nicht nnr verschiedene Themen, sondern anch verschiedene
Taktarten, und dabei finden sich häufig im Zusammenklange Viertel-, Achtel-
nnd SechzehntclbeN'eguugeu, Triolen und Sextvlen, punktirte und gerade Noten,
Bindungen und Synkopen. Während man den Motiven lauscht, entschlüpfen
dem Ohre die Harmonien, und während man die Modulationen zu enträtseln sucht,
verliert man den thematischen Faden. Indem sich Wagner an jedes Textwort, an
jede Anspielung anklammert, zerfasert er seine Tonsätze in unendlich viele Splitter,
giebt deswegen, wenn ihn: einzelne geniale Momente, erfrischende Lichtblicke,
überraschende Klänge und oft bezaubernde Effekte auch uicht abzusprechen sind,
nie etwas Befriedigendes, etwas Ganzes. Momentan beginnt man bei glück¬
lichen Ansätzen Wohl immer wieder zu hoffen, daß ein größerer Zug, eine er¬
quicklichere Formation eintreten könne, aber der ferne Lichtschimmer, der aus
dem Jrrsal eiuer dunkeln Hölleuwelt zu leiten versprach, trügt immer wieder.
In das frühere Dunkel zurückgeworfen, stößt mau bei jeder Veweguug deu Kopf
an Zacke» und Vorsprünge. Dem Vordersatze der Wagnerschen Gebilde fehlt


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[0194] Gpilog zum parsifcil. das »iisinnige Bemühen und die irrtümlichen Voraussetzungen der neuen Kunst-' richtnng jedermann klar zu macheu imstande sein. Mit Tönen lassen sich be¬ stimmte seelische Vorgänge oder änßere Erscheinungen (gewisse Naturlaute, Vvgel- stunmeu und dergleichen ausgenommen) nnn einmal nicht darstellen. Ohne ein erklärendes Wort wird jede musikalische Phrase vieldeutig, wenn uicht überhaupt ganz zweifelhaft und unverständlich bleiben. Da nun auch vorliegenden Falles wieder nur Motive das Gerippe eines großen Tvuwerkes bilden, sollte man wenigstens meinen, daß dieselben rhythmisch prägnant erfunden, scharf gegliedert und harmonisch und melodisch klar gebildet wären. Welche Täuschung! Meist sind sie das gerade Gegenteil dessen, was man zu erwarten berechtigt ist. Das ursprünglich einfache ist, wie alles von Wagner gemodelte, widernatürlich und krankhaft verzerrt; so gleich das Hauptmotiv der Oper, der Liebesmahlsprnch, der in eigensinnigen Synkopen und Bindungen so prätentiös sich reckt und ver¬ schwimmt, das; schon sein Auswendiglernen allein zur Mühsal wird. Die Synkope spielt überhaupt eine aufdringliche, nichts weniger als angenehme Rolle fast in allen Motiven. Ans dem Knochengerüste, das fest und konsistent sein sollte, wird dadurch eine gallertartige, dehnbar weiche, verschwimmende Masse, die dem Rhythmus jeden Halt raubt und die Qual des Hörens verdoppelt. Mit diesen schlüpfrigen und uugreifbareu rhythmischen Formationen geht eine geschlechtslose Harmonik Hand in Hand. Man erhält fast nie das Gefühl einer bestimmten Tonart, sondern treibt steuerlos meist in allen vierundzwanzig Dur- und Mvllscaleu und unausgesetzt in euharmonischeu Verwechslungen umher. Das Unbedeutendste wird ans diese Weise ballonhaft aufgebauscht und sieht wirklich zuletzt uach etwas ans. Zur vollständigen Verwirrung des Hörers aber führt, daß, abgesehen von der fortwährenden Verlapselung aller Motive, auch im größern Ganzen alle rhythmischen Elemente in steter Mischung erscheinen. Gleichzeitig erklingen nicht nnr verschiedene Themen, sondern anch verschiedene Taktarten, und dabei finden sich häufig im Zusammenklange Viertel-, Achtel- nnd SechzehntclbeN'eguugeu, Triolen und Sextvlen, punktirte und gerade Noten, Bindungen und Synkopen. Während man den Motiven lauscht, entschlüpfen dem Ohre die Harmonien, und während man die Modulationen zu enträtseln sucht, verliert man den thematischen Faden. Indem sich Wagner an jedes Textwort, an jede Anspielung anklammert, zerfasert er seine Tonsätze in unendlich viele Splitter, giebt deswegen, wenn ihn: einzelne geniale Momente, erfrischende Lichtblicke, überraschende Klänge und oft bezaubernde Effekte auch uicht abzusprechen sind, nie etwas Befriedigendes, etwas Ganzes. Momentan beginnt man bei glück¬ lichen Ansätzen Wohl immer wieder zu hoffen, daß ein größerer Zug, eine er¬ quicklichere Formation eintreten könne, aber der ferne Lichtschimmer, der aus dem Jrrsal eiuer dunkeln Hölleuwelt zu leiten versprach, trügt immer wieder. In das frühere Dunkel zurückgeworfen, stößt mau bei jeder Veweguug deu Kopf an Zacke» und Vorsprünge. Dem Vordersatze der Wagnerschen Gebilde fehlt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/194>, abgerufen am 17.06.2024.