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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Epilog zum Parsifal.

deren so viele schrieb, noch ein in den süßesten Tönen und tiefsten Empfindungen
schweigendes Adagio wie Beethoven, weder ein einem zauberischen Feenreigen
gleichendes Scherzo wie Mendelssohn, noch ein gemütvoll humoristisches Menuett
wie Haydn, hat uns der "Meister" geschrieben. Warum aber gab der große
Orchesterkcnner, der Mann, der jedem Tonwerkzeuge seine geheimsten Laute ab¬
zulauschen wußte, der stundenlange Illustrationen zu theatralischen Handlungen
schrieb, nicht einmal anch eine Symphonie, mit der er sich über Beethoven oder
Schumann Hinansschwang? Der nächste Grund dafür dürfte doch wohl nur in
der Einseitigkeit seiner Begabung zu suchen sein, und darin, daß ihm der feinere
und ausgebildetere Formensinn, den ein solches Werk voraussetzt, vollständig sehlt,
daß ihm ferner die Kunst mangelt, ein prägnantes, einfach gegliedertes und doch
ausdrucksvolles Thema zu bilden und klar, einfach und naturgemäß zu entwickeln,
mit kurzen Worten, daß er nicht imstande ist, einen breitangelegten, gesetzmäßig
konstruirten Bau aufzuführen. Bei dem grenzenlosen Ehrgeize Wagners und
im Hinblick darauf, daß sich mit derartigen Kompositionen auch ganz lukrative
Geschäfte machen ließen, bliebe eine solche Verzichtleistung ganz unerklärlich,
wenn ihm nicht die geistigen Vorbedingungen zu einer derartigen Arbeit fehlten-
Und dieser Tonsetzer, der sich in richtiger Erkenntnis seiner Schwäche wohl
hütet, in größeren selbständigen Orchesterwerken sich zu versuchen, wird nun als
derjenige gepriesen, der dem Orchester eine neue Sprache gelehrt und es zu
seinen vollendetsten Leistungen und höchsten Kundgebungen emporgehoben habe.
Abgesehen davon, daß in jeder Oper der Gesang und eine naturgemäße und
sangbare Melodik stets die erste und wichtigste Rolle spielen muß, und daß gerade
in diesem Kardinalpunkte die Wagnerschen Opern alles zu wünschen übrig
lassen, ist das, was als Inhalt des instrumentalen Teiles hier geboten wird,
wenn auch uicht gerade zusammenhanglos, da ja unausgesetzt die gleichen Grund¬
gedanken sich wiederholen, so doch nur eine sich von jeder Ordnung und Form
loslösende, jeder Textbeziehung sklavisch folgende Tonmalerei. Verstehen kann
man dieselbe nur (d. h. ahnen, was der Komponist mit seinen vagen Motivverkettnngen
beabsichtigt), wenn man mit dein erklärenden Worte in der Hand Takt für Takt
dem Orchester folgen kann; nachempfinden läßt sich eine derartige Musik nnr,
wenn die Stimmung dazu vollständig vorbereitet und ausschließlich auf das vom
Komponisten gewollte und beabsichtigte gerichtet ist. Nach beide" Richtungen
geht der "Meister" hier von falschen Voraussetzungen aus. Die Instrumental¬
musik kann mit absoluter Bestimmtheit keine Empfindung, keine Thatsache, keinen
Vorgang schildern; ebensowenig dürften sich in wünschenswerter Menge stimmnngs-
vvlle Hörer finden lassen, die, wie die Gralsritter, nach Bußen und Kasteiungen,
in Andacht versunken und nach dem himmlischen Gnadenmahle lechzend, dem
Theatertcmpel nahen. Es ist ja richtig, man sollte jedem Kunstgenüsse in vor¬
bereiteter und gehobener Stimmung entgegensehen, aber in dem prosaischen Dasei",
das wir zu führen haben und dem wir uns nun einmal nicht entziehen können,


Epilog zum Parsifal.

deren so viele schrieb, noch ein in den süßesten Tönen und tiefsten Empfindungen
schweigendes Adagio wie Beethoven, weder ein einem zauberischen Feenreigen
gleichendes Scherzo wie Mendelssohn, noch ein gemütvoll humoristisches Menuett
wie Haydn, hat uns der „Meister" geschrieben. Warum aber gab der große
Orchesterkcnner, der Mann, der jedem Tonwerkzeuge seine geheimsten Laute ab¬
zulauschen wußte, der stundenlange Illustrationen zu theatralischen Handlungen
schrieb, nicht einmal anch eine Symphonie, mit der er sich über Beethoven oder
Schumann Hinansschwang? Der nächste Grund dafür dürfte doch wohl nur in
der Einseitigkeit seiner Begabung zu suchen sein, und darin, daß ihm der feinere
und ausgebildetere Formensinn, den ein solches Werk voraussetzt, vollständig sehlt,
daß ihm ferner die Kunst mangelt, ein prägnantes, einfach gegliedertes und doch
ausdrucksvolles Thema zu bilden und klar, einfach und naturgemäß zu entwickeln,
mit kurzen Worten, daß er nicht imstande ist, einen breitangelegten, gesetzmäßig
konstruirten Bau aufzuführen. Bei dem grenzenlosen Ehrgeize Wagners und
im Hinblick darauf, daß sich mit derartigen Kompositionen auch ganz lukrative
Geschäfte machen ließen, bliebe eine solche Verzichtleistung ganz unerklärlich,
wenn ihm nicht die geistigen Vorbedingungen zu einer derartigen Arbeit fehlten-
Und dieser Tonsetzer, der sich in richtiger Erkenntnis seiner Schwäche wohl
hütet, in größeren selbständigen Orchesterwerken sich zu versuchen, wird nun als
derjenige gepriesen, der dem Orchester eine neue Sprache gelehrt und es zu
seinen vollendetsten Leistungen und höchsten Kundgebungen emporgehoben habe.
Abgesehen davon, daß in jeder Oper der Gesang und eine naturgemäße und
sangbare Melodik stets die erste und wichtigste Rolle spielen muß, und daß gerade
in diesem Kardinalpunkte die Wagnerschen Opern alles zu wünschen übrig
lassen, ist das, was als Inhalt des instrumentalen Teiles hier geboten wird,
wenn auch uicht gerade zusammenhanglos, da ja unausgesetzt die gleichen Grund¬
gedanken sich wiederholen, so doch nur eine sich von jeder Ordnung und Form
loslösende, jeder Textbeziehung sklavisch folgende Tonmalerei. Verstehen kann
man dieselbe nur (d. h. ahnen, was der Komponist mit seinen vagen Motivverkettnngen
beabsichtigt), wenn man mit dein erklärenden Worte in der Hand Takt für Takt
dem Orchester folgen kann; nachempfinden läßt sich eine derartige Musik nnr,
wenn die Stimmung dazu vollständig vorbereitet und ausschließlich auf das vom
Komponisten gewollte und beabsichtigte gerichtet ist. Nach beide» Richtungen
geht der „Meister" hier von falschen Voraussetzungen aus. Die Instrumental¬
musik kann mit absoluter Bestimmtheit keine Empfindung, keine Thatsache, keinen
Vorgang schildern; ebensowenig dürften sich in wünschenswerter Menge stimmnngs-
vvlle Hörer finden lassen, die, wie die Gralsritter, nach Bußen und Kasteiungen,
in Andacht versunken und nach dem himmlischen Gnadenmahle lechzend, dem
Theatertcmpel nahen. Es ist ja richtig, man sollte jedem Kunstgenüsse in vor¬
bereiteter und gehobener Stimmung entgegensehen, aber in dem prosaischen Dasei»,
das wir zu führen haben und dem wir uns nun einmal nicht entziehen können,


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[0196] Epilog zum Parsifal. deren so viele schrieb, noch ein in den süßesten Tönen und tiefsten Empfindungen schweigendes Adagio wie Beethoven, weder ein einem zauberischen Feenreigen gleichendes Scherzo wie Mendelssohn, noch ein gemütvoll humoristisches Menuett wie Haydn, hat uns der „Meister" geschrieben. Warum aber gab der große Orchesterkcnner, der Mann, der jedem Tonwerkzeuge seine geheimsten Laute ab¬ zulauschen wußte, der stundenlange Illustrationen zu theatralischen Handlungen schrieb, nicht einmal anch eine Symphonie, mit der er sich über Beethoven oder Schumann Hinansschwang? Der nächste Grund dafür dürfte doch wohl nur in der Einseitigkeit seiner Begabung zu suchen sein, und darin, daß ihm der feinere und ausgebildetere Formensinn, den ein solches Werk voraussetzt, vollständig sehlt, daß ihm ferner die Kunst mangelt, ein prägnantes, einfach gegliedertes und doch ausdrucksvolles Thema zu bilden und klar, einfach und naturgemäß zu entwickeln, mit kurzen Worten, daß er nicht imstande ist, einen breitangelegten, gesetzmäßig konstruirten Bau aufzuführen. Bei dem grenzenlosen Ehrgeize Wagners und im Hinblick darauf, daß sich mit derartigen Kompositionen auch ganz lukrative Geschäfte machen ließen, bliebe eine solche Verzichtleistung ganz unerklärlich, wenn ihm nicht die geistigen Vorbedingungen zu einer derartigen Arbeit fehlten- Und dieser Tonsetzer, der sich in richtiger Erkenntnis seiner Schwäche wohl hütet, in größeren selbständigen Orchesterwerken sich zu versuchen, wird nun als derjenige gepriesen, der dem Orchester eine neue Sprache gelehrt und es zu seinen vollendetsten Leistungen und höchsten Kundgebungen emporgehoben habe. Abgesehen davon, daß in jeder Oper der Gesang und eine naturgemäße und sangbare Melodik stets die erste und wichtigste Rolle spielen muß, und daß gerade in diesem Kardinalpunkte die Wagnerschen Opern alles zu wünschen übrig lassen, ist das, was als Inhalt des instrumentalen Teiles hier geboten wird, wenn auch uicht gerade zusammenhanglos, da ja unausgesetzt die gleichen Grund¬ gedanken sich wiederholen, so doch nur eine sich von jeder Ordnung und Form loslösende, jeder Textbeziehung sklavisch folgende Tonmalerei. Verstehen kann man dieselbe nur (d. h. ahnen, was der Komponist mit seinen vagen Motivverkettnngen beabsichtigt), wenn man mit dein erklärenden Worte in der Hand Takt für Takt dem Orchester folgen kann; nachempfinden läßt sich eine derartige Musik nnr, wenn die Stimmung dazu vollständig vorbereitet und ausschließlich auf das vom Komponisten gewollte und beabsichtigte gerichtet ist. Nach beide» Richtungen geht der „Meister" hier von falschen Voraussetzungen aus. Die Instrumental¬ musik kann mit absoluter Bestimmtheit keine Empfindung, keine Thatsache, keinen Vorgang schildern; ebensowenig dürften sich in wünschenswerter Menge stimmnngs- vvlle Hörer finden lassen, die, wie die Gralsritter, nach Bußen und Kasteiungen, in Andacht versunken und nach dem himmlischen Gnadenmahle lechzend, dem Theatertcmpel nahen. Es ist ja richtig, man sollte jedem Kunstgenüsse in vor¬ bereiteter und gehobener Stimmung entgegensehen, aber in dem prosaischen Dasei», das wir zu führen haben und dem wir uns nun einmal nicht entziehen können,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/196>, abgerufen am 17.06.2024.