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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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"Lpilog zum Parsifcil.

der logische, entsprechende Nachsatz, dem Hauptsatze der Gegensatz. Man findet
sich einem steten Wogen, Drängen, Träumen, Wollen und Nichtkönnen gegen¬
über. Am erquicklichsten sind die mnrschartigcn Sätze (Wagners Märsche zählen
überhaupt zu seinen besten Leistungen), das den Auftritt des Amfvrtas beglei¬
tende Jnstrumentenspiel, das Schwanenidyll, Parsifals kurze Erzählung und die
Verwandlungsmustk im ersten Akte, wenig bedeutend die Vorspiele und in ihrem
Gedankengehalte bis zum letzten mehr und mehr verödend; abscheulich, ein
Wirrsal von Dissonanzen, ist die Verwnndlungsuiusik im dritten Akte. Die
sogenannte Blnmennne, ein wachgehaltenes Tonspiel, das überschwenglich ge¬
priesen wurde, beginnt sehr hoffnungsvoll, zart und mit deu süßesten Klängen;
aber auch hier steht mau sich bald enttäuscht. Stelle man sich einen geschickten
Pianisten vor, der sich an sein Instrument setzt lind mit einem hübschen Motiv
HU spielen beginnt. Er phantasirt, ohne ein Knnstgesetz zu beobachten, mit einer
gewissen Routine, kommt aus dem hundertsten ins tausendste, verliert sich endlich
ganz in seineu Trüumereieu und vergißt, daß er Zuhörer hat. Diese haben
ihm erst mit Vergnügen gelauscht, aber da der Faden seiner Expektorationen
gnr nicht reißen will (eine bei Klavierspielern bekanntlich häufig vorkommende
Erscheinung), ein Ende seiner Duselei uicht abzusehen ist, wünscht man den
Phantasten mit seinem zuletzt abgebrauchter Phrnsenkram endlich dahin, wo der
Pfeffer wächst. In dieser Lage ungefähr findet sich der Hörer auch dieser Szene
gegenüber.

Wagner ist allerdings ein Meister in der Kunst mosaikartiger Zusammen¬
stellung; aber eine Mosaik vermag nie ein Ölgemälde zu ersetzen. Auch im "Par-
sifal" fehlt es uicht an den raffinirtesten Effekten. Leider nutzt sich nichts
schneller ab als Effekte; sie überraschen nnr einmal und verblüffen bei jeder
Wiederkehr. Man darf denselben Effekt in dem gleichen Werke nicht einmal
wiederholt anwenden, was vorliegenden Falles der Wegfall der zweiten Wandel-
dekvratiou beweist. Wir sind hier an dem Punkte angelangt, der in allen Be¬
sprechungen des "Pnrsifal" immer besonders betont wird: bei der selbständigen
Haltung und Führung des Orchesters. Als das größte Verdienst des Wagnerschen
Schaffens rühmt man bekanntlich, daß er den: Jnstrnmentenspiele vorwiegende
^edentnng einräume, daß er dasselbe zu einer Allsdrucksfähigkeit erhoben habe,
die vor ihm kein andrer Tonsetzer zu erreichen gewußt habe. Dieses Lob er¬
scheint umso auffälliger, als der Meister mit Ausnahme seiner Fanstonvertüre
und wenigen Opernouvertüreu, Vor- und Zwischenspielen lind Märschen als Jn-
strumeutalkomponist eigentlich nichts geleistet hat, und auch den genannten Ton-
!"tzen, meist kurzen Stimmungsbildern, eine hervorragende Bedeutung nicht
Zuerkannt werden kann. Das populärste Wnguersche Orchesterwerk, die Tann-
Hanserouvertüre, ist im Grunde nur ein Potpourri, wie z. V. die Zampaouvertüre
und viele andre Opernouvertüreu, als selbständige Jnstruluentnlkomposition also
uur von Mittlerin Werte. Weder ein glanzvoll feuriges Allegro, wie Mozart


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der logische, entsprechende Nachsatz, dem Hauptsatze der Gegensatz. Man findet
sich einem steten Wogen, Drängen, Träumen, Wollen und Nichtkönnen gegen¬
über. Am erquicklichsten sind die mnrschartigcn Sätze (Wagners Märsche zählen
überhaupt zu seinen besten Leistungen), das den Auftritt des Amfvrtas beglei¬
tende Jnstrumentenspiel, das Schwanenidyll, Parsifals kurze Erzählung und die
Verwandlungsmustk im ersten Akte, wenig bedeutend die Vorspiele und in ihrem
Gedankengehalte bis zum letzten mehr und mehr verödend; abscheulich, ein
Wirrsal von Dissonanzen, ist die Verwnndlungsuiusik im dritten Akte. Die
sogenannte Blnmennne, ein wachgehaltenes Tonspiel, das überschwenglich ge¬
priesen wurde, beginnt sehr hoffnungsvoll, zart und mit deu süßesten Klängen;
aber auch hier steht mau sich bald enttäuscht. Stelle man sich einen geschickten
Pianisten vor, der sich an sein Instrument setzt lind mit einem hübschen Motiv
HU spielen beginnt. Er phantasirt, ohne ein Knnstgesetz zu beobachten, mit einer
gewissen Routine, kommt aus dem hundertsten ins tausendste, verliert sich endlich
ganz in seineu Trüumereieu und vergißt, daß er Zuhörer hat. Diese haben
ihm erst mit Vergnügen gelauscht, aber da der Faden seiner Expektorationen
gnr nicht reißen will (eine bei Klavierspielern bekanntlich häufig vorkommende
Erscheinung), ein Ende seiner Duselei uicht abzusehen ist, wünscht man den
Phantasten mit seinem zuletzt abgebrauchter Phrnsenkram endlich dahin, wo der
Pfeffer wächst. In dieser Lage ungefähr findet sich der Hörer auch dieser Szene
gegenüber.

Wagner ist allerdings ein Meister in der Kunst mosaikartiger Zusammen¬
stellung; aber eine Mosaik vermag nie ein Ölgemälde zu ersetzen. Auch im „Par-
sifal" fehlt es uicht an den raffinirtesten Effekten. Leider nutzt sich nichts
schneller ab als Effekte; sie überraschen nnr einmal und verblüffen bei jeder
Wiederkehr. Man darf denselben Effekt in dem gleichen Werke nicht einmal
wiederholt anwenden, was vorliegenden Falles der Wegfall der zweiten Wandel-
dekvratiou beweist. Wir sind hier an dem Punkte angelangt, der in allen Be¬
sprechungen des „Pnrsifal" immer besonders betont wird: bei der selbständigen
Haltung und Führung des Orchesters. Als das größte Verdienst des Wagnerschen
Schaffens rühmt man bekanntlich, daß er den: Jnstrnmentenspiele vorwiegende
^edentnng einräume, daß er dasselbe zu einer Allsdrucksfähigkeit erhoben habe,
die vor ihm kein andrer Tonsetzer zu erreichen gewußt habe. Dieses Lob er¬
scheint umso auffälliger, als der Meister mit Ausnahme seiner Fanstonvertüre
und wenigen Opernouvertüreu, Vor- und Zwischenspielen lind Märschen als Jn-
strumeutalkomponist eigentlich nichts geleistet hat, und auch den genannten Ton-
!"tzen, meist kurzen Stimmungsbildern, eine hervorragende Bedeutung nicht
Zuerkannt werden kann. Das populärste Wnguersche Orchesterwerk, die Tann-
Hanserouvertüre, ist im Grunde nur ein Potpourri, wie z. V. die Zampaouvertüre
und viele andre Opernouvertüreu, als selbständige Jnstruluentnlkomposition also
uur von Mittlerin Werte. Weder ein glanzvoll feuriges Allegro, wie Mozart


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[0195] «Lpilog zum Parsifcil. der logische, entsprechende Nachsatz, dem Hauptsatze der Gegensatz. Man findet sich einem steten Wogen, Drängen, Träumen, Wollen und Nichtkönnen gegen¬ über. Am erquicklichsten sind die mnrschartigcn Sätze (Wagners Märsche zählen überhaupt zu seinen besten Leistungen), das den Auftritt des Amfvrtas beglei¬ tende Jnstrumentenspiel, das Schwanenidyll, Parsifals kurze Erzählung und die Verwandlungsmustk im ersten Akte, wenig bedeutend die Vorspiele und in ihrem Gedankengehalte bis zum letzten mehr und mehr verödend; abscheulich, ein Wirrsal von Dissonanzen, ist die Verwnndlungsuiusik im dritten Akte. Die sogenannte Blnmennne, ein wachgehaltenes Tonspiel, das überschwenglich ge¬ priesen wurde, beginnt sehr hoffnungsvoll, zart und mit deu süßesten Klängen; aber auch hier steht mau sich bald enttäuscht. Stelle man sich einen geschickten Pianisten vor, der sich an sein Instrument setzt lind mit einem hübschen Motiv HU spielen beginnt. Er phantasirt, ohne ein Knnstgesetz zu beobachten, mit einer gewissen Routine, kommt aus dem hundertsten ins tausendste, verliert sich endlich ganz in seineu Trüumereieu und vergißt, daß er Zuhörer hat. Diese haben ihm erst mit Vergnügen gelauscht, aber da der Faden seiner Expektorationen gnr nicht reißen will (eine bei Klavierspielern bekanntlich häufig vorkommende Erscheinung), ein Ende seiner Duselei uicht abzusehen ist, wünscht man den Phantasten mit seinem zuletzt abgebrauchter Phrnsenkram endlich dahin, wo der Pfeffer wächst. In dieser Lage ungefähr findet sich der Hörer auch dieser Szene gegenüber. Wagner ist allerdings ein Meister in der Kunst mosaikartiger Zusammen¬ stellung; aber eine Mosaik vermag nie ein Ölgemälde zu ersetzen. Auch im „Par- sifal" fehlt es uicht an den raffinirtesten Effekten. Leider nutzt sich nichts schneller ab als Effekte; sie überraschen nnr einmal und verblüffen bei jeder Wiederkehr. Man darf denselben Effekt in dem gleichen Werke nicht einmal wiederholt anwenden, was vorliegenden Falles der Wegfall der zweiten Wandel- dekvratiou beweist. Wir sind hier an dem Punkte angelangt, der in allen Be¬ sprechungen des „Pnrsifal" immer besonders betont wird: bei der selbständigen Haltung und Führung des Orchesters. Als das größte Verdienst des Wagnerschen Schaffens rühmt man bekanntlich, daß er den: Jnstrnmentenspiele vorwiegende ^edentnng einräume, daß er dasselbe zu einer Allsdrucksfähigkeit erhoben habe, die vor ihm kein andrer Tonsetzer zu erreichen gewußt habe. Dieses Lob er¬ scheint umso auffälliger, als der Meister mit Ausnahme seiner Fanstonvertüre und wenigen Opernouvertüreu, Vor- und Zwischenspielen lind Märschen als Jn- strumeutalkomponist eigentlich nichts geleistet hat, und auch den genannten Ton- !"tzen, meist kurzen Stimmungsbildern, eine hervorragende Bedeutung nicht Zuerkannt werden kann. Das populärste Wnguersche Orchesterwerk, die Tann- Hanserouvertüre, ist im Grunde nur ein Potpourri, wie z. V. die Zampaouvertüre und viele andre Opernouvertüreu, als selbständige Jnstruluentnlkomposition also uur von Mittlerin Werte. Weder ein glanzvoll feuriges Allegro, wie Mozart

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/195>, abgerufen am 17.06.2024.