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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Thomas Carlyle.

dein Studium der Literatur. Wir wünschen den Rosen Md Blumen unsers
Gartens ein fröhliches Gedeihen, wir hoffe" nud erwarten Gesundheit und fried¬
liche Gedanken, um unsre Zwecke zu fördern. Die Rosen müssen allerdings zum
Teil erst noch gepflanzt werden, aber sie blühen bereits in unsrer Einbildung.
Zwei Ponies, die uns überall hintragen, und Bergluft sind die beste Medizin
für schwache Nerve". Diese tägliche Leibesübung, von der ich ein großer Freund
bin, ist meine einzige Erholung; denn dieser unser kleiner Winkel ist der ein¬
samste in England, sechs Meilen entfernt von irgend einer Seele, die uns viel¬
leicht besuchen möchte. Hier würde Rousseau so glücklich gewesen sein wie auf
seiner Jusel Se. Pierre. Ich kam lediglich mit dem Plane hierher, meine Lebens¬
weise zu vereinfachen und mir die Unabhängigkeit zu verschaffen, durch die allein
ich nur selbst treu zu bleiben vermag. Dies Stückchen Erde ist unser! Hier
können wir leben, schreiben und deuten, wie es uns zusagt, sollte auch Zoilus
selbst zum Monarchen der Literatur gekrönt werden."

Diese Zeilen atmen Befriedigung und sprechen doch dem greisen Dichter¬
fürsten gegenüber das Gefühl des Gegensatzes aus, in welchem sich Carlyle zur
zeitgenössischen Literatur fand. Er hatte bis dahin ein "Leben Schillers" (im
I^näoir Mg."'Ä2in6 1823--1824), eine Übersetzung von "Wilhelm Meisters Lehr¬
jahren" (Edinburg, 1824), "Deutsche romantische Erzählungen," Proben aus
Musäus, de la Motte Fouquö, Tieck und E. T. A. Hoffmann, Jean Paul und
Goethe mit biographischen und kritischen Bemerkungen (Edinburg und London,
1827), sowie eine große Anzahl von kritischen Aufsätzen in der Däinburgli ^vio^v
und ^in-Li^u liuwiov veröffentlicht, von denen der bedeutendste dem vaterlän¬
dischen Dichter Robert Burns galt, die Mehrzahl aber gleichfalls der Verbrei¬
tung und bessern Würdigung der deutschen Literatur in England dienten. Bei
allen diesen Arbeiten hatte Carlyle höchstens Vorurteile seiner Landsleute, deren
insulare Besonderheit und hochmütige Eigenliebe durch die lauge Absperrung
vom Kontinent zwischen 1800 und 1814 noch wesentlich verstärkt worden war,
zu bekämpfen und sich gegen die letzten Reste der beschränkt rationalistischen Kunst-
nuffasfuug des achtzehnten Jahrhunderts zu ereifern. Er hatte sich tief in das
Eigenleben, das ans der deutschen Dichtung zu ihm sprach, hineingelesen, ihr
trotziger Individualismus entsprach einem Element in seiner eignen Seele. Und
da er in jener Zeit offenbar noch von poetischen Wirkungen träumte, so fand
er Vorbilder seines Schaffens in den dentschen Autoren und schrieb im Nachgenuß
seines Studiums Jean Pauls seinen "Snrtor Resartns," eines der wunderlichsten
Bücher, in der Form oder vielmehr Nichtfvrm so von allein gewohnten abweichend,
daß zunächst kein Verleger den Mut hatte, diesen Halbroinan zu drucken, der
späterhin als eine besonders charakteristische Aussprache des Carlyleschen Genius
galt. Bald verließ der Autor übrigens den Pfad, den er mit "sartor Resartns"
eingeschlagen hatte. Er mochte fühlen, daß ihm die Fähigkeit versagt sei, zur rein
poetischen Gestaltung der mächtigen Ideen, der gewaltigen, oft grandiosen


Thomas Carlyle.

dein Studium der Literatur. Wir wünschen den Rosen Md Blumen unsers
Gartens ein fröhliches Gedeihen, wir hoffe» nud erwarten Gesundheit und fried¬
liche Gedanken, um unsre Zwecke zu fördern. Die Rosen müssen allerdings zum
Teil erst noch gepflanzt werden, aber sie blühen bereits in unsrer Einbildung.
Zwei Ponies, die uns überall hintragen, und Bergluft sind die beste Medizin
für schwache Nerve». Diese tägliche Leibesübung, von der ich ein großer Freund
bin, ist meine einzige Erholung; denn dieser unser kleiner Winkel ist der ein¬
samste in England, sechs Meilen entfernt von irgend einer Seele, die uns viel¬
leicht besuchen möchte. Hier würde Rousseau so glücklich gewesen sein wie auf
seiner Jusel Se. Pierre. Ich kam lediglich mit dem Plane hierher, meine Lebens¬
weise zu vereinfachen und mir die Unabhängigkeit zu verschaffen, durch die allein
ich nur selbst treu zu bleiben vermag. Dies Stückchen Erde ist unser! Hier
können wir leben, schreiben und deuten, wie es uns zusagt, sollte auch Zoilus
selbst zum Monarchen der Literatur gekrönt werden."

Diese Zeilen atmen Befriedigung und sprechen doch dem greisen Dichter¬
fürsten gegenüber das Gefühl des Gegensatzes aus, in welchem sich Carlyle zur
zeitgenössischen Literatur fand. Er hatte bis dahin ein „Leben Schillers" (im
I^näoir Mg.«'Ä2in6 1823—1824), eine Übersetzung von „Wilhelm Meisters Lehr¬
jahren" (Edinburg, 1824), „Deutsche romantische Erzählungen," Proben aus
Musäus, de la Motte Fouquö, Tieck und E. T. A. Hoffmann, Jean Paul und
Goethe mit biographischen und kritischen Bemerkungen (Edinburg und London,
1827), sowie eine große Anzahl von kritischen Aufsätzen in der Däinburgli ^vio^v
und ^in-Li^u liuwiov veröffentlicht, von denen der bedeutendste dem vaterlän¬
dischen Dichter Robert Burns galt, die Mehrzahl aber gleichfalls der Verbrei¬
tung und bessern Würdigung der deutschen Literatur in England dienten. Bei
allen diesen Arbeiten hatte Carlyle höchstens Vorurteile seiner Landsleute, deren
insulare Besonderheit und hochmütige Eigenliebe durch die lauge Absperrung
vom Kontinent zwischen 1800 und 1814 noch wesentlich verstärkt worden war,
zu bekämpfen und sich gegen die letzten Reste der beschränkt rationalistischen Kunst-
nuffasfuug des achtzehnten Jahrhunderts zu ereifern. Er hatte sich tief in das
Eigenleben, das ans der deutschen Dichtung zu ihm sprach, hineingelesen, ihr
trotziger Individualismus entsprach einem Element in seiner eignen Seele. Und
da er in jener Zeit offenbar noch von poetischen Wirkungen träumte, so fand
er Vorbilder seines Schaffens in den dentschen Autoren und schrieb im Nachgenuß
seines Studiums Jean Pauls seinen „Snrtor Resartns," eines der wunderlichsten
Bücher, in der Form oder vielmehr Nichtfvrm so von allein gewohnten abweichend,
daß zunächst kein Verleger den Mut hatte, diesen Halbroinan zu drucken, der
späterhin als eine besonders charakteristische Aussprache des Carlyleschen Genius
galt. Bald verließ der Autor übrigens den Pfad, den er mit „sartor Resartns"
eingeschlagen hatte. Er mochte fühlen, daß ihm die Fähigkeit versagt sei, zur rein
poetischen Gestaltung der mächtigen Ideen, der gewaltigen, oft grandiosen


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[0025] Thomas Carlyle. dein Studium der Literatur. Wir wünschen den Rosen Md Blumen unsers Gartens ein fröhliches Gedeihen, wir hoffe» nud erwarten Gesundheit und fried¬ liche Gedanken, um unsre Zwecke zu fördern. Die Rosen müssen allerdings zum Teil erst noch gepflanzt werden, aber sie blühen bereits in unsrer Einbildung. Zwei Ponies, die uns überall hintragen, und Bergluft sind die beste Medizin für schwache Nerve». Diese tägliche Leibesübung, von der ich ein großer Freund bin, ist meine einzige Erholung; denn dieser unser kleiner Winkel ist der ein¬ samste in England, sechs Meilen entfernt von irgend einer Seele, die uns viel¬ leicht besuchen möchte. Hier würde Rousseau so glücklich gewesen sein wie auf seiner Jusel Se. Pierre. Ich kam lediglich mit dem Plane hierher, meine Lebens¬ weise zu vereinfachen und mir die Unabhängigkeit zu verschaffen, durch die allein ich nur selbst treu zu bleiben vermag. Dies Stückchen Erde ist unser! Hier können wir leben, schreiben und deuten, wie es uns zusagt, sollte auch Zoilus selbst zum Monarchen der Literatur gekrönt werden." Diese Zeilen atmen Befriedigung und sprechen doch dem greisen Dichter¬ fürsten gegenüber das Gefühl des Gegensatzes aus, in welchem sich Carlyle zur zeitgenössischen Literatur fand. Er hatte bis dahin ein „Leben Schillers" (im I^näoir Mg.«'Ä2in6 1823—1824), eine Übersetzung von „Wilhelm Meisters Lehr¬ jahren" (Edinburg, 1824), „Deutsche romantische Erzählungen," Proben aus Musäus, de la Motte Fouquö, Tieck und E. T. A. Hoffmann, Jean Paul und Goethe mit biographischen und kritischen Bemerkungen (Edinburg und London, 1827), sowie eine große Anzahl von kritischen Aufsätzen in der Däinburgli ^vio^v und ^in-Li^u liuwiov veröffentlicht, von denen der bedeutendste dem vaterlän¬ dischen Dichter Robert Burns galt, die Mehrzahl aber gleichfalls der Verbrei¬ tung und bessern Würdigung der deutschen Literatur in England dienten. Bei allen diesen Arbeiten hatte Carlyle höchstens Vorurteile seiner Landsleute, deren insulare Besonderheit und hochmütige Eigenliebe durch die lauge Absperrung vom Kontinent zwischen 1800 und 1814 noch wesentlich verstärkt worden war, zu bekämpfen und sich gegen die letzten Reste der beschränkt rationalistischen Kunst- nuffasfuug des achtzehnten Jahrhunderts zu ereifern. Er hatte sich tief in das Eigenleben, das ans der deutschen Dichtung zu ihm sprach, hineingelesen, ihr trotziger Individualismus entsprach einem Element in seiner eignen Seele. Und da er in jener Zeit offenbar noch von poetischen Wirkungen träumte, so fand er Vorbilder seines Schaffens in den dentschen Autoren und schrieb im Nachgenuß seines Studiums Jean Pauls seinen „Snrtor Resartns," eines der wunderlichsten Bücher, in der Form oder vielmehr Nichtfvrm so von allein gewohnten abweichend, daß zunächst kein Verleger den Mut hatte, diesen Halbroinan zu drucken, der späterhin als eine besonders charakteristische Aussprache des Carlyleschen Genius galt. Bald verließ der Autor übrigens den Pfad, den er mit „sartor Resartns" eingeschlagen hatte. Er mochte fühlen, daß ihm die Fähigkeit versagt sei, zur rein poetischen Gestaltung der mächtigen Ideen, der gewaltigen, oft grandiosen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/25>, abgerufen am 26.05.2024.