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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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rarischen Einnahmen in den ersten Jcihren für eine behagliche und gesicherte
Existenz in der Weltstadt nicht ausreichen wollten, eine Reihe von besuchte"
öffentlichen Vorlesungen zu halten. Kein geringes Opfer für den Mann, der
in einer rednerische" redelärmende" Zeit unablässig den Genius des Schweigens
Pries und selbst mit der Feder am liebsten nur dann sprach, we"n gedrängter
kvnzentrirter Stoff, das Resultat unablässiger Lektüre und eine überwältigende
Fülle von Gedanken (mitunter freilich anch von Einfällen und grillenhafter Be¬
fürchtungen) einen starken Zwang ans ihn nnsübten. Das genannte Hauptbuch
Carlyles aber war wunderliche" Schicksalen ausgesetzt, über welche der deutsche
Biograph folgendes erzählt.

"Das Material zur Geschichte der französischen Revolution wollte gesam-
melt, gesichtet und studirt sein. In Bezug auf das letztere war ihm John Stuart
Mill mit seiner reichhaltigen Bibliothek eine sehr wesentliche Hilfe. Eben der¬
selbe Freund war es aber auch, durch den ihm ein Verlust zugefügt werden
sollte, wie er kaum größer gedacht werden konnte. Nach Vollendung des ersten
Bandes hatte nämlich Cnrlyle sein Manuskript an Mill geliehen, und dieser hatte
es wieder einer Freundin, Mrs. Taylor, zu lesen gegeben, die es unvorsichtiger-
weise um Abend auf den: Tische liegen ließ. Wie groß war ihr und Mills
Schrecken, als man am nächsten Morgen entdeckte, daß die Magd dasselbe zum
Anzünden des Kaminfeuers verwendet hatte! "Bleich wie Hektors Geist," so
erzählt Carlyle, "kam Mill zu uns, um uns mitzuteilen, daß mein unglücklicher
erster Band verbrannt sei. Es war für uus beide ein halbes Todesurteil, und
doch mußten wir vorgeben es leicht zu nehmen und von andern Dingen reden,
so trostlos und geisterhaft war sein Entsetzen darüber. Er blieb drei ewig lauge
Stunden; fein Abschied war uns ein wahrer Trost. O, in welch herzliche Mit¬
leidsworte mein armes, geliebtes Weib da ausbrach! Sie umarmte mich, klagte
laut, tröstete lind ermutigte mich wie mein besseres zweites Ich. Unter dem
Himmel giebt es nichts schöneres! Wir saßen und redeten bis spät in die
Nacht; es muß noch einmal geschrieben werden, das war mein festes Wort und
mein Entschluß ihr gegenüber. Die Aufgabe bot indessen derartige Schwierig¬
keiten, wie ich sie weder vor- oder nachher zu lösen versucht habe. Ich schrieb
das "Fest der Piken" im zweiten Bande zu Ende und machte mich dann daran,
fand es etwa vierzehn Tage lang völlig unmöglich, brachte drei Wochen mit
der Lektüre von Marryats Novellen zu, versuchte es noch einmal, vorsichtig,
vorsichtig wie auf dünnsten Eise, und hatte, um es kurz zu machen, eine Ar¬
beit ans mich genommen, die weit eher imstande war mir das Herz zu brechen
als irgend eine andre im weiten Kreise meiner Erfahrung. Jenny allein nnter
allen Wesen brannte wie eine ruhige Lampe neben mir." So weit CarlyleS
Erzählung dieses traurigen Ereignisses im zweiten Bande seiner Erinnerungen.
Andre Berichte fügen "och hinzu, daß er "drei Tage und Nächte weder aß noch
schlief" und "wie ein Manu war, der den Verstand verloren hat."


rarischen Einnahmen in den ersten Jcihren für eine behagliche und gesicherte
Existenz in der Weltstadt nicht ausreichen wollten, eine Reihe von besuchte»
öffentlichen Vorlesungen zu halten. Kein geringes Opfer für den Mann, der
in einer rednerische» redelärmende» Zeit unablässig den Genius des Schweigens
Pries und selbst mit der Feder am liebsten nur dann sprach, we»n gedrängter
kvnzentrirter Stoff, das Resultat unablässiger Lektüre und eine überwältigende
Fülle von Gedanken (mitunter freilich anch von Einfällen und grillenhafter Be¬
fürchtungen) einen starken Zwang ans ihn nnsübten. Das genannte Hauptbuch
Carlyles aber war wunderliche» Schicksalen ausgesetzt, über welche der deutsche
Biograph folgendes erzählt.

„Das Material zur Geschichte der französischen Revolution wollte gesam-
melt, gesichtet und studirt sein. In Bezug auf das letztere war ihm John Stuart
Mill mit seiner reichhaltigen Bibliothek eine sehr wesentliche Hilfe. Eben der¬
selbe Freund war es aber auch, durch den ihm ein Verlust zugefügt werden
sollte, wie er kaum größer gedacht werden konnte. Nach Vollendung des ersten
Bandes hatte nämlich Cnrlyle sein Manuskript an Mill geliehen, und dieser hatte
es wieder einer Freundin, Mrs. Taylor, zu lesen gegeben, die es unvorsichtiger-
weise um Abend auf den: Tische liegen ließ. Wie groß war ihr und Mills
Schrecken, als man am nächsten Morgen entdeckte, daß die Magd dasselbe zum
Anzünden des Kaminfeuers verwendet hatte! »Bleich wie Hektors Geist,« so
erzählt Carlyle, »kam Mill zu uns, um uns mitzuteilen, daß mein unglücklicher
erster Band verbrannt sei. Es war für uus beide ein halbes Todesurteil, und
doch mußten wir vorgeben es leicht zu nehmen und von andern Dingen reden,
so trostlos und geisterhaft war sein Entsetzen darüber. Er blieb drei ewig lauge
Stunden; fein Abschied war uns ein wahrer Trost. O, in welch herzliche Mit¬
leidsworte mein armes, geliebtes Weib da ausbrach! Sie umarmte mich, klagte
laut, tröstete lind ermutigte mich wie mein besseres zweites Ich. Unter dem
Himmel giebt es nichts schöneres! Wir saßen und redeten bis spät in die
Nacht; es muß noch einmal geschrieben werden, das war mein festes Wort und
mein Entschluß ihr gegenüber. Die Aufgabe bot indessen derartige Schwierig¬
keiten, wie ich sie weder vor- oder nachher zu lösen versucht habe. Ich schrieb
das »Fest der Piken« im zweiten Bande zu Ende und machte mich dann daran,
fand es etwa vierzehn Tage lang völlig unmöglich, brachte drei Wochen mit
der Lektüre von Marryats Novellen zu, versuchte es noch einmal, vorsichtig,
vorsichtig wie auf dünnsten Eise, und hatte, um es kurz zu machen, eine Ar¬
beit ans mich genommen, die weit eher imstande war mir das Herz zu brechen
als irgend eine andre im weiten Kreise meiner Erfahrung. Jenny allein nnter
allen Wesen brannte wie eine ruhige Lampe neben mir.« So weit CarlyleS
Erzählung dieses traurigen Ereignisses im zweiten Bande seiner Erinnerungen.
Andre Berichte fügen »och hinzu, daß er »drei Tage und Nächte weder aß noch
schlief« und »wie ein Manu war, der den Verstand verloren hat.«


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[0027] rarischen Einnahmen in den ersten Jcihren für eine behagliche und gesicherte Existenz in der Weltstadt nicht ausreichen wollten, eine Reihe von besuchte» öffentlichen Vorlesungen zu halten. Kein geringes Opfer für den Mann, der in einer rednerische» redelärmende» Zeit unablässig den Genius des Schweigens Pries und selbst mit der Feder am liebsten nur dann sprach, we»n gedrängter kvnzentrirter Stoff, das Resultat unablässiger Lektüre und eine überwältigende Fülle von Gedanken (mitunter freilich anch von Einfällen und grillenhafter Be¬ fürchtungen) einen starken Zwang ans ihn nnsübten. Das genannte Hauptbuch Carlyles aber war wunderliche» Schicksalen ausgesetzt, über welche der deutsche Biograph folgendes erzählt. „Das Material zur Geschichte der französischen Revolution wollte gesam- melt, gesichtet und studirt sein. In Bezug auf das letztere war ihm John Stuart Mill mit seiner reichhaltigen Bibliothek eine sehr wesentliche Hilfe. Eben der¬ selbe Freund war es aber auch, durch den ihm ein Verlust zugefügt werden sollte, wie er kaum größer gedacht werden konnte. Nach Vollendung des ersten Bandes hatte nämlich Cnrlyle sein Manuskript an Mill geliehen, und dieser hatte es wieder einer Freundin, Mrs. Taylor, zu lesen gegeben, die es unvorsichtiger- weise um Abend auf den: Tische liegen ließ. Wie groß war ihr und Mills Schrecken, als man am nächsten Morgen entdeckte, daß die Magd dasselbe zum Anzünden des Kaminfeuers verwendet hatte! »Bleich wie Hektors Geist,« so erzählt Carlyle, »kam Mill zu uns, um uns mitzuteilen, daß mein unglücklicher erster Band verbrannt sei. Es war für uus beide ein halbes Todesurteil, und doch mußten wir vorgeben es leicht zu nehmen und von andern Dingen reden, so trostlos und geisterhaft war sein Entsetzen darüber. Er blieb drei ewig lauge Stunden; fein Abschied war uns ein wahrer Trost. O, in welch herzliche Mit¬ leidsworte mein armes, geliebtes Weib da ausbrach! Sie umarmte mich, klagte laut, tröstete lind ermutigte mich wie mein besseres zweites Ich. Unter dem Himmel giebt es nichts schöneres! Wir saßen und redeten bis spät in die Nacht; es muß noch einmal geschrieben werden, das war mein festes Wort und mein Entschluß ihr gegenüber. Die Aufgabe bot indessen derartige Schwierig¬ keiten, wie ich sie weder vor- oder nachher zu lösen versucht habe. Ich schrieb das »Fest der Piken« im zweiten Bande zu Ende und machte mich dann daran, fand es etwa vierzehn Tage lang völlig unmöglich, brachte drei Wochen mit der Lektüre von Marryats Novellen zu, versuchte es noch einmal, vorsichtig, vorsichtig wie auf dünnsten Eise, und hatte, um es kurz zu machen, eine Ar¬ beit ans mich genommen, die weit eher imstande war mir das Herz zu brechen als irgend eine andre im weiten Kreise meiner Erfahrung. Jenny allein nnter allen Wesen brannte wie eine ruhige Lampe neben mir.« So weit CarlyleS Erzählung dieses traurigen Ereignisses im zweiten Bande seiner Erinnerungen. Andre Berichte fügen »och hinzu, daß er »drei Tage und Nächte weder aß noch schlief« und »wie ein Manu war, der den Verstand verloren hat.«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/27>, abgerufen am 19.05.2024.