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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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statten, welche seelisches Leben bis in die geheimsten Schlupfwinkel enthüllen --
das ist ein Meisterstück, welches eine spätere Zeit der romantischen Periode
doch hoch anrechnen wird. Daß hier namentlich Chopin der Hauptdauk gebührt,
weiß jedermann. Verschweigen laßt sich allerdings nicht, daß diese Jdenlisirnng
der Tänze sehr oft zu weit getrieben und der ursprüngliche Charakter gänzlich
verleugnet worden ist. Eine Wirkung, wie sie der Schöpfer des "Furieuwalzers"
erreicht hat, bleibt ja immerhin interessant; fangen aber die schwachen Nachahmer an
aus muntern Rhythmen zu wimmern, so kann sich der wahrheitsliebende Mensch
schlechterdings nur ärgern.

Wir kommen mit der Bemerkung über die Nachahmer unter deu Klavier-
kvmponisten ans bereits gesagtes zurück und damit an den Schluß der General¬
debatte. Ihr Resultat fassen wir noch einmal in den Satz zusammen, daß für
die Klaviermusik seit Robert Schumann zwei Momente charakteristisch sind. Der
wie ist das Vorwiegen des Genrestückes und der kleinen Formen, der andre der
unverhältnismäßig starke Prozentsatz unselbständiger und völlig wertloser Arbeiten.

Diese allgemeinen Betrachtungen könnten nach verschiedenen Richtungen
weitergeführt werden. Das Gegebene genügt indeß, um daraus nützliche Lehren
5u ziehen. Den Musikern haben wir mit unsern Auseinandersetzungen nichts
neues gesagt. Die Besten nnter ihnen und alle Kenner der alten Meister teilen
die absprechende Meinung über deu Gescunmtertrag unsrer neuern Klaviermusik.
Ginge man in musikalischen Kreisen ernstlich zu Rate über die Sache und zunächst
denjenigen Ursachen auf deu Grund, auf welche die Verflachung zurückzuführen
^t, deren Spuren in dem Tvtalbilde der gegenwärtigen Klavierkompvsition
eklatant hervortreten, so müßte man über zwei Forderungen eins werden. Sie
gehen die jungen Leute an, welche sich der Musik widmen wollen, und lauten:
^- ganz gründliche Schulung im Fache und 2. eine allgemeine Erziehung, welche
geistig selbständige Menschen heranbildet. Für die erste Forderung haben unsre
Konservatorien einzutreten; ihre Lehrpläue müßten allenthalben auf diejenige
Strenge des theoretischen Unterrichts zurückgreifen, welche in der frühern Zeit
der Koutrapunktisten gebräuchlich war. Der zweiten Forderung stellt das
Moderne Leben mit seinen abschweifenden Sitten und Gebräuchen viele Hindernisse
entgegen. Eltern, Vormünder und Erzieher mögen es aber beachten: wenn
Knabe sich der Musik widmen will -- gutes Gehör und Formensinn
genügen nicht, um in die Reihe der wirklichen und nützlichen.Künstler vorzudringen.
Wer nicht schon in früher Jugend die Anlagen zeigt, ein ganzer Mann, ein
Mann für sich zu werdeu, der bleibe weg von der Musik! Ju Kopf und Herz
Wuß alles frisch und von einer Stärke sein, die über den durchschnittlichen Ge¬
sellschaftsbedarf hinausgeht.

Den musikliebenden Dilettanten predigen unsere Auseinandersetzungen Vor¬
sicht. Wer allen Heften des neuen Klavierverlags blind gläubig, gutmütig
vertrauensselig gegenübertritt, riskirt seine Zeit zu verlieren und seinen Geschmack


^re,izbo"rü IV. 1882. 5

statten, welche seelisches Leben bis in die geheimsten Schlupfwinkel enthüllen —
das ist ein Meisterstück, welches eine spätere Zeit der romantischen Periode
doch hoch anrechnen wird. Daß hier namentlich Chopin der Hauptdauk gebührt,
weiß jedermann. Verschweigen laßt sich allerdings nicht, daß diese Jdenlisirnng
der Tänze sehr oft zu weit getrieben und der ursprüngliche Charakter gänzlich
verleugnet worden ist. Eine Wirkung, wie sie der Schöpfer des „Furieuwalzers"
erreicht hat, bleibt ja immerhin interessant; fangen aber die schwachen Nachahmer an
aus muntern Rhythmen zu wimmern, so kann sich der wahrheitsliebende Mensch
schlechterdings nur ärgern.

Wir kommen mit der Bemerkung über die Nachahmer unter deu Klavier-
kvmponisten ans bereits gesagtes zurück und damit an den Schluß der General¬
debatte. Ihr Resultat fassen wir noch einmal in den Satz zusammen, daß für
die Klaviermusik seit Robert Schumann zwei Momente charakteristisch sind. Der
wie ist das Vorwiegen des Genrestückes und der kleinen Formen, der andre der
unverhältnismäßig starke Prozentsatz unselbständiger und völlig wertloser Arbeiten.

Diese allgemeinen Betrachtungen könnten nach verschiedenen Richtungen
weitergeführt werden. Das Gegebene genügt indeß, um daraus nützliche Lehren
5u ziehen. Den Musikern haben wir mit unsern Auseinandersetzungen nichts
neues gesagt. Die Besten nnter ihnen und alle Kenner der alten Meister teilen
die absprechende Meinung über deu Gescunmtertrag unsrer neuern Klaviermusik.
Ginge man in musikalischen Kreisen ernstlich zu Rate über die Sache und zunächst
denjenigen Ursachen auf deu Grund, auf welche die Verflachung zurückzuführen
^t, deren Spuren in dem Tvtalbilde der gegenwärtigen Klavierkompvsition
eklatant hervortreten, so müßte man über zwei Forderungen eins werden. Sie
gehen die jungen Leute an, welche sich der Musik widmen wollen, und lauten:
^- ganz gründliche Schulung im Fache und 2. eine allgemeine Erziehung, welche
geistig selbständige Menschen heranbildet. Für die erste Forderung haben unsre
Konservatorien einzutreten; ihre Lehrpläue müßten allenthalben auf diejenige
Strenge des theoretischen Unterrichts zurückgreifen, welche in der frühern Zeit
der Koutrapunktisten gebräuchlich war. Der zweiten Forderung stellt das
Moderne Leben mit seinen abschweifenden Sitten und Gebräuchen viele Hindernisse
entgegen. Eltern, Vormünder und Erzieher mögen es aber beachten: wenn
Knabe sich der Musik widmen will — gutes Gehör und Formensinn
genügen nicht, um in die Reihe der wirklichen und nützlichen.Künstler vorzudringen.
Wer nicht schon in früher Jugend die Anlagen zeigt, ein ganzer Mann, ein
Mann für sich zu werdeu, der bleibe weg von der Musik! Ju Kopf und Herz
Wuß alles frisch und von einer Stärke sein, die über den durchschnittlichen Ge¬
sellschaftsbedarf hinausgeht.

Den musikliebenden Dilettanten predigen unsere Auseinandersetzungen Vor¬
sicht. Wer allen Heften des neuen Klavierverlags blind gläubig, gutmütig
vertrauensselig gegenübertritt, riskirt seine Zeit zu verlieren und seinen Geschmack


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/37>, abgerufen am 19.05.2024.