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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Es kann Wunder nehmen, daß nach keiner von unsern Geistreichen Heller den
musikalischen Forstmann genannt hat. Es ist der Wald, den er zu schildern "immer
müde wird: der Wald mit seiner Feierlichkeit, mit seinen langen dunkeln Schatten,
mit seinen scharfen und tiefen Lichtern, der Wald mit seinem Vogelgezwitscher
und seinem Vlätterrnuschen, mit seinen neckenden, zirpenden Geistern. Zu den
Spaziergängen in den Wald, zu welchen sich der Komponist ans den Titel¬
blättern so vieler Hefte offen bekennt, muß der Kenner von Hellers Werken
noch eine große Anzahl heimlicher Abstecher hinzurechnen. Beginnt er oft anf
andern Wegen -- auf einmal baut sich der Wald in seiner Pracht wieder vor
nus anf. Selbst in einer Polonaise, die sich sonst nicht für die Aufführung
im Freien eignet, ertappen wir ihn plötzlich wieder beim Hörnerklang. Es ist
unzweifelhaft, daß starke Jugendeindrücke dagewesen sein müssen, um diese Wnldes-
stimmuug so nachhaltig zu befestigen, daß sie selbst in dem Treiben der großen
Weltstadt dem Komponisten tren geblieben ist und die Oberhand behalten hat.
In dein geräuschvollen Paris zu leben, gefeiert zu sein und doch das Gemüt
von spezifisch deutscher Schwärmerei voll zu haben -- das ist ein seltnes Glück!
Daß sich Heller desselben bewußt gewesen ist und darauf gehalten hat, es sich
zu bewahren, kauu man aus der Summe seiner Werke herauslesen.

Heller hat sich uicht ohne Absicht ausschließlich der Klavierkompvsition
gewidmet. Er ist ein Spezialist dieser Gattung, wie Mett, Chopin, Henselt,
Krahner, und hat sich seinem Lebensberufe sicher nicht ohne höhere Tendenzen
hingegeben. Vielleicht gingen sie ans eine Reformation des KlaviergeschmackeS;
daß die Klaviermusik sich vorwiegend dem Ausdruck subjektiver, seelischer
Stimmungen hingebe, mag ihm zuweilen uicht das Rechte geschienen haben-
Wo er selbst Stoss für seine musikalischen Schilderungen der menschlichen
Innenwelt entnimmt, bleibt er immer wahr. Niemals übertreibt er die Leiden¬
schaft und Erregtheit, obwohl er zum Stürmen den gehörigen Atem besitzt.
Seine zweite Sonate und seine Balladen zeigen ihn am deutlichsten von dieser
Seite. Ein wunderschöner Theil ist in der Meer-Ballade der Beginn des
Chorgesangs. Wie ein Hilferuf, wie eine Bitte um Frieden klingt es aus ihm.
Ju diesen Fällen zeigt er nur meisten Verwandtschaft mit Schumann, mit dem
er anch die Hinneigung zu Jean Paul teilt. Diesem vou der Gegenwart
ziemlich vernachlässigten Dichter zu Ehren schrieb er ein Heft "Blumen-, Frncht-
nnd Dvrnenstücke" (ol>. 82), die Schuiuauu zum Verfasser haben könnten, bis
auf zwei Züge, welche überhaupt um Heller außer seiner Liebe zum Walde
charakteristisch siud. Der eine ist auf ungarische Einflüsse zurückzuführen,
rhythmisch erkennbar an eiuer gewissen Hastigkeit des Ganges. In dem andern
macht sich der Pianist von Fach bemerkbar. Nicht als ob Heller etwa ein platter
Passagenheld wäre. Aber er fängt zuweilen gern um, als wolle er nnr das
Instrument probiren, dabei stellt sich von ungefähr ein kleines Motiv ein, aus
dein sich eine Melodie entspinnt. Gern wiederholt er ein paar Töne in ver-


Es kann Wunder nehmen, daß nach keiner von unsern Geistreichen Heller den
musikalischen Forstmann genannt hat. Es ist der Wald, den er zu schildern »immer
müde wird: der Wald mit seiner Feierlichkeit, mit seinen langen dunkeln Schatten,
mit seinen scharfen und tiefen Lichtern, der Wald mit seinem Vogelgezwitscher
und seinem Vlätterrnuschen, mit seinen neckenden, zirpenden Geistern. Zu den
Spaziergängen in den Wald, zu welchen sich der Komponist ans den Titel¬
blättern so vieler Hefte offen bekennt, muß der Kenner von Hellers Werken
noch eine große Anzahl heimlicher Abstecher hinzurechnen. Beginnt er oft anf
andern Wegen — auf einmal baut sich der Wald in seiner Pracht wieder vor
nus anf. Selbst in einer Polonaise, die sich sonst nicht für die Aufführung
im Freien eignet, ertappen wir ihn plötzlich wieder beim Hörnerklang. Es ist
unzweifelhaft, daß starke Jugendeindrücke dagewesen sein müssen, um diese Wnldes-
stimmuug so nachhaltig zu befestigen, daß sie selbst in dem Treiben der großen
Weltstadt dem Komponisten tren geblieben ist und die Oberhand behalten hat.
In dein geräuschvollen Paris zu leben, gefeiert zu sein und doch das Gemüt
von spezifisch deutscher Schwärmerei voll zu haben — das ist ein seltnes Glück!
Daß sich Heller desselben bewußt gewesen ist und darauf gehalten hat, es sich
zu bewahren, kauu man aus der Summe seiner Werke herauslesen.

Heller hat sich uicht ohne Absicht ausschließlich der Klavierkompvsition
gewidmet. Er ist ein Spezialist dieser Gattung, wie Mett, Chopin, Henselt,
Krahner, und hat sich seinem Lebensberufe sicher nicht ohne höhere Tendenzen
hingegeben. Vielleicht gingen sie ans eine Reformation des KlaviergeschmackeS;
daß die Klaviermusik sich vorwiegend dem Ausdruck subjektiver, seelischer
Stimmungen hingebe, mag ihm zuweilen uicht das Rechte geschienen haben-
Wo er selbst Stoss für seine musikalischen Schilderungen der menschlichen
Innenwelt entnimmt, bleibt er immer wahr. Niemals übertreibt er die Leiden¬
schaft und Erregtheit, obwohl er zum Stürmen den gehörigen Atem besitzt.
Seine zweite Sonate und seine Balladen zeigen ihn am deutlichsten von dieser
Seite. Ein wunderschöner Theil ist in der Meer-Ballade der Beginn des
Chorgesangs. Wie ein Hilferuf, wie eine Bitte um Frieden klingt es aus ihm.
Ju diesen Fällen zeigt er nur meisten Verwandtschaft mit Schumann, mit dem
er anch die Hinneigung zu Jean Paul teilt. Diesem vou der Gegenwart
ziemlich vernachlässigten Dichter zu Ehren schrieb er ein Heft „Blumen-, Frncht-
nnd Dvrnenstücke" (ol>. 82), die Schuiuauu zum Verfasser haben könnten, bis
auf zwei Züge, welche überhaupt um Heller außer seiner Liebe zum Walde
charakteristisch siud. Der eine ist auf ungarische Einflüsse zurückzuführen,
rhythmisch erkennbar an eiuer gewissen Hastigkeit des Ganges. In dem andern
macht sich der Pianist von Fach bemerkbar. Nicht als ob Heller etwa ein platter
Passagenheld wäre. Aber er fängt zuweilen gern um, als wolle er nnr das
Instrument probiren, dabei stellt sich von ungefähr ein kleines Motiv ein, aus
dein sich eine Melodie entspinnt. Gern wiederholt er ein paar Töne in ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/40>, abgerufen am 26.05.2024.