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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Klaviermusik seit Robert Schumann,

schiedenen Oktave" und gönnt sich als Komponist und Erfinder einige Ruhe.
Niemand schätzt ihn wegen solcher Momente des leichten Sichgehenlassens gering.
Er hat manche Nummern geschrieben, die der leichten musikalischen Belletristik
zugehören, wie die "Tarantellen" und die "Ländler" und "Walzer." Aber
über die geschäftsmäßigen Salvnkvmponisten erhebt er immer ein stolzes Dichter-
hanpt. Und zu andern Zeiten streut er wieder Meisterzüge ans, die man an
diesem Orte nicht erwartet. Seine "Polonaise" (01?. 104) z. B. sein "Albnm-
blatt" (<ix. 110), seine MorvLMx an; LÄllttt (o^. 111) sind Snlvnstücke reinster
"ut Genrestücke leichtester Tendenz, und doch reich an Wendungen einer höhern
Kunst, an Wendungen, die nur einem gewiegten Kontrapnnktiker und poetischem,
geistvollen Kopfe möglich sind. Wo wir ein einfaches Marschstück erwarten,
bringt er ein allerliebstes Wechseln zwischen Parliren und Promeniren an, wo
eine sentimentale Melodie genügte, überrascht er durch eine reizende, stimmnngs-
reiche Polonaise, und die Ballettänze sind ihm 11 ur eine Folie für die frappantesten
Kunststückchen musikalischer Pantvmimik. Geist, Witz und Lanne begleiten Heller
überall, und anch aus seinen unbedeutenderen Sachen spricht eine mehr als bloß
"msikalische Wildling und Erfahrung.

Freilich zu den Künstlern, welche durch eine gewaltige Entwicklung impo-
ttireu, gehört er nicht. Nach seinen frühern Klavierkvmpvsitivnen, in denen
man Violinen und Hörner dentlich hören kann, mußte man in ihm einen Sym¬
phoniker erwarten. Wohl möglich, daß uns das zeitraubende und aufreibende
Leben der Weltstadt um eiuen gebornen Orchesterkomponisten gebracht hat.
So blieb er beim Klavier und am Klavier ziemlich derselbe. Wer seiue Hefte
"Im Walde," eine seiner Sonaten und vielleicht noch die "Tarantelleu" studirt
hat, kennt im wesentlichen den ganzen Heller. Dieselben Stimmungen und die¬
selben Motive kehren sehr oft wieder. Immer wieder wechselt er mit feierliche"
Klängen "ut phantastischem Scherz, führt behaglich prvmenirend an überraschende
Aussichten und endigt dämmernde Präludien in hochaufjanchzenden Nntnrtöuen.
Deshalb soll man nicht zu anhaltend bei ihm verweilen, sondern lieber öfters
zu ihm zurückkehren.

Nur in seinen letzten Kompositionen erscheint Heller ein andrer und kaum
wiederzuerkennen. Besonders sind zwei von ihnen dnrch das veränderte Wesen
ihres Autors merkwürdig, die ^ciririoo lrirurc)ri"ti<irro (op. 112) und die ?iZ.ri-
wikig ("i>. 113). Da knackt er Nüsse und scheint für die beiden französischen
Kollegen (L. Kreuzer und Hector Berlioz), denen diese Kompositionen gewidmet
sind, musikalische Vvrstellniigen in der philosophischen Akrobatik zu veranstalten,
er bringt uns allerhand erstaunliches, aber nicht viel erfreuliches.

Ju demselben Jahre, wo Heller nach Paris ging, nahm ein andrer junger
deutscher Musiker seineu bleibenden Aufenthalt in Petersburg, erwarb sich in
der Folge um das Klavierspiel in Rußland große Verdienste, wurde geadelt und
gelangte zu hohen Ehre". Es ist Adolph Henselt (geboren 1814 zu Schwabacy


Die Klaviermusik seit Robert Schumann,

schiedenen Oktave» und gönnt sich als Komponist und Erfinder einige Ruhe.
Niemand schätzt ihn wegen solcher Momente des leichten Sichgehenlassens gering.
Er hat manche Nummern geschrieben, die der leichten musikalischen Belletristik
zugehören, wie die „Tarantellen" und die „Ländler" und „Walzer." Aber
über die geschäftsmäßigen Salvnkvmponisten erhebt er immer ein stolzes Dichter-
hanpt. Und zu andern Zeiten streut er wieder Meisterzüge ans, die man an
diesem Orte nicht erwartet. Seine „Polonaise" (01?. 104) z. B. sein „Albnm-
blatt" (<ix. 110), seine MorvLMx an; LÄllttt (o^. 111) sind Snlvnstücke reinster
»ut Genrestücke leichtester Tendenz, und doch reich an Wendungen einer höhern
Kunst, an Wendungen, die nur einem gewiegten Kontrapnnktiker und poetischem,
geistvollen Kopfe möglich sind. Wo wir ein einfaches Marschstück erwarten,
bringt er ein allerliebstes Wechseln zwischen Parliren und Promeniren an, wo
eine sentimentale Melodie genügte, überrascht er durch eine reizende, stimmnngs-
reiche Polonaise, und die Ballettänze sind ihm 11 ur eine Folie für die frappantesten
Kunststückchen musikalischer Pantvmimik. Geist, Witz und Lanne begleiten Heller
überall, und anch aus seinen unbedeutenderen Sachen spricht eine mehr als bloß
»msikalische Wildling und Erfahrung.

Freilich zu den Künstlern, welche durch eine gewaltige Entwicklung impo-
ttireu, gehört er nicht. Nach seinen frühern Klavierkvmpvsitivnen, in denen
man Violinen und Hörner dentlich hören kann, mußte man in ihm einen Sym¬
phoniker erwarten. Wohl möglich, daß uns das zeitraubende und aufreibende
Leben der Weltstadt um eiuen gebornen Orchesterkomponisten gebracht hat.
So blieb er beim Klavier und am Klavier ziemlich derselbe. Wer seiue Hefte
„Im Walde," eine seiner Sonaten und vielleicht noch die „Tarantelleu" studirt
hat, kennt im wesentlichen den ganzen Heller. Dieselben Stimmungen und die¬
selben Motive kehren sehr oft wieder. Immer wieder wechselt er mit feierliche»
Klängen »ut phantastischem Scherz, führt behaglich prvmenirend an überraschende
Aussichten und endigt dämmernde Präludien in hochaufjanchzenden Nntnrtöuen.
Deshalb soll man nicht zu anhaltend bei ihm verweilen, sondern lieber öfters
zu ihm zurückkehren.

Nur in seinen letzten Kompositionen erscheint Heller ein andrer und kaum
wiederzuerkennen. Besonders sind zwei von ihnen dnrch das veränderte Wesen
ihres Autors merkwürdig, die ^ciririoo lrirurc)ri«ti<irro (op. 112) und die ?iZ.ri-
wikig (»i>. 113). Da knackt er Nüsse und scheint für die beiden französischen
Kollegen (L. Kreuzer und Hector Berlioz), denen diese Kompositionen gewidmet
sind, musikalische Vvrstellniigen in der philosophischen Akrobatik zu veranstalten,
er bringt uns allerhand erstaunliches, aber nicht viel erfreuliches.

Ju demselben Jahre, wo Heller nach Paris ging, nahm ein andrer junger
deutscher Musiker seineu bleibenden Aufenthalt in Petersburg, erwarb sich in
der Folge um das Klavierspiel in Rußland große Verdienste, wurde geadelt und
gelangte zu hohen Ehre». Es ist Adolph Henselt (geboren 1814 zu Schwabacy


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[0041] Die Klaviermusik seit Robert Schumann, schiedenen Oktave» und gönnt sich als Komponist und Erfinder einige Ruhe. Niemand schätzt ihn wegen solcher Momente des leichten Sichgehenlassens gering. Er hat manche Nummern geschrieben, die der leichten musikalischen Belletristik zugehören, wie die „Tarantellen" und die „Ländler" und „Walzer." Aber über die geschäftsmäßigen Salvnkvmponisten erhebt er immer ein stolzes Dichter- hanpt. Und zu andern Zeiten streut er wieder Meisterzüge ans, die man an diesem Orte nicht erwartet. Seine „Polonaise" (01?. 104) z. B. sein „Albnm- blatt" (<ix. 110), seine MorvLMx an; LÄllttt (o^. 111) sind Snlvnstücke reinster »ut Genrestücke leichtester Tendenz, und doch reich an Wendungen einer höhern Kunst, an Wendungen, die nur einem gewiegten Kontrapnnktiker und poetischem, geistvollen Kopfe möglich sind. Wo wir ein einfaches Marschstück erwarten, bringt er ein allerliebstes Wechseln zwischen Parliren und Promeniren an, wo eine sentimentale Melodie genügte, überrascht er durch eine reizende, stimmnngs- reiche Polonaise, und die Ballettänze sind ihm 11 ur eine Folie für die frappantesten Kunststückchen musikalischer Pantvmimik. Geist, Witz und Lanne begleiten Heller überall, und anch aus seinen unbedeutenderen Sachen spricht eine mehr als bloß »msikalische Wildling und Erfahrung. Freilich zu den Künstlern, welche durch eine gewaltige Entwicklung impo- ttireu, gehört er nicht. Nach seinen frühern Klavierkvmpvsitivnen, in denen man Violinen und Hörner dentlich hören kann, mußte man in ihm einen Sym¬ phoniker erwarten. Wohl möglich, daß uns das zeitraubende und aufreibende Leben der Weltstadt um eiuen gebornen Orchesterkomponisten gebracht hat. So blieb er beim Klavier und am Klavier ziemlich derselbe. Wer seiue Hefte „Im Walde," eine seiner Sonaten und vielleicht noch die „Tarantelleu" studirt hat, kennt im wesentlichen den ganzen Heller. Dieselben Stimmungen und die¬ selben Motive kehren sehr oft wieder. Immer wieder wechselt er mit feierliche» Klängen »ut phantastischem Scherz, führt behaglich prvmenirend an überraschende Aussichten und endigt dämmernde Präludien in hochaufjanchzenden Nntnrtöuen. Deshalb soll man nicht zu anhaltend bei ihm verweilen, sondern lieber öfters zu ihm zurückkehren. Nur in seinen letzten Kompositionen erscheint Heller ein andrer und kaum wiederzuerkennen. Besonders sind zwei von ihnen dnrch das veränderte Wesen ihres Autors merkwürdig, die ^ciririoo lrirurc)ri«ti<irro (op. 112) und die ?iZ.ri- wikig (»i>. 113). Da knackt er Nüsse und scheint für die beiden französischen Kollegen (L. Kreuzer und Hector Berlioz), denen diese Kompositionen gewidmet sind, musikalische Vvrstellniigen in der philosophischen Akrobatik zu veranstalten, er bringt uns allerhand erstaunliches, aber nicht viel erfreuliches. Ju demselben Jahre, wo Heller nach Paris ging, nahm ein andrer junger deutscher Musiker seineu bleibenden Aufenthalt in Petersburg, erwarb sich in der Folge um das Klavierspiel in Rußland große Verdienste, wurde geadelt und gelangte zu hohen Ehre». Es ist Adolph Henselt (geboren 1814 zu Schwabacy

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/41>, abgerufen am 18.05.2024.