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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Joseph von Sonnonfels.

Er starb 1817 als betagter Greis, ohne Nachkommen, wiewohl er lange und
glücklich verheiratet gewesen war. Unter den zerstörenden Wirkungen des Mi¬
nisteriums Thugut und dein neuen Gestirn Metternich hat er keine politische
Thätigkeit mehr ausgeübt, soudern als Vizepräsident der k. k. Akademie der bil¬
denden Künste anderweitig gewirkt.

Als Mensch zeigte Sonnenfels im ganzen einen tüchtigen, schätzenswerten
Charakter. Doch darf man dabei nicht den höchsten Maßstab anlegen. Anzu¬
erkennen ist der Stolz, der den emporstrebenden Mann abhielt, zur Ermög-
lichung eiuer glüuzendeu öffentlichen Laufbahn vulgäre Mittel nuzuwendeu;
ebenso der Freimut, mit dem er, von vornherein zur Satire geneigt, gegen vieles
Verkehrte auftrat. "Er vertauschte, heißt es von ihm, die ansehnlichste Beför¬
derung gegen das Vergnügen, dem Thoren zu sagen: du bist ein Thor." Dies
hatte nichtsdestoweniger seine praktischen Grenzen. Svnnenfels handelte sogar
vielfach egoistisch, insofern er dem, was er einfach ans Klugheit und prositlichem
Sinne that, erhabene Tendenzen unterschob. Auch fehlte es ihm nicht um
Eitelkeit.

Unser großes Publikum vou heute ist sehr im Unrecht, wenn es die be¬
deutenden Ziele des achtzehnten Jahrhunderts für abgethan hält und sich mit
den Gedanken, die jene Zeit so tief bewegten, nur oberflächlich beschäftigt. Frei¬
lich sehen die Formen, unter denen die Reformideen damals auftraten, nunmehr
alt und grau aus. Aber trotz dieses Äußern, das zur heutigen Welt nicht
passen will, ist soviel Ernst und Gründlichkeit in der entwickelteren geistigen
Arbeit jener Tage, soviel Kernhaftes und Dauerndes in ihren allgemeinen Fort-
schrittsbestrebnngeu, soviel Kühnheit und Schwung in ihren Ansätzen zum Bessern
und Vvllkommneren wahrzunehmen, daß wir uns hüten müssen, gewisse Leistungen
als autiquirt anzusehen, die vielmehr mit den gesunden Tendenzen der Gegen¬
wart innerlich hnrmouiren und deshalb noch hente Beachtung verdienen. Sonnen¬
fels ist keine von den eigentlichen Größen des vorigen Jahrhunderts. Aber indem
er sür die Ideale seiner Zeit wirkte, hat er entschieden Nutzen gestiftet, und
wenn wir seine Schriften aufschlagen, finden wir manches, was auch jetzt uoch
anzieht und lesenswert ist. Jene Ideale sind eben noch nicht ganz nngiltig.

Was vou den literarischen Produkten Souueufelseus eiuen kulturhistorischen
Wert in dem große", schwerwiegenden Sinne hat, ist meist in dem "Mann ohne
Vorurteil" enthalten. Es war dies ursprünglich eine Wochenschrift, in welcher
Sonnenfels uuter dein Namen Kapa-ka-um einen Mann vorführte, der, irgendwo
in der Einsamkeit groß geworden, mit einemmal in die Stadt versetzt wird, sich
in ihre Sitten nicht finden kann und dadurch Veranlassung zu allerhand kri¬
tischen Betrachtungen giebt. Mitunter werden hier Themen von weittragender
Wichtigkeit behandelt, allerdings so, daß die mangelnde Tiefe, mit der die Dinge
aufgefaßt werden, heutzutage, augesichts der veränderten Verhältnisse, offenbar
wird, oder so, daß die Einkleidung des Problems über den ephemeren


Joseph von Sonnonfels.

Er starb 1817 als betagter Greis, ohne Nachkommen, wiewohl er lange und
glücklich verheiratet gewesen war. Unter den zerstörenden Wirkungen des Mi¬
nisteriums Thugut und dein neuen Gestirn Metternich hat er keine politische
Thätigkeit mehr ausgeübt, soudern als Vizepräsident der k. k. Akademie der bil¬
denden Künste anderweitig gewirkt.

Als Mensch zeigte Sonnenfels im ganzen einen tüchtigen, schätzenswerten
Charakter. Doch darf man dabei nicht den höchsten Maßstab anlegen. Anzu¬
erkennen ist der Stolz, der den emporstrebenden Mann abhielt, zur Ermög-
lichung eiuer glüuzendeu öffentlichen Laufbahn vulgäre Mittel nuzuwendeu;
ebenso der Freimut, mit dem er, von vornherein zur Satire geneigt, gegen vieles
Verkehrte auftrat. „Er vertauschte, heißt es von ihm, die ansehnlichste Beför¬
derung gegen das Vergnügen, dem Thoren zu sagen: du bist ein Thor." Dies
hatte nichtsdestoweniger seine praktischen Grenzen. Svnnenfels handelte sogar
vielfach egoistisch, insofern er dem, was er einfach ans Klugheit und prositlichem
Sinne that, erhabene Tendenzen unterschob. Auch fehlte es ihm nicht um
Eitelkeit.

Unser großes Publikum vou heute ist sehr im Unrecht, wenn es die be¬
deutenden Ziele des achtzehnten Jahrhunderts für abgethan hält und sich mit
den Gedanken, die jene Zeit so tief bewegten, nur oberflächlich beschäftigt. Frei¬
lich sehen die Formen, unter denen die Reformideen damals auftraten, nunmehr
alt und grau aus. Aber trotz dieses Äußern, das zur heutigen Welt nicht
passen will, ist soviel Ernst und Gründlichkeit in der entwickelteren geistigen
Arbeit jener Tage, soviel Kernhaftes und Dauerndes in ihren allgemeinen Fort-
schrittsbestrebnngeu, soviel Kühnheit und Schwung in ihren Ansätzen zum Bessern
und Vvllkommneren wahrzunehmen, daß wir uns hüten müssen, gewisse Leistungen
als autiquirt anzusehen, die vielmehr mit den gesunden Tendenzen der Gegen¬
wart innerlich hnrmouiren und deshalb noch hente Beachtung verdienen. Sonnen¬
fels ist keine von den eigentlichen Größen des vorigen Jahrhunderts. Aber indem
er sür die Ideale seiner Zeit wirkte, hat er entschieden Nutzen gestiftet, und
wenn wir seine Schriften aufschlagen, finden wir manches, was auch jetzt uoch
anzieht und lesenswert ist. Jene Ideale sind eben noch nicht ganz nngiltig.

Was vou den literarischen Produkten Souueufelseus eiuen kulturhistorischen
Wert in dem große», schwerwiegenden Sinne hat, ist meist in dem „Mann ohne
Vorurteil" enthalten. Es war dies ursprünglich eine Wochenschrift, in welcher
Sonnenfels uuter dein Namen Kapa-ka-um einen Mann vorführte, der, irgendwo
in der Einsamkeit groß geworden, mit einemmal in die Stadt versetzt wird, sich
in ihre Sitten nicht finden kann und dadurch Veranlassung zu allerhand kri¬
tischen Betrachtungen giebt. Mitunter werden hier Themen von weittragender
Wichtigkeit behandelt, allerdings so, daß die mangelnde Tiefe, mit der die Dinge
aufgefaßt werden, heutzutage, augesichts der veränderten Verhältnisse, offenbar
wird, oder so, daß die Einkleidung des Problems über den ephemeren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/654>, abgerufen am 17.06.2024.