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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Erziehung der deutschen Jugend zur wehrhaftigkeit.

Friedensarbeit in allen Details zum Gemeingut gemachte Sinn für Disziplin,
Subordination und unbedingten Gehorsam ein Heer zu schaffen imstande ist,
welches anch in schwerer Zeit innern Zusammenhang und ünßere Krnftentwick-
lung zeigt. Wir sagen mit voller Absicht uicht blinden Gehorsam, da man sich
gewöhnt hat, unter dieser Bezeichnung die willenlose, gleichsam mechanische Aus¬
führung gegebener Vorschriften zu verstehen, während der unbedingte Gehorsam
fordert, daß ein erhaltener Dienstbefehl ohne Zögern mit vollster Überlegung
und durchaus im Sinne des Befehlenden ausgeführt werde, selbst wenn der
überlegende Geist des Gehorchenden meint, die Sache besser zu verstehen.

Die Gedanken der Franzosen während der Arbeit ihrer militärischen Wieder¬
belebung gipfelten nach den Ereignissen der Jahre 1370/71 in dem Wunsche,
Deutschland womöglich in irgend einer Einrichtung zu überflügeln. Eine be¬
sondere Art militärischer Jugenderziehung schien hierzu das geeignete Mittel,
und l'öoolivr 8vie1g,t wurde bald zu einem Stichworte, dessen sich auch Gambetta
in seiner politischen Agitation lebhaft und gern bediente. Der Gedanke ist nicht
neu und, wie die moderne Art der allgemeinen Wehrpflicht, deutsch oder vielmehr
preußisch. Kein geringerer als Gneisenau hat bereits 1807, als alle Patrioten
zusammenwirkten, um die Wiedererstehnug des darniederliegenden Staates vorzu¬
bereiten, Vorschläge "betreffend die militärische Organisation der Schulen im
Lande" gemacht, welche auf eine gewisse Militarisirung derselben hinausliefen,
Disziplin und kriegerische Übungen einführen wollten. Diese Vorschläge sind
damals zugleich mit dem "Vorläufigen Entwurf der Verfassung der Provinzial-
truppen" von Scharnhorst gewissermaßen als dessen Anlage und Vervollstän¬
digung der nach dem Frieden vou Tilsit eingesetzten Armee-Reorganisations-
Kommissivn eingereicht worden. Inwieweit diese letztere den Plan in Bezug
ans praktische Ausführbarkeit einer Prüfung unterzogen und ob sie ihn in dieser
Richtung gefördert hat, mag dahingestellt bleiben; jedenfalls sind seine Be¬
stimmungen nie eingeführt worden. Läßt sich in Bezug auf den Zeitpunkt, in
welchem damals in Preußen, wie jetzt in Frankreich, ein solcher Plan hervortritt,
eine gewisse Analogie nicht verkennen, so hat man es doch im Nachbarlande
besser verstanden, ihn der Durchführung entgegenreifen zu lassen.

Gambetta hatte, wie oben angedeutet, den Gedanken einer militärischen
Jugenderziehung in sich aufgenommen und war mit dem weiten Blicke des vater¬
landsliebenden, aber revauchedurstigeu Staatsmannes bemüht, demselben eine
weitere Fassung zu gebe". Nicht nur sollte der Knabe körperlich gekräftigt und
dadurch für die militärische Brauchbarkeit im Heere vorbereitet werden, sondern
als Hauptzweck dieser Bestrebungen entpuppte sich die Absicht, mittelst derselben
deu soldatischen Sinn in der Nation zu erwecken oder wieder zu erwecken. Aber
trotz des mächtigen Armes, welcher fördernd, oft vielleicht überhastend, überall
in die Speichen des Staatswagens griff, wo es sich um Entwicklung des Heer¬
wesens handelte, geschah jahrelang nichts in Bezug auf die Einführung um'ki-


Die Erziehung der deutschen Jugend zur wehrhaftigkeit.

Friedensarbeit in allen Details zum Gemeingut gemachte Sinn für Disziplin,
Subordination und unbedingten Gehorsam ein Heer zu schaffen imstande ist,
welches anch in schwerer Zeit innern Zusammenhang und ünßere Krnftentwick-
lung zeigt. Wir sagen mit voller Absicht uicht blinden Gehorsam, da man sich
gewöhnt hat, unter dieser Bezeichnung die willenlose, gleichsam mechanische Aus¬
führung gegebener Vorschriften zu verstehen, während der unbedingte Gehorsam
fordert, daß ein erhaltener Dienstbefehl ohne Zögern mit vollster Überlegung
und durchaus im Sinne des Befehlenden ausgeführt werde, selbst wenn der
überlegende Geist des Gehorchenden meint, die Sache besser zu verstehen.

Die Gedanken der Franzosen während der Arbeit ihrer militärischen Wieder¬
belebung gipfelten nach den Ereignissen der Jahre 1370/71 in dem Wunsche,
Deutschland womöglich in irgend einer Einrichtung zu überflügeln. Eine be¬
sondere Art militärischer Jugenderziehung schien hierzu das geeignete Mittel,
und l'öoolivr 8vie1g,t wurde bald zu einem Stichworte, dessen sich auch Gambetta
in seiner politischen Agitation lebhaft und gern bediente. Der Gedanke ist nicht
neu und, wie die moderne Art der allgemeinen Wehrpflicht, deutsch oder vielmehr
preußisch. Kein geringerer als Gneisenau hat bereits 1807, als alle Patrioten
zusammenwirkten, um die Wiedererstehnug des darniederliegenden Staates vorzu¬
bereiten, Vorschläge „betreffend die militärische Organisation der Schulen im
Lande" gemacht, welche auf eine gewisse Militarisirung derselben hinausliefen,
Disziplin und kriegerische Übungen einführen wollten. Diese Vorschläge sind
damals zugleich mit dem „Vorläufigen Entwurf der Verfassung der Provinzial-
truppen" von Scharnhorst gewissermaßen als dessen Anlage und Vervollstän¬
digung der nach dem Frieden vou Tilsit eingesetzten Armee-Reorganisations-
Kommissivn eingereicht worden. Inwieweit diese letztere den Plan in Bezug
ans praktische Ausführbarkeit einer Prüfung unterzogen und ob sie ihn in dieser
Richtung gefördert hat, mag dahingestellt bleiben; jedenfalls sind seine Be¬
stimmungen nie eingeführt worden. Läßt sich in Bezug auf den Zeitpunkt, in
welchem damals in Preußen, wie jetzt in Frankreich, ein solcher Plan hervortritt,
eine gewisse Analogie nicht verkennen, so hat man es doch im Nachbarlande
besser verstanden, ihn der Durchführung entgegenreifen zu lassen.

Gambetta hatte, wie oben angedeutet, den Gedanken einer militärischen
Jugenderziehung in sich aufgenommen und war mit dem weiten Blicke des vater¬
landsliebenden, aber revauchedurstigeu Staatsmannes bemüht, demselben eine
weitere Fassung zu gebe«. Nicht nur sollte der Knabe körperlich gekräftigt und
dadurch für die militärische Brauchbarkeit im Heere vorbereitet werden, sondern
als Hauptzweck dieser Bestrebungen entpuppte sich die Absicht, mittelst derselben
deu soldatischen Sinn in der Nation zu erwecken oder wieder zu erwecken. Aber
trotz des mächtigen Armes, welcher fördernd, oft vielleicht überhastend, überall
in die Speichen des Staatswagens griff, wo es sich um Entwicklung des Heer¬
wesens handelte, geschah jahrelang nichts in Bezug auf die Einführung um'ki-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/68>, abgerufen am 26.05.2024.