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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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stücke unbemerkt bleiben. Ihr bestes genießt man, wenn man sie abends für
sich allein spielt; ein paar gute Freunde höchstens dürfen zuhören. Die großen
Formen, die hochpathetischen Aufgaben, das dunkle und äußerst leidenschaft¬
liche sind uicht feine Sache. Auch in dein eigentlich Sentimentalen liegt nicht
seine Stärke. Es ist das Gebiet der freundlichen Phantasien, auf welchem er
Bescheid weiß wie wenige. Da entfaltet er die liebenswürdigste Lebendigkeit,
schlägt seine prächtigen, hellen Augen auf, blickt sich neugierig um, findet sinnig
das Verborgenste und stürmt mit derselben jugendlichen Ungeduld vorwärts, die
Schumann eigen ist. Fast schüchtern und besorgt, sich zu verirren, weist er doch
immer wieder neue Wege. Deu gleichmäßigen Schritt unterbricht er durch Ein¬
schaltungen, überrascht durch Zwischensätze von veränderten: Rhythmus und Tempo
oder vou rezitativischem Charakter und vermeidet mit geschickten Schlüssen das
Gewöhnliche. Mit einem Worte: er ist einer der liebenswürdigsten, und die
Klavierspieler, die ihn noch nicht kennen sollten, können nichts besseres thun, als
sich in seinen Kompositionen umzusehen. Von denselben sind die in op. 8 ent¬
haltenen zwölf Charakterstücke hervorzuheben. Der Titel, deu er ihnen gegeben
hat, ist allein schon was wert. Er heißt: "Was einem so in der Dämmerung
einfällt." Außerordentlich sinnig konzipirt ist auch der "Epilog" in op. 8,
hübsch munter die Nummern "Luftiger Frühling überall" in op. 14 und phan¬
tastisch reich die <HiZ.pr1co-ZZtuÄ(Z top. 36).

Wir schließen diese Kategorie mit der Hinzufügung einiger Namen, die in
der spätern Periode von Schumann in der Klaviermusik auftauchten und wieder
verschwanden. Es sind dies Jenn Voigt, der sehr mendelssvhnisch schrieb,
Julius Schäffer, der gehaltvoll und eigen nnftrat, aber sich bald zurückzog,
I. Zellner, ein sehr begabter und interessanter Komponist, der Schumanlischt
und spezifisch österreichische Elemente verbindet, L. Estere und Heinrich sticht.
Letzterer, der schon einer spätern Periode angehört, schreibt sehr gewandt und
interessant, aber zu leicht. Noch wäre aufmerksam zu macheu auf den Wiener
Rufinatscha, einen etwas weichen, aber durch und durch liebenswürdige"! Volks¬
dichter am Klavier, und auf Constantin Bürget, gleichfalls einen jüngern
Klavierkomponisten, dessen Werke auf eine ernste, tüchtige, über das bloße An-
empfinder hinausgewachsene Natur zeigen, welche vielleicht vom Glücke uicht in
dem verdienten Maße unterstützt worden ist. Darauf läßt ein Zug in seinen
Cantilenen schließet:, die von Leiden und Gedrücktsein erzählen und das Weich¬
liche, zuweilen gar das süßliche streifen. Seine Richtung Nieist hinter die
Romantiker zurück, auf die Wiener Klassiker, denen er oft gleichgestimmt erscheint,
einfach behäbig, zuweilen auch auf Bach, allerdings einen Erzromantiker. Besonders
beachtenswert ist seine Suite (op. 6) und in ihr die Fuge mit deu reizenden
Zwischenspielen. Wo er bekannte Stoffe wählt, zeigt er entweder in der Durch¬
führung eignes oder in der Anlage. Hierher gehört ein allerliebstes "Spinn¬
lied," das als dramatische Szene gehalten ist.


stücke unbemerkt bleiben. Ihr bestes genießt man, wenn man sie abends für
sich allein spielt; ein paar gute Freunde höchstens dürfen zuhören. Die großen
Formen, die hochpathetischen Aufgaben, das dunkle und äußerst leidenschaft¬
liche sind uicht feine Sache. Auch in dein eigentlich Sentimentalen liegt nicht
seine Stärke. Es ist das Gebiet der freundlichen Phantasien, auf welchem er
Bescheid weiß wie wenige. Da entfaltet er die liebenswürdigste Lebendigkeit,
schlägt seine prächtigen, hellen Augen auf, blickt sich neugierig um, findet sinnig
das Verborgenste und stürmt mit derselben jugendlichen Ungeduld vorwärts, die
Schumann eigen ist. Fast schüchtern und besorgt, sich zu verirren, weist er doch
immer wieder neue Wege. Deu gleichmäßigen Schritt unterbricht er durch Ein¬
schaltungen, überrascht durch Zwischensätze von veränderten: Rhythmus und Tempo
oder vou rezitativischem Charakter und vermeidet mit geschickten Schlüssen das
Gewöhnliche. Mit einem Worte: er ist einer der liebenswürdigsten, und die
Klavierspieler, die ihn noch nicht kennen sollten, können nichts besseres thun, als
sich in seinen Kompositionen umzusehen. Von denselben sind die in op. 8 ent¬
haltenen zwölf Charakterstücke hervorzuheben. Der Titel, deu er ihnen gegeben
hat, ist allein schon was wert. Er heißt: „Was einem so in der Dämmerung
einfällt." Außerordentlich sinnig konzipirt ist auch der „Epilog" in op. 8,
hübsch munter die Nummern „Luftiger Frühling überall" in op. 14 und phan¬
tastisch reich die <HiZ.pr1co-ZZtuÄ(Z top. 36).

Wir schließen diese Kategorie mit der Hinzufügung einiger Namen, die in
der spätern Periode von Schumann in der Klaviermusik auftauchten und wieder
verschwanden. Es sind dies Jenn Voigt, der sehr mendelssvhnisch schrieb,
Julius Schäffer, der gehaltvoll und eigen nnftrat, aber sich bald zurückzog,
I. Zellner, ein sehr begabter und interessanter Komponist, der Schumanlischt
und spezifisch österreichische Elemente verbindet, L. Estere und Heinrich sticht.
Letzterer, der schon einer spätern Periode angehört, schreibt sehr gewandt und
interessant, aber zu leicht. Noch wäre aufmerksam zu macheu auf den Wiener
Rufinatscha, einen etwas weichen, aber durch und durch liebenswürdige»! Volks¬
dichter am Klavier, und auf Constantin Bürget, gleichfalls einen jüngern
Klavierkomponisten, dessen Werke auf eine ernste, tüchtige, über das bloße An-
empfinder hinausgewachsene Natur zeigen, welche vielleicht vom Glücke uicht in
dem verdienten Maße unterstützt worden ist. Darauf läßt ein Zug in seinen
Cantilenen schließet:, die von Leiden und Gedrücktsein erzählen und das Weich¬
liche, zuweilen gar das süßliche streifen. Seine Richtung Nieist hinter die
Romantiker zurück, auf die Wiener Klassiker, denen er oft gleichgestimmt erscheint,
einfach behäbig, zuweilen auch auf Bach, allerdings einen Erzromantiker. Besonders
beachtenswert ist seine Suite (op. 6) und in ihr die Fuge mit deu reizenden
Zwischenspielen. Wo er bekannte Stoffe wählt, zeigt er entweder in der Durch¬
führung eignes oder in der Anlage. Hierher gehört ein allerliebstes „Spinn¬
lied," das als dramatische Szene gehalten ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/88>, abgerufen am 09.06.2024.