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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Rubinsteins Fähigkeiten sind größer, seine Schwächen kleiner. Er nimmt
daher der Kunstschätzung gegenüber eine Höhere Stellung ein als Raff, in der
Gunst der Pianisten und Verleger vielleicht die allererste unter den zeitgenössischen
Klavierkomponisten. Was immer wieder zu Rubinstein hinzieht, ist seine starke
sinnliche Naturkraft, die er vielleicht zum Teil seiner halbslavischen Abstammung
mit verdankt. Es ist die Energie und Frische, mit der seine schönen Einfülle in
die Welt springen. In der Wirkung nach außen, an Effekt im besten Sinne
des Wortes kann sich mit Rubinstein kaum einer der lebenden Komponisten
Deutschlands messen, er übertrifft darin Brechens, Kirchner, Franz und alle
unsre besten, hinter denen er an Tiefe des Gefühls und der Gedanken, an Ab-
rundung und Gediegenheit des ganzen Wesens bedeutend zurücksteht.

Daß Rubinstein einer unsrer ersten Pianisten ist, merkt man natürlich auch
ein seinen Klavierkompositionen. Ja sein intimes Verhältnis zum Instrument
verleiht allen seinen Klavierwerken ohne Ausnahme einen positiven Reiz, auch
denen, die sonst weiter keinen geistigen Gehalt haben. Den neuen Klcivier-
effekteu hat er stark nachgesonnen, nicht so systematisch und beharrlich wie Henselt,
aber ebenso ergiebig. Namentlich in den Heften der ersten Jugendzeit treffen
wir ihn bei dieser Arbeit und können uns an vielen kleinen Zügen erfreuen-
Da ist namentlich ein Stückchen zu erwähnen, in welchem er den abgerissenen
Klang der Zither nachmacht (ich weiß im Augenblicke nicht den Titel und das
Heft zu nennen). Da wird dem fünften Finger allerdings viel zugemutet
aber das Geniale spricht doch aus dem kleinen Kunststück sehr freundlich und
lohnt der Mühe.

Die Zahl vou Rubinsteins Klavierkompvsitionen, an und für sich sehr groß,
verteilt sich auf alle Gattungen. Das Fach der Charakterstücke und der Baga¬
tellen des Genres hat er um manche unbedeutende, ja triviale Nummer vermehrt,
aber auch mit wirklichen Treffern bereichert. Es giebt Hefte von ihm, die in
dem Musterschrnnk musikalischer Charakteristik vermährt zu werden verdienen-
So op. 51, in welchem in der Ausführung der poetischen Süjets eine erstaun¬
liche Prägnanz entwickelt ist. Eine Kokette, die heute mit dieser, morgen unt
jener Stimmung renommirt, kann nicht besser gezeichnet werden, als es dort
geschehen ist, anch daß die "Melancholie" in ihren kleinen Quälgeistern am
schrecklichsten ist, wird künstlerisch kaum jemals treffender ansgeführt worden sein-
Selbst in Kleinigkeiten, die für gewöhnlich nach der bequemsten Salonschablone
erledigt werden, legt Rubinstein zuweilen eine Fülle von Originalphantnsie-
Wir verweisen hierfür nur auf die "Preghiern" in den Loir6os Ah l-storgdourg
(op. 44), die tun eine Gebetsmelvdie eine immer stärker herbeiströmende Menge
versammelt. Das Abendglöckchcn bimmelt mit hinein. Die Gattung des höher
stilisirten Tanzes verdankt ihm manche brillante Nummer. Wir erinnern uur
an das Album beliebter Nativnaltüuze (op. 82.) Die in demselben befindliche
Vnl,<>> !>>>.'".!,",!>-. das Repertoirestück aller Pianisten, der höchste Wunsch vieler


Rubinsteins Fähigkeiten sind größer, seine Schwächen kleiner. Er nimmt
daher der Kunstschätzung gegenüber eine Höhere Stellung ein als Raff, in der
Gunst der Pianisten und Verleger vielleicht die allererste unter den zeitgenössischen
Klavierkomponisten. Was immer wieder zu Rubinstein hinzieht, ist seine starke
sinnliche Naturkraft, die er vielleicht zum Teil seiner halbslavischen Abstammung
mit verdankt. Es ist die Energie und Frische, mit der seine schönen Einfülle in
die Welt springen. In der Wirkung nach außen, an Effekt im besten Sinne
des Wortes kann sich mit Rubinstein kaum einer der lebenden Komponisten
Deutschlands messen, er übertrifft darin Brechens, Kirchner, Franz und alle
unsre besten, hinter denen er an Tiefe des Gefühls und der Gedanken, an Ab-
rundung und Gediegenheit des ganzen Wesens bedeutend zurücksteht.

Daß Rubinstein einer unsrer ersten Pianisten ist, merkt man natürlich auch
ein seinen Klavierkompositionen. Ja sein intimes Verhältnis zum Instrument
verleiht allen seinen Klavierwerken ohne Ausnahme einen positiven Reiz, auch
denen, die sonst weiter keinen geistigen Gehalt haben. Den neuen Klcivier-
effekteu hat er stark nachgesonnen, nicht so systematisch und beharrlich wie Henselt,
aber ebenso ergiebig. Namentlich in den Heften der ersten Jugendzeit treffen
wir ihn bei dieser Arbeit und können uns an vielen kleinen Zügen erfreuen-
Da ist namentlich ein Stückchen zu erwähnen, in welchem er den abgerissenen
Klang der Zither nachmacht (ich weiß im Augenblicke nicht den Titel und das
Heft zu nennen). Da wird dem fünften Finger allerdings viel zugemutet
aber das Geniale spricht doch aus dem kleinen Kunststück sehr freundlich und
lohnt der Mühe.

Die Zahl vou Rubinsteins Klavierkompvsitionen, an und für sich sehr groß,
verteilt sich auf alle Gattungen. Das Fach der Charakterstücke und der Baga¬
tellen des Genres hat er um manche unbedeutende, ja triviale Nummer vermehrt,
aber auch mit wirklichen Treffern bereichert. Es giebt Hefte von ihm, die in
dem Musterschrnnk musikalischer Charakteristik vermährt zu werden verdienen-
So op. 51, in welchem in der Ausführung der poetischen Süjets eine erstaun¬
liche Prägnanz entwickelt ist. Eine Kokette, die heute mit dieser, morgen unt
jener Stimmung renommirt, kann nicht besser gezeichnet werden, als es dort
geschehen ist, anch daß die „Melancholie" in ihren kleinen Quälgeistern am
schrecklichsten ist, wird künstlerisch kaum jemals treffender ansgeführt worden sein-
Selbst in Kleinigkeiten, die für gewöhnlich nach der bequemsten Salonschablone
erledigt werden, legt Rubinstein zuweilen eine Fülle von Originalphantnsie-
Wir verweisen hierfür nur auf die „Preghiern" in den Loir6os Ah l-storgdourg
(op. 44), die tun eine Gebetsmelvdie eine immer stärker herbeiströmende Menge
versammelt. Das Abendglöckchcn bimmelt mit hinein. Die Gattung des höher
stilisirten Tanzes verdankt ihm manche brillante Nummer. Wir erinnern uur
an das Album beliebter Nativnaltüuze (op. 82.) Die in demselben befindliche
Vnl,<>> !>>>.'».!,»,!>-. das Repertoirestück aller Pianisten, der höchste Wunsch vieler


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[0094] Rubinsteins Fähigkeiten sind größer, seine Schwächen kleiner. Er nimmt daher der Kunstschätzung gegenüber eine Höhere Stellung ein als Raff, in der Gunst der Pianisten und Verleger vielleicht die allererste unter den zeitgenössischen Klavierkomponisten. Was immer wieder zu Rubinstein hinzieht, ist seine starke sinnliche Naturkraft, die er vielleicht zum Teil seiner halbslavischen Abstammung mit verdankt. Es ist die Energie und Frische, mit der seine schönen Einfülle in die Welt springen. In der Wirkung nach außen, an Effekt im besten Sinne des Wortes kann sich mit Rubinstein kaum einer der lebenden Komponisten Deutschlands messen, er übertrifft darin Brechens, Kirchner, Franz und alle unsre besten, hinter denen er an Tiefe des Gefühls und der Gedanken, an Ab- rundung und Gediegenheit des ganzen Wesens bedeutend zurücksteht. Daß Rubinstein einer unsrer ersten Pianisten ist, merkt man natürlich auch ein seinen Klavierkompositionen. Ja sein intimes Verhältnis zum Instrument verleiht allen seinen Klavierwerken ohne Ausnahme einen positiven Reiz, auch denen, die sonst weiter keinen geistigen Gehalt haben. Den neuen Klcivier- effekteu hat er stark nachgesonnen, nicht so systematisch und beharrlich wie Henselt, aber ebenso ergiebig. Namentlich in den Heften der ersten Jugendzeit treffen wir ihn bei dieser Arbeit und können uns an vielen kleinen Zügen erfreuen- Da ist namentlich ein Stückchen zu erwähnen, in welchem er den abgerissenen Klang der Zither nachmacht (ich weiß im Augenblicke nicht den Titel und das Heft zu nennen). Da wird dem fünften Finger allerdings viel zugemutet aber das Geniale spricht doch aus dem kleinen Kunststück sehr freundlich und lohnt der Mühe. Die Zahl vou Rubinsteins Klavierkompvsitionen, an und für sich sehr groß, verteilt sich auf alle Gattungen. Das Fach der Charakterstücke und der Baga¬ tellen des Genres hat er um manche unbedeutende, ja triviale Nummer vermehrt, aber auch mit wirklichen Treffern bereichert. Es giebt Hefte von ihm, die in dem Musterschrnnk musikalischer Charakteristik vermährt zu werden verdienen- So op. 51, in welchem in der Ausführung der poetischen Süjets eine erstaun¬ liche Prägnanz entwickelt ist. Eine Kokette, die heute mit dieser, morgen unt jener Stimmung renommirt, kann nicht besser gezeichnet werden, als es dort geschehen ist, anch daß die „Melancholie" in ihren kleinen Quälgeistern am schrecklichsten ist, wird künstlerisch kaum jemals treffender ansgeführt worden sein- Selbst in Kleinigkeiten, die für gewöhnlich nach der bequemsten Salonschablone erledigt werden, legt Rubinstein zuweilen eine Fülle von Originalphantnsie- Wir verweisen hierfür nur auf die „Preghiern" in den Loir6os Ah l-storgdourg (op. 44), die tun eine Gebetsmelvdie eine immer stärker herbeiströmende Menge versammelt. Das Abendglöckchcn bimmelt mit hinein. Die Gattung des höher stilisirten Tanzes verdankt ihm manche brillante Nummer. Wir erinnern uur an das Album beliebter Nativnaltüuze (op. 82.) Die in demselben befindliche Vnl,<>> !>>>.'».!,»,!>-. das Repertoirestück aller Pianisten, der höchste Wunsch vieler

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/94>, abgerufen am 09.06.2024.