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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Klaviermusik seit Robert Schumann.

Klavierschiilcrinnen, hat darin noch manches gleichwertige Seitenstück. Die "Ta-
rantelle" ist vielleicht noch bedeutender.

Es ist in den kleinen Klavierstücke" Rubinsteins wie in seinen Liedern.
Er könnte darin das höchste leisten und lauter Kabinetstücke leisten, wenn es
das Ungestüm seiner Bestrebungen und seines Genies zugelassen hätte. Funken
von Genie erglänzen unerwartet, Ausbrüche eines heißen Gemütes erfolgen an
unvermuteten Orte. Wer erwartete warmen Gesang in einer Sextenetüde?
Studirt hat Rubinstein in seiner Weise viel und mit Feuereifer. Die Gesammt-
masse seiner Klavierwerkc bietet dafür Belege genug. Er schrieb Fugen unt aus¬
gesucht schwierigen Themen (ox>. 53), in denen das Klavier die Orgel an Klang¬
fülle fast überbieten will. Präludien gehen vorher mit interessanter Mischling
von freiem und gebundenen. Stile. Graue Haare siud dem Komponisten bei
derlei Studie" jedoch nicht gewachsen, und ein Bach ist nicht dabei herausge¬
kommen. Bütten sie weiter nichts eingebracht als einen kleinen Zusatz vou
koutrapmiktischcr Gründlichkeit, so wäre dies für Rubinsteins wildes Genie schon
eine Wohlthat gewesen. Aber nicht einmal dies! Frühzeitig bewundert und
gefeiert, hat Rubinstein auch mit seiner Entwicklung frühzeitig abgeschlossen.
Seine Jndividi.alität. wie sie uns hente erscheint, war schon vor zwanzig wahren
fertig. Kopfüber von einer Komposition in die andre sich stürzend, ist er immer
derselbe geblieben. Wenige Werke, die nicht wenigstens sporadisch von einem
Funken originellen Geistes durchblitzt wären. aber in der großen Menge kaum
uns, das als Ganzes schön und vollkommen befriedigend genannt werden konnte.
Immer wechseln lebenstrotzende Melodien mit matten Phrasen, immer folgt auf
einen Satz voll Schwung und Leidenschaft ein kalter, flacher, immer schließt
schwach und banal, was' glänzend und frisch begonnen wurde. Wer eine seiner
vier Klaviersouaten keimt -- die in ?-cor ist die bedeutendste --, der keimt
genug. Immer wieder dieselbe Erscheinung: viel Naturgemc und wcmg K>..use
und Ansdauer. Ein Anfang auf stolzer Höhe, dann ein förmlich terrassen¬
förmiger Absturz auf niedres Niveau. Das Flatternde, der nistete Zug einer
genialen Phantasie ist vielleicht ein Familienzng der Rnbinsteine Wenigstens
begegnen wir ihm in den wenigen Kleinigkeiten (^uni^ ä'^im^), d.e Nicolaus
Rubinstein, der vielgepriesene Bruder Antons, geschrieben, ebenfalls. Wir müssen
Rubinstein nehme... wie er ist. Entwickeln wird er ^ weiter trotz der
""jährlich wiederholten Versicherungen seiner Freunde. Zum Glucke b eM bei
"Um Abzügen, die an seinen Klavicrkompositionen zu machen sind. an. hübsches
S'Uiunchen von erfreulichen Gebilden.

Von Rubinstein zu Franz Liszt ist kein großer schritt: anch er ist ieme
harmonische Erscheinung Die Geschichte der Klavierkompositlon wird ihm trotzdem
einen ersten PlaK zuweisen müssen, weil er einzelne Fächer der Gattung zur höchsten
Entwicklung gebracht hat, welche zur Zeit erreichbar erscheint, andre überhaupt
zuerst ins Lebe,, gerufen hat. Die That, durch welche sich Liszt um die Klavier-


Die Klaviermusik seit Robert Schumann.

Klavierschiilcrinnen, hat darin noch manches gleichwertige Seitenstück. Die „Ta-
rantelle" ist vielleicht noch bedeutender.

Es ist in den kleinen Klavierstücke» Rubinsteins wie in seinen Liedern.
Er könnte darin das höchste leisten und lauter Kabinetstücke leisten, wenn es
das Ungestüm seiner Bestrebungen und seines Genies zugelassen hätte. Funken
von Genie erglänzen unerwartet, Ausbrüche eines heißen Gemütes erfolgen an
unvermuteten Orte. Wer erwartete warmen Gesang in einer Sextenetüde?
Studirt hat Rubinstein in seiner Weise viel und mit Feuereifer. Die Gesammt-
masse seiner Klavierwerkc bietet dafür Belege genug. Er schrieb Fugen unt aus¬
gesucht schwierigen Themen (ox>. 53), in denen das Klavier die Orgel an Klang¬
fülle fast überbieten will. Präludien gehen vorher mit interessanter Mischling
von freiem und gebundenen. Stile. Graue Haare siud dem Komponisten bei
derlei Studie» jedoch nicht gewachsen, und ein Bach ist nicht dabei herausge¬
kommen. Bütten sie weiter nichts eingebracht als einen kleinen Zusatz vou
koutrapmiktischcr Gründlichkeit, so wäre dies für Rubinsteins wildes Genie schon
eine Wohlthat gewesen. Aber nicht einmal dies! Frühzeitig bewundert und
gefeiert, hat Rubinstein auch mit seiner Entwicklung frühzeitig abgeschlossen.
Seine Jndividi.alität. wie sie uns hente erscheint, war schon vor zwanzig wahren
fertig. Kopfüber von einer Komposition in die andre sich stürzend, ist er immer
derselbe geblieben. Wenige Werke, die nicht wenigstens sporadisch von einem
Funken originellen Geistes durchblitzt wären. aber in der großen Menge kaum
uns, das als Ganzes schön und vollkommen befriedigend genannt werden konnte.
Immer wechseln lebenstrotzende Melodien mit matten Phrasen, immer folgt auf
einen Satz voll Schwung und Leidenschaft ein kalter, flacher, immer schließt
schwach und banal, was' glänzend und frisch begonnen wurde. Wer eine seiner
vier Klaviersouaten keimt — die in ?-cor ist die bedeutendste —, der keimt
genug. Immer wieder dieselbe Erscheinung: viel Naturgemc und wcmg K>..use
und Ansdauer. Ein Anfang auf stolzer Höhe, dann ein förmlich terrassen¬
förmiger Absturz auf niedres Niveau. Das Flatternde, der nistete Zug einer
genialen Phantasie ist vielleicht ein Familienzng der Rnbinsteine Wenigstens
begegnen wir ihm in den wenigen Kleinigkeiten (^uni^ ä'^im^), d.e Nicolaus
Rubinstein, der vielgepriesene Bruder Antons, geschrieben, ebenfalls. Wir müssen
Rubinstein nehme... wie er ist. Entwickeln wird er ^ weiter trotz der
"«jährlich wiederholten Versicherungen seiner Freunde. Zum Glucke b eM bei
"Um Abzügen, die an seinen Klavicrkompositionen zu machen sind. an. hübsches
S'Uiunchen von erfreulichen Gebilden.

Von Rubinstein zu Franz Liszt ist kein großer schritt: anch er ist ieme
harmonische Erscheinung Die Geschichte der Klavierkompositlon wird ihm trotzdem
einen ersten PlaK zuweisen müssen, weil er einzelne Fächer der Gattung zur höchsten
Entwicklung gebracht hat, welche zur Zeit erreichbar erscheint, andre überhaupt
zuerst ins Lebe,, gerufen hat. Die That, durch welche sich Liszt um die Klavier-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/95>, abgerufen am 10.06.2024.