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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Das verflossene Jahr.

erneuert werden müsse, und die längere Legislaturperiode lasse der Regierung
eine ihr ergebne Majorität länger zur Verfügung. Sie begriffen -- natürlich --
nicht, daß eine Regierung mehr Ursache hat, sich um die dauernde Ueberein¬
stimmung mit einer Majorität zu bemühen, wenn der Erfolg der Mühe lohnt,
und daß eine Majorität wenig nützt, die morgen schon nach Hause geht, und statt
die öffentliche Meinung zu läutern und zu lenken, vielmehr deren unklaren
Stimmungen lauscht, um nur ja ihr werdes Mandat wieder zu erhalten.

Die Einheit des Reiches war unvollendet, so lange es in ihm noch Staaten
gab, die nicht zum Zollverein gehörten. Daher hatte der Reichskanzler 1879
an die Senate von Hamburg und Bremen die Aufforderung zum Anschluß
an denselben ergehen lassen. Die Reichsverfassung bestimmte, daß jene Staaten
als Freihafen außerhalb der Zollgrenze verbleiben sollten, bis sie selbst den Einschluß
in dieselbe verlangten, und die Neichsregiernng hatte in dem Glauben, letzteres
werde bald geschehen, Altona und Umgegend nicht in das Zollgebiet gezogen.
Als aber jetzt die Aufforderung des Kanzlers ablehnend beantwortet wurde,
beantragte dieser beim Bundesrate den Einschluß Altvnas und eines Teils der
Hamburger Vorstadt Se. Pauli in die Grenzen des Zollvereins. Hamburg stellte
den Gegenantrag, Se. Pauli außerhalb dieser Grenzen zu lassen, und Laster
forderte, zum Particularisten geworden, den Reichstag auf, diese Einverleibung,
falls Hamburg nicht zustimme, für unvereinbar mit der deutschen Verfassung zu
erklären. Darauf schlug der Reichskanzler den praktischen Weg ein, daß er den
Bundesrat ersuchte, eine Zolllinie zu suchen, die den Anschluß Altonas ermög¬
liche, und der Bundesrat fand eine solche. Hiermit hing der Streit über die
revidirte Elbschifffahrtsakte zusammen, welche die Regierung in den Stand setzte,
die auf der Elbe bestehende Zollgrenze zwischen Hamburg und das Meer zu
verlegen. Fortschritt, Secession und Centrum erblickten darin eine Pression auf
Hamburg und verlangten, daß die jetzige Zollgrenze nur vermittelst eines Gesetzes
verrückt werden dürfe. Der Reichskanzler erklärte diesen Antrag für eine Ueber-
schreitung der dem Reichstage zustehenden Befugnis und rief der Opposition zu:
"Glauben Sie nicht, daß irgend ein Reichstag fester steht als die Bundesrats¬
rechte." Bald darauf erfolgte die thatsächliche Antwort auf das Begehren Ham¬
burgs und seiner Partikularistischen Freunde im Reichstage in Gestalt eines
Bundesratsbeschlnsses, durch welchen die Zollgrenze auf der Unterelbe nach Kux-
haven verlegt wurde. Hamburg war von jetzt an thatsächlich nichts andres als
eine Enclave des Reichszollgebietes. Im Hinblick hierauf beeilte man sich von
Seiten des Senats nachzugeben, und als der Kanzler im Hinblick auf die Rechte,
die Hamburg nach der Verfassung zustehen, sehr liberale Bedingungen gewährte,
kam am 26. Mai 1881 ein Vertrag zustande, nach welchem der Freistaat in
den Zollverein trat. Ganz ähnliches ist in nächster Zeit von Bremen zu er¬
warten, so daß Deutschland in kurzem ein Zoll- und ein Handelsgebiet bilden
wird.


Das verflossene Jahr.

erneuert werden müsse, und die längere Legislaturperiode lasse der Regierung
eine ihr ergebne Majorität länger zur Verfügung. Sie begriffen — natürlich —
nicht, daß eine Regierung mehr Ursache hat, sich um die dauernde Ueberein¬
stimmung mit einer Majorität zu bemühen, wenn der Erfolg der Mühe lohnt,
und daß eine Majorität wenig nützt, die morgen schon nach Hause geht, und statt
die öffentliche Meinung zu läutern und zu lenken, vielmehr deren unklaren
Stimmungen lauscht, um nur ja ihr werdes Mandat wieder zu erhalten.

Die Einheit des Reiches war unvollendet, so lange es in ihm noch Staaten
gab, die nicht zum Zollverein gehörten. Daher hatte der Reichskanzler 1879
an die Senate von Hamburg und Bremen die Aufforderung zum Anschluß
an denselben ergehen lassen. Die Reichsverfassung bestimmte, daß jene Staaten
als Freihafen außerhalb der Zollgrenze verbleiben sollten, bis sie selbst den Einschluß
in dieselbe verlangten, und die Neichsregiernng hatte in dem Glauben, letzteres
werde bald geschehen, Altona und Umgegend nicht in das Zollgebiet gezogen.
Als aber jetzt die Aufforderung des Kanzlers ablehnend beantwortet wurde,
beantragte dieser beim Bundesrate den Einschluß Altvnas und eines Teils der
Hamburger Vorstadt Se. Pauli in die Grenzen des Zollvereins. Hamburg stellte
den Gegenantrag, Se. Pauli außerhalb dieser Grenzen zu lassen, und Laster
forderte, zum Particularisten geworden, den Reichstag auf, diese Einverleibung,
falls Hamburg nicht zustimme, für unvereinbar mit der deutschen Verfassung zu
erklären. Darauf schlug der Reichskanzler den praktischen Weg ein, daß er den
Bundesrat ersuchte, eine Zolllinie zu suchen, die den Anschluß Altonas ermög¬
liche, und der Bundesrat fand eine solche. Hiermit hing der Streit über die
revidirte Elbschifffahrtsakte zusammen, welche die Regierung in den Stand setzte,
die auf der Elbe bestehende Zollgrenze zwischen Hamburg und das Meer zu
verlegen. Fortschritt, Secession und Centrum erblickten darin eine Pression auf
Hamburg und verlangten, daß die jetzige Zollgrenze nur vermittelst eines Gesetzes
verrückt werden dürfe. Der Reichskanzler erklärte diesen Antrag für eine Ueber-
schreitung der dem Reichstage zustehenden Befugnis und rief der Opposition zu:
„Glauben Sie nicht, daß irgend ein Reichstag fester steht als die Bundesrats¬
rechte." Bald darauf erfolgte die thatsächliche Antwort auf das Begehren Ham¬
burgs und seiner Partikularistischen Freunde im Reichstage in Gestalt eines
Bundesratsbeschlnsses, durch welchen die Zollgrenze auf der Unterelbe nach Kux-
haven verlegt wurde. Hamburg war von jetzt an thatsächlich nichts andres als
eine Enclave des Reichszollgebietes. Im Hinblick hierauf beeilte man sich von
Seiten des Senats nachzugeben, und als der Kanzler im Hinblick auf die Rechte,
die Hamburg nach der Verfassung zustehen, sehr liberale Bedingungen gewährte,
kam am 26. Mai 1881 ein Vertrag zustande, nach welchem der Freistaat in
den Zollverein trat. Ganz ähnliches ist in nächster Zeit von Bremen zu er¬
warten, so daß Deutschland in kurzem ein Zoll- und ein Handelsgebiet bilden
wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/13>, abgerufen am 26.05.2024.