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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Das verflossene Jahr.

Der Kulturkampf wurde im vergangnen Jahre zwar nicht beendigt, zeigte
aber bei weitem mildere Züge als bisher, wenn auch das Centrum seine oppo¬
sitionelle Stellung beibehielt. Im März betraten die Domkapitel von Pader-
born und Osnabrück den Boden des Juligesetzes von 1830, wählten Bistums¬
verweser und zeigten deren Namen der Negierung an, die, da ihr kein Bedenken
beikam, von der ihr übertragnen Vollmacht Gebrauch machte und ihnen unter Ent¬
bindung von dem vorgeschriebnen Eide die Ausübung bischöflicher Funktionen
gestattete. Dagegen lehnte sie die Bestätigung des in der Diöcese Trier gewählten
Bistumsverwesers de Lorenzi ab, weil er keine Bürgschaft für friedliches und ge¬
setzliches Verhalten zu geben schien. Indes fand für die hierdurch entstandene
Schwierigkeit der Papst ein Auskunftsmittel, indem er in v. Korum von Stra߬
burg eine Persönlichkeit zum Bischof ersah, welche die Regierung als ihr genehm
bezeichnen konnte, und ihn bewog, das Amt zu übernehmen. Bald darauf er¬
folgte die Besetzung eines zweiten durch den Tod erledigten Bischofstuhls: der
allgemein für sehr gemäßigt geltende Hildesheimer Generalvikar Kopp wurde mit
Zustimmung der Staatsbehörde zum Bischof von Fulda ernannt. Auch sonst
wurde dem Notstände der katholischen Kirche Preußens mit den Vollmachten,
die der Landtag der Regierung 1830 erteilt hatte, in großem Umfange abge¬
holfen. Namentlich geschah dies durch Wicderbesetzung erledigter Pfarrstellen,
so daß schon Ende Januar nur noch in 3 Procent der 4604 katholischen
Pfarreien Preußens die regelmäßige Seelsorge fehlte. Endlich kamen anch die
1880 abgebrochnen Unterhandlungen zwischen der preußischen Regierung und der
Curie im Sommer wieder in Fluß, indem der deutsche Gesandte in Washington
v. Schlözer während seines Aufenthalts i" Rom zunächst durch Privntgespräche
mit Würdenträgern der katholischen Kirche die Hoffnung gewann, daß in wichtigen
Punkten eine Verständigung nicht unmöglich sei, und dann, vom auswärtigen
Amte wieder nach Rom geschickt, den Weg zu einem Ausgleiche weiter verfolgte.
Auch diese weiteren Besprechungen waren freilich nur vorbereitender Natur, sie
hatten nnr den Zweck, die Regierung in Berlin zu informiren. Auch handelte es
sich dabei nicht um einen definitiven Frieden, sondern um Überleitung des Kampfes
in einen Zustand friedfertigen Zusammenlebens, der nicht vertragsmäßig, sondern
durch eine sich mehr und mehr befestigende versöhnliche Praxis geschaffen werden
soll. Zu dieser Praxis wird die Regierung neue diskretiouäre Vollmachten vom
Landtage bedürfen. Eine derartige Vorlage wird aber vermutlich nicht eher er¬
folgen, als bis die versöhnliche Stimmung im Vatikan sich weiter praktisch be¬
thätigt haben wird.

Als Hauptereignisse des letzten Jahres sind endlich noch die im Spätherbst
vollzogenen Reichstagswahlen und die sich daran knüpfende Kauzlerkrisis
zu verzeichnen. Das Resultat der Wahlen war eine Verschiebung des parla¬
mentarischen Schwerpunktes nach links, eine Verstärkung der Fortschrittsfraktivn
und der ihr verwandten Secessionisten, eine dem entsprechende Schwächung der


Das verflossene Jahr.

Der Kulturkampf wurde im vergangnen Jahre zwar nicht beendigt, zeigte
aber bei weitem mildere Züge als bisher, wenn auch das Centrum seine oppo¬
sitionelle Stellung beibehielt. Im März betraten die Domkapitel von Pader-
born und Osnabrück den Boden des Juligesetzes von 1830, wählten Bistums¬
verweser und zeigten deren Namen der Negierung an, die, da ihr kein Bedenken
beikam, von der ihr übertragnen Vollmacht Gebrauch machte und ihnen unter Ent¬
bindung von dem vorgeschriebnen Eide die Ausübung bischöflicher Funktionen
gestattete. Dagegen lehnte sie die Bestätigung des in der Diöcese Trier gewählten
Bistumsverwesers de Lorenzi ab, weil er keine Bürgschaft für friedliches und ge¬
setzliches Verhalten zu geben schien. Indes fand für die hierdurch entstandene
Schwierigkeit der Papst ein Auskunftsmittel, indem er in v. Korum von Stra߬
burg eine Persönlichkeit zum Bischof ersah, welche die Regierung als ihr genehm
bezeichnen konnte, und ihn bewog, das Amt zu übernehmen. Bald darauf er¬
folgte die Besetzung eines zweiten durch den Tod erledigten Bischofstuhls: der
allgemein für sehr gemäßigt geltende Hildesheimer Generalvikar Kopp wurde mit
Zustimmung der Staatsbehörde zum Bischof von Fulda ernannt. Auch sonst
wurde dem Notstände der katholischen Kirche Preußens mit den Vollmachten,
die der Landtag der Regierung 1830 erteilt hatte, in großem Umfange abge¬
holfen. Namentlich geschah dies durch Wicderbesetzung erledigter Pfarrstellen,
so daß schon Ende Januar nur noch in 3 Procent der 4604 katholischen
Pfarreien Preußens die regelmäßige Seelsorge fehlte. Endlich kamen anch die
1880 abgebrochnen Unterhandlungen zwischen der preußischen Regierung und der
Curie im Sommer wieder in Fluß, indem der deutsche Gesandte in Washington
v. Schlözer während seines Aufenthalts i» Rom zunächst durch Privntgespräche
mit Würdenträgern der katholischen Kirche die Hoffnung gewann, daß in wichtigen
Punkten eine Verständigung nicht unmöglich sei, und dann, vom auswärtigen
Amte wieder nach Rom geschickt, den Weg zu einem Ausgleiche weiter verfolgte.
Auch diese weiteren Besprechungen waren freilich nur vorbereitender Natur, sie
hatten nnr den Zweck, die Regierung in Berlin zu informiren. Auch handelte es
sich dabei nicht um einen definitiven Frieden, sondern um Überleitung des Kampfes
in einen Zustand friedfertigen Zusammenlebens, der nicht vertragsmäßig, sondern
durch eine sich mehr und mehr befestigende versöhnliche Praxis geschaffen werden
soll. Zu dieser Praxis wird die Regierung neue diskretiouäre Vollmachten vom
Landtage bedürfen. Eine derartige Vorlage wird aber vermutlich nicht eher er¬
folgen, als bis die versöhnliche Stimmung im Vatikan sich weiter praktisch be¬
thätigt haben wird.

Als Hauptereignisse des letzten Jahres sind endlich noch die im Spätherbst
vollzogenen Reichstagswahlen und die sich daran knüpfende Kauzlerkrisis
zu verzeichnen. Das Resultat der Wahlen war eine Verschiebung des parla¬
mentarischen Schwerpunktes nach links, eine Verstärkung der Fortschrittsfraktivn
und der ihr verwandten Secessionisten, eine dem entsprechende Schwächung der


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[0014] Das verflossene Jahr. Der Kulturkampf wurde im vergangnen Jahre zwar nicht beendigt, zeigte aber bei weitem mildere Züge als bisher, wenn auch das Centrum seine oppo¬ sitionelle Stellung beibehielt. Im März betraten die Domkapitel von Pader- born und Osnabrück den Boden des Juligesetzes von 1830, wählten Bistums¬ verweser und zeigten deren Namen der Negierung an, die, da ihr kein Bedenken beikam, von der ihr übertragnen Vollmacht Gebrauch machte und ihnen unter Ent¬ bindung von dem vorgeschriebnen Eide die Ausübung bischöflicher Funktionen gestattete. Dagegen lehnte sie die Bestätigung des in der Diöcese Trier gewählten Bistumsverwesers de Lorenzi ab, weil er keine Bürgschaft für friedliches und ge¬ setzliches Verhalten zu geben schien. Indes fand für die hierdurch entstandene Schwierigkeit der Papst ein Auskunftsmittel, indem er in v. Korum von Stra߬ burg eine Persönlichkeit zum Bischof ersah, welche die Regierung als ihr genehm bezeichnen konnte, und ihn bewog, das Amt zu übernehmen. Bald darauf er¬ folgte die Besetzung eines zweiten durch den Tod erledigten Bischofstuhls: der allgemein für sehr gemäßigt geltende Hildesheimer Generalvikar Kopp wurde mit Zustimmung der Staatsbehörde zum Bischof von Fulda ernannt. Auch sonst wurde dem Notstände der katholischen Kirche Preußens mit den Vollmachten, die der Landtag der Regierung 1830 erteilt hatte, in großem Umfange abge¬ holfen. Namentlich geschah dies durch Wicderbesetzung erledigter Pfarrstellen, so daß schon Ende Januar nur noch in 3 Procent der 4604 katholischen Pfarreien Preußens die regelmäßige Seelsorge fehlte. Endlich kamen anch die 1880 abgebrochnen Unterhandlungen zwischen der preußischen Regierung und der Curie im Sommer wieder in Fluß, indem der deutsche Gesandte in Washington v. Schlözer während seines Aufenthalts i» Rom zunächst durch Privntgespräche mit Würdenträgern der katholischen Kirche die Hoffnung gewann, daß in wichtigen Punkten eine Verständigung nicht unmöglich sei, und dann, vom auswärtigen Amte wieder nach Rom geschickt, den Weg zu einem Ausgleiche weiter verfolgte. Auch diese weiteren Besprechungen waren freilich nur vorbereitender Natur, sie hatten nnr den Zweck, die Regierung in Berlin zu informiren. Auch handelte es sich dabei nicht um einen definitiven Frieden, sondern um Überleitung des Kampfes in einen Zustand friedfertigen Zusammenlebens, der nicht vertragsmäßig, sondern durch eine sich mehr und mehr befestigende versöhnliche Praxis geschaffen werden soll. Zu dieser Praxis wird die Regierung neue diskretiouäre Vollmachten vom Landtage bedürfen. Eine derartige Vorlage wird aber vermutlich nicht eher er¬ folgen, als bis die versöhnliche Stimmung im Vatikan sich weiter praktisch be¬ thätigt haben wird. Als Hauptereignisse des letzten Jahres sind endlich noch die im Spätherbst vollzogenen Reichstagswahlen und die sich daran knüpfende Kauzlerkrisis zu verzeichnen. Das Resultat der Wahlen war eine Verschiebung des parla¬ mentarischen Schwerpunktes nach links, eine Verstärkung der Fortschrittsfraktivn und der ihr verwandten Secessionisten, eine dem entsprechende Schwächung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/14>, abgerufen am 18.05.2024.