Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Bakchen und Thyrsostrciger,

Unrecht Gut! stich der andre hervor. Was das nun für Ausdrücke siud!
Wärst du uicht schou in reifen Jahren, so möchte ich dir mit Schiller erwiedern:
Schnell fertig ist die Jngend mit dem Wort, das schwer sich handhabt wie des
Messers Schneide.

Da hast du Recht, mein lieber Balduin, das Wort darfst du ans mich wohl
nicht mehr anwenden.

Aber doch, sagte der Politiker mit spöttischem Lächeln, scheinst du mir ge¬
wisse Schuellfertigkeitcn aus der Jugend beibehalten zu haben, die seltsam mit
dem grauen Barte kontrastiren. Kinder nennen ja alle Dinge gern schön oder
häßlich, gut oder böse, recht oder unrecht, aber du hast doch wohl lange genug
in der Welt gelebt, um gesehen zu haben, daß diese absoluten Bezeichnungen
überhaupt nicht anzuwenden sind, sondern daß alles relativ ist.

Da scheint es mir, als wäre es kein Fortschritt, die Kinderschuhe aufzu-
treten. Du meinst also wirklich, daß man die Bezeichnungen Recht und Unrecht
nie absolut anwenden könnte?

Mein Bester, erwiederte der Abgeordnete, wir streiten bei solchen Erörterungen
um des Kaisers Bart. Du weißt so gut wie ich selbst, daß Recht und Unrecht
konventionelle Begriffe sind, die man festgestellt hat zum Besten der Gesellschaft,
die sich sonst gegenseitig zerfleischen würde. Aber jede Gesellschaft schafft sich
ihre Begriffe darüber nach ihren besondern Bedürfnissen und lebt sich dann in
ihre speziellen Rechtsanschauungen hinein. Deshalb sind auch die Begriffe Recht
und Unrecht ebenso verschieden wie die Zeiten und Völker und ebendeshalb auch
durchaus relativ. Wollen wir die Sache genau betrachten, ohne uns durch das
Mäntelchen täuschen zu lassen, daß man ihr aus wohlbedachter Vorsicht umhängt,
so müssen wir sagen: Das Recht ist lediglich Machtfrage. Alle Gerechtigkeit
ist. wenn du sie genau besiehst, ein Schutzzaun für die Leute, welche im Besitze
sind. Ich erinnere mich, daß der französische Finanzminister Necker geschrieben
hat. daß überhaupt alle bürgerlichen Einrichtungen zum Besten der Eigentümer
^schaffen wären, daß sich eine kleine Anzahl von Menschen in die Erde geteilt
und dann Bestimmungen getroffen hätte, sich in ihrem Besitze zu behaupten.
Diese Bestimmungen nenne man Gesetze. Das schrieb Necker vor mehr als
hundert Jahren, heute würde man vielleicht denken, ein Communist habe es ge¬
schrieben. Aber vor mehr als zweitausend Jahren sagten die Plebejer in Rom
schon ebendasselbe, worauf ihnen der kluge Menenius Agrippa die schöne Geschichte
Ava Magen zum besten gab. Überall ist das für Recht angenommen worden,
was der Stärkste für Recht erklärt hat. Zu jeder Zeit und bei jedem Volle hat
der Stärkste, nämlich der Herrscher, festgesetzt, was Recht und was Unrecht sein soll.

Das ist eine recht praktische Erklärung, sagte der Gelehrte, aber erkläre
doch, mein Lieber, sind denn die Herrscher, nämlich die Stärksten, alle gleich gut
u"d gerecht, oder kann man auch Unterschiede uuter ihnen machen, svdnß man
also von gerechtern und ungerechter!, Herrschern oder Regierungen sprechen kann?


Bakchen und Thyrsostrciger,

Unrecht Gut! stich der andre hervor. Was das nun für Ausdrücke siud!
Wärst du uicht schou in reifen Jahren, so möchte ich dir mit Schiller erwiedern:
Schnell fertig ist die Jngend mit dem Wort, das schwer sich handhabt wie des
Messers Schneide.

Da hast du Recht, mein lieber Balduin, das Wort darfst du ans mich wohl
nicht mehr anwenden.

Aber doch, sagte der Politiker mit spöttischem Lächeln, scheinst du mir ge¬
wisse Schuellfertigkeitcn aus der Jugend beibehalten zu haben, die seltsam mit
dem grauen Barte kontrastiren. Kinder nennen ja alle Dinge gern schön oder
häßlich, gut oder böse, recht oder unrecht, aber du hast doch wohl lange genug
in der Welt gelebt, um gesehen zu haben, daß diese absoluten Bezeichnungen
überhaupt nicht anzuwenden sind, sondern daß alles relativ ist.

Da scheint es mir, als wäre es kein Fortschritt, die Kinderschuhe aufzu-
treten. Du meinst also wirklich, daß man die Bezeichnungen Recht und Unrecht
nie absolut anwenden könnte?

Mein Bester, erwiederte der Abgeordnete, wir streiten bei solchen Erörterungen
um des Kaisers Bart. Du weißt so gut wie ich selbst, daß Recht und Unrecht
konventionelle Begriffe sind, die man festgestellt hat zum Besten der Gesellschaft,
die sich sonst gegenseitig zerfleischen würde. Aber jede Gesellschaft schafft sich
ihre Begriffe darüber nach ihren besondern Bedürfnissen und lebt sich dann in
ihre speziellen Rechtsanschauungen hinein. Deshalb sind auch die Begriffe Recht
und Unrecht ebenso verschieden wie die Zeiten und Völker und ebendeshalb auch
durchaus relativ. Wollen wir die Sache genau betrachten, ohne uns durch das
Mäntelchen täuschen zu lassen, daß man ihr aus wohlbedachter Vorsicht umhängt,
so müssen wir sagen: Das Recht ist lediglich Machtfrage. Alle Gerechtigkeit
ist. wenn du sie genau besiehst, ein Schutzzaun für die Leute, welche im Besitze
sind. Ich erinnere mich, daß der französische Finanzminister Necker geschrieben
hat. daß überhaupt alle bürgerlichen Einrichtungen zum Besten der Eigentümer
^schaffen wären, daß sich eine kleine Anzahl von Menschen in die Erde geteilt
und dann Bestimmungen getroffen hätte, sich in ihrem Besitze zu behaupten.
Diese Bestimmungen nenne man Gesetze. Das schrieb Necker vor mehr als
hundert Jahren, heute würde man vielleicht denken, ein Communist habe es ge¬
schrieben. Aber vor mehr als zweitausend Jahren sagten die Plebejer in Rom
schon ebendasselbe, worauf ihnen der kluge Menenius Agrippa die schöne Geschichte
Ava Magen zum besten gab. Überall ist das für Recht angenommen worden,
was der Stärkste für Recht erklärt hat. Zu jeder Zeit und bei jedem Volle hat
der Stärkste, nämlich der Herrscher, festgesetzt, was Recht und was Unrecht sein soll.

Das ist eine recht praktische Erklärung, sagte der Gelehrte, aber erkläre
doch, mein Lieber, sind denn die Herrscher, nämlich die Stärksten, alle gleich gut
u»d gerecht, oder kann man auch Unterschiede uuter ihnen machen, svdnß man
also von gerechtern und ungerechter!, Herrschern oder Regierungen sprechen kann?


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0151" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86272"/>
          <fw type="header" place="top"> Bakchen und Thyrsostrciger,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_583"> Unrecht Gut! stich der andre hervor. Was das nun für Ausdrücke siud!<lb/>
Wärst du uicht schou in reifen Jahren, so möchte ich dir mit Schiller erwiedern:<lb/>
Schnell fertig ist die Jngend mit dem Wort, das schwer sich handhabt wie des<lb/>
Messers Schneide.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_584"> Da hast du Recht, mein lieber Balduin, das Wort darfst du ans mich wohl<lb/>
nicht mehr anwenden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_585"> Aber doch, sagte der Politiker mit spöttischem Lächeln, scheinst du mir ge¬<lb/>
wisse Schuellfertigkeitcn aus der Jugend beibehalten zu haben, die seltsam mit<lb/>
dem grauen Barte kontrastiren. Kinder nennen ja alle Dinge gern schön oder<lb/>
häßlich, gut oder böse, recht oder unrecht, aber du hast doch wohl lange genug<lb/>
in der Welt gelebt, um gesehen zu haben, daß diese absoluten Bezeichnungen<lb/>
überhaupt nicht anzuwenden sind, sondern daß alles relativ ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_586"> Da scheint es mir, als wäre es kein Fortschritt, die Kinderschuhe aufzu-<lb/>
treten. Du meinst also wirklich, daß man die Bezeichnungen Recht und Unrecht<lb/>
nie absolut anwenden könnte?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_587"> Mein Bester, erwiederte der Abgeordnete, wir streiten bei solchen Erörterungen<lb/>
um des Kaisers Bart. Du weißt so gut wie ich selbst, daß Recht und Unrecht<lb/>
konventionelle Begriffe sind, die man festgestellt hat zum Besten der Gesellschaft,<lb/>
die sich sonst gegenseitig zerfleischen würde. Aber jede Gesellschaft schafft sich<lb/>
ihre Begriffe darüber nach ihren besondern Bedürfnissen und lebt sich dann in<lb/>
ihre speziellen Rechtsanschauungen hinein. Deshalb sind auch die Begriffe Recht<lb/>
und Unrecht ebenso verschieden wie die Zeiten und Völker und ebendeshalb auch<lb/>
durchaus relativ. Wollen wir die Sache genau betrachten, ohne uns durch das<lb/>
Mäntelchen täuschen zu lassen, daß man ihr aus wohlbedachter Vorsicht umhängt,<lb/>
so müssen wir sagen: Das Recht ist lediglich Machtfrage. Alle Gerechtigkeit<lb/>
ist. wenn du sie genau besiehst, ein Schutzzaun für die Leute, welche im Besitze<lb/>
sind. Ich erinnere mich, daß der französische Finanzminister Necker geschrieben<lb/>
hat. daß überhaupt alle bürgerlichen Einrichtungen zum Besten der Eigentümer<lb/>
^schaffen wären, daß sich eine kleine Anzahl von Menschen in die Erde geteilt<lb/>
und dann Bestimmungen getroffen hätte, sich in ihrem Besitze zu behaupten.<lb/>
Diese Bestimmungen nenne man Gesetze. Das schrieb Necker vor mehr als<lb/>
hundert Jahren, heute würde man vielleicht denken, ein Communist habe es ge¬<lb/>
schrieben. Aber vor mehr als zweitausend Jahren sagten die Plebejer in Rom<lb/>
schon ebendasselbe, worauf ihnen der kluge Menenius Agrippa die schöne Geschichte<lb/>
Ava Magen zum besten gab. Überall ist das für Recht angenommen worden,<lb/>
was der Stärkste für Recht erklärt hat. Zu jeder Zeit und bei jedem Volle hat<lb/>
der Stärkste, nämlich der Herrscher, festgesetzt, was Recht und was Unrecht sein soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_588"> Das ist eine recht praktische Erklärung, sagte der Gelehrte, aber erkläre<lb/>
doch, mein Lieber, sind denn die Herrscher, nämlich die Stärksten, alle gleich gut<lb/>
u»d gerecht, oder kann man auch Unterschiede uuter ihnen machen, svdnß man<lb/>
also von gerechtern und ungerechter!, Herrschern oder Regierungen sprechen kann?</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0151] Bakchen und Thyrsostrciger, Unrecht Gut! stich der andre hervor. Was das nun für Ausdrücke siud! Wärst du uicht schou in reifen Jahren, so möchte ich dir mit Schiller erwiedern: Schnell fertig ist die Jngend mit dem Wort, das schwer sich handhabt wie des Messers Schneide. Da hast du Recht, mein lieber Balduin, das Wort darfst du ans mich wohl nicht mehr anwenden. Aber doch, sagte der Politiker mit spöttischem Lächeln, scheinst du mir ge¬ wisse Schuellfertigkeitcn aus der Jugend beibehalten zu haben, die seltsam mit dem grauen Barte kontrastiren. Kinder nennen ja alle Dinge gern schön oder häßlich, gut oder böse, recht oder unrecht, aber du hast doch wohl lange genug in der Welt gelebt, um gesehen zu haben, daß diese absoluten Bezeichnungen überhaupt nicht anzuwenden sind, sondern daß alles relativ ist. Da scheint es mir, als wäre es kein Fortschritt, die Kinderschuhe aufzu- treten. Du meinst also wirklich, daß man die Bezeichnungen Recht und Unrecht nie absolut anwenden könnte? Mein Bester, erwiederte der Abgeordnete, wir streiten bei solchen Erörterungen um des Kaisers Bart. Du weißt so gut wie ich selbst, daß Recht und Unrecht konventionelle Begriffe sind, die man festgestellt hat zum Besten der Gesellschaft, die sich sonst gegenseitig zerfleischen würde. Aber jede Gesellschaft schafft sich ihre Begriffe darüber nach ihren besondern Bedürfnissen und lebt sich dann in ihre speziellen Rechtsanschauungen hinein. Deshalb sind auch die Begriffe Recht und Unrecht ebenso verschieden wie die Zeiten und Völker und ebendeshalb auch durchaus relativ. Wollen wir die Sache genau betrachten, ohne uns durch das Mäntelchen täuschen zu lassen, daß man ihr aus wohlbedachter Vorsicht umhängt, so müssen wir sagen: Das Recht ist lediglich Machtfrage. Alle Gerechtigkeit ist. wenn du sie genau besiehst, ein Schutzzaun für die Leute, welche im Besitze sind. Ich erinnere mich, daß der französische Finanzminister Necker geschrieben hat. daß überhaupt alle bürgerlichen Einrichtungen zum Besten der Eigentümer ^schaffen wären, daß sich eine kleine Anzahl von Menschen in die Erde geteilt und dann Bestimmungen getroffen hätte, sich in ihrem Besitze zu behaupten. Diese Bestimmungen nenne man Gesetze. Das schrieb Necker vor mehr als hundert Jahren, heute würde man vielleicht denken, ein Communist habe es ge¬ schrieben. Aber vor mehr als zweitausend Jahren sagten die Plebejer in Rom schon ebendasselbe, worauf ihnen der kluge Menenius Agrippa die schöne Geschichte Ava Magen zum besten gab. Überall ist das für Recht angenommen worden, was der Stärkste für Recht erklärt hat. Zu jeder Zeit und bei jedem Volle hat der Stärkste, nämlich der Herrscher, festgesetzt, was Recht und was Unrecht sein soll. Das ist eine recht praktische Erklärung, sagte der Gelehrte, aber erkläre doch, mein Lieber, sind denn die Herrscher, nämlich die Stärksten, alle gleich gut u»d gerecht, oder kann man auch Unterschiede uuter ihnen machen, svdnß man also von gerechtern und ungerechter!, Herrschern oder Regierungen sprechen kann?

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/151
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/151>, abgerufen am 17.06.2024.