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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakche" und Thyrsosträger.

weg cseamvlirt, laß uns einmal den Staat betrachten. Nicht wahr, den Staat,
der andre Gemeinwesen überfällt, unterjocht und dann beherrscht, nennst du
ungerecht?

Allerdings.

Wird dieser Staat nun seine Macht behaupten, indem er in seinem Innern
Ungerechtigkeit walten läßt oder Gerechtigkeit?

Das läßt sich mit einem Worte uicht entscheiden, er muß in jedem Falle
sehen, was zu seinem Vorteile ist.

Glaubst dn denn, mein Sohn, daß ein Heer, welches ins Feld zieht, etwas
ausrichten kann, wenn die verschiedenen Regimenter sich untereinander befehden?
Oder daß selbst Räuber und Diebe, die gemeinsam stehlen, ihren Zweck erreichen,
wenn sie einander Unrecht thun?

Natürlich nicht.

Sondern das Heer mag einen noch so ungerechten Krieg führen, in seinem
^"nem muß doch Gerechtigkeit herrschen, sonst kann es nicht siegen, und die
Räuber müssen untereinander Treue halten, sonst können sie nicht gemeinsam
stehlen. Denn die Ungerechtigkeit verursacht Zwiespalt, Haß, Verrat und gegen¬
seitigen Kampf, die Gerechtigkeit Eintracht und Freundschaft. Sollte nun wohl
die Ungerechtigkeit ihre Wirkung verlieren, wenn sie, anstatt einem Gemeinwesen,
wiem einzelnen Menschen innewohnt? Gewiß nicht. Sie hat immer die Wirkung,
daß sie jeden, dem sie innewohnt, sei es ein Volk oder ein Heer oder ein
^nzelner, znerst unfähig macht, in sich selbst eins zu sein, dann aber auch in
Zwiespalt versetzt mit sich selbst und jedem Gegner und ihn verhaßt macht bei
den Menschen und bei Gott. Schwach also, mein Sohn, ist der Ungerechte,
"ud "ur der Gerechte stark, und wenn wir sagen: Diese Ungerechten haben etwas
gemeinschaftlich tüchtig ausgeführt, so ist das uicht ganz richtig ausgedrückt, denn
wenn sie vollendet ungerecht wären, so hätten sie sich auch untereinander nicht
verschont; es wohnte ihnen vielmehr ein Teil Gerechtigkeit bei, durch welchen sie
M Ziel erreichten, und nur halb verdorben gingen sie auf das Ungerechte aus.

Lieber Vater, sagte der Jüngling, ich bin zwar im Herzen der Meinung,
W es besser sei gerecht als ungerecht zu sein, und fühle auch, daß der Gute
MMcher ist als der Böse. Aber hänfig streitet doch mein Kopf gegen diese
^ einiing, und wenn ich betrachte, wie es in der Welt zugeht, kommen mir viele
gedenken. Willst dn es nun machen wie Onkel Balduin und dich mit dem
chem der Überzeugung begnügen, oder willst du mich wirklich überzeugen, daß
°" Gerechtigkeit besser sei als die Ungerechtigkeit?

Wenn ich könnte, so möchte ich dich gern wirklich überzeugen, entgegnete
Vater freundlich.

d - siehst du, fuhr der Jüngling fort, bis jetzt bist du noch nicht auf
Wesen der Frage gekommen. Ich will dir sagen, wie ich das meine. Nicht
"hr, es giebt doch ein Gutes, das wir begehren um seiner selbst willen, nicht


Bakche» und Thyrsosträger.

weg cseamvlirt, laß uns einmal den Staat betrachten. Nicht wahr, den Staat,
der andre Gemeinwesen überfällt, unterjocht und dann beherrscht, nennst du
ungerecht?

Allerdings.

Wird dieser Staat nun seine Macht behaupten, indem er in seinem Innern
Ungerechtigkeit walten läßt oder Gerechtigkeit?

Das läßt sich mit einem Worte uicht entscheiden, er muß in jedem Falle
sehen, was zu seinem Vorteile ist.

Glaubst dn denn, mein Sohn, daß ein Heer, welches ins Feld zieht, etwas
ausrichten kann, wenn die verschiedenen Regimenter sich untereinander befehden?
Oder daß selbst Räuber und Diebe, die gemeinsam stehlen, ihren Zweck erreichen,
wenn sie einander Unrecht thun?

Natürlich nicht.

Sondern das Heer mag einen noch so ungerechten Krieg führen, in seinem
^»nem muß doch Gerechtigkeit herrschen, sonst kann es nicht siegen, und die
Räuber müssen untereinander Treue halten, sonst können sie nicht gemeinsam
stehlen. Denn die Ungerechtigkeit verursacht Zwiespalt, Haß, Verrat und gegen¬
seitigen Kampf, die Gerechtigkeit Eintracht und Freundschaft. Sollte nun wohl
die Ungerechtigkeit ihre Wirkung verlieren, wenn sie, anstatt einem Gemeinwesen,
wiem einzelnen Menschen innewohnt? Gewiß nicht. Sie hat immer die Wirkung,
daß sie jeden, dem sie innewohnt, sei es ein Volk oder ein Heer oder ein
^nzelner, znerst unfähig macht, in sich selbst eins zu sein, dann aber auch in
Zwiespalt versetzt mit sich selbst und jedem Gegner und ihn verhaßt macht bei
den Menschen und bei Gott. Schwach also, mein Sohn, ist der Ungerechte,
"ud „ur der Gerechte stark, und wenn wir sagen: Diese Ungerechten haben etwas
gemeinschaftlich tüchtig ausgeführt, so ist das uicht ganz richtig ausgedrückt, denn
wenn sie vollendet ungerecht wären, so hätten sie sich auch untereinander nicht
verschont; es wohnte ihnen vielmehr ein Teil Gerechtigkeit bei, durch welchen sie
M Ziel erreichten, und nur halb verdorben gingen sie auf das Ungerechte aus.

Lieber Vater, sagte der Jüngling, ich bin zwar im Herzen der Meinung,
W es besser sei gerecht als ungerecht zu sein, und fühle auch, daß der Gute
MMcher ist als der Böse. Aber hänfig streitet doch mein Kopf gegen diese
^ einiing, und wenn ich betrachte, wie es in der Welt zugeht, kommen mir viele
gedenken. Willst dn es nun machen wie Onkel Balduin und dich mit dem
chem der Überzeugung begnügen, oder willst du mich wirklich überzeugen, daß
°" Gerechtigkeit besser sei als die Ungerechtigkeit?

Wenn ich könnte, so möchte ich dich gern wirklich überzeugen, entgegnete
Vater freundlich.

d - siehst du, fuhr der Jüngling fort, bis jetzt bist du noch nicht auf
Wesen der Frage gekommen. Ich will dir sagen, wie ich das meine. Nicht
"hr, es giebt doch ein Gutes, das wir begehren um seiner selbst willen, nicht


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[0155] Bakche» und Thyrsosträger. weg cseamvlirt, laß uns einmal den Staat betrachten. Nicht wahr, den Staat, der andre Gemeinwesen überfällt, unterjocht und dann beherrscht, nennst du ungerecht? Allerdings. Wird dieser Staat nun seine Macht behaupten, indem er in seinem Innern Ungerechtigkeit walten läßt oder Gerechtigkeit? Das läßt sich mit einem Worte uicht entscheiden, er muß in jedem Falle sehen, was zu seinem Vorteile ist. Glaubst dn denn, mein Sohn, daß ein Heer, welches ins Feld zieht, etwas ausrichten kann, wenn die verschiedenen Regimenter sich untereinander befehden? Oder daß selbst Räuber und Diebe, die gemeinsam stehlen, ihren Zweck erreichen, wenn sie einander Unrecht thun? Natürlich nicht. Sondern das Heer mag einen noch so ungerechten Krieg führen, in seinem ^»nem muß doch Gerechtigkeit herrschen, sonst kann es nicht siegen, und die Räuber müssen untereinander Treue halten, sonst können sie nicht gemeinsam stehlen. Denn die Ungerechtigkeit verursacht Zwiespalt, Haß, Verrat und gegen¬ seitigen Kampf, die Gerechtigkeit Eintracht und Freundschaft. Sollte nun wohl die Ungerechtigkeit ihre Wirkung verlieren, wenn sie, anstatt einem Gemeinwesen, wiem einzelnen Menschen innewohnt? Gewiß nicht. Sie hat immer die Wirkung, daß sie jeden, dem sie innewohnt, sei es ein Volk oder ein Heer oder ein ^nzelner, znerst unfähig macht, in sich selbst eins zu sein, dann aber auch in Zwiespalt versetzt mit sich selbst und jedem Gegner und ihn verhaßt macht bei den Menschen und bei Gott. Schwach also, mein Sohn, ist der Ungerechte, "ud „ur der Gerechte stark, und wenn wir sagen: Diese Ungerechten haben etwas gemeinschaftlich tüchtig ausgeführt, so ist das uicht ganz richtig ausgedrückt, denn wenn sie vollendet ungerecht wären, so hätten sie sich auch untereinander nicht verschont; es wohnte ihnen vielmehr ein Teil Gerechtigkeit bei, durch welchen sie M Ziel erreichten, und nur halb verdorben gingen sie auf das Ungerechte aus. Lieber Vater, sagte der Jüngling, ich bin zwar im Herzen der Meinung, W es besser sei gerecht als ungerecht zu sein, und fühle auch, daß der Gute MMcher ist als der Böse. Aber hänfig streitet doch mein Kopf gegen diese ^ einiing, und wenn ich betrachte, wie es in der Welt zugeht, kommen mir viele gedenken. Willst dn es nun machen wie Onkel Balduin und dich mit dem chem der Überzeugung begnügen, oder willst du mich wirklich überzeugen, daß °" Gerechtigkeit besser sei als die Ungerechtigkeit? Wenn ich könnte, so möchte ich dich gern wirklich überzeugen, entgegnete Vater freundlich. d - siehst du, fuhr der Jüngling fort, bis jetzt bist du noch nicht auf Wesen der Frage gekommen. Ich will dir sagen, wie ich das meine. Nicht "hr, es giebt doch ein Gutes, das wir begehren um seiner selbst willen, nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/155>, abgerufen am 17.06.2024.