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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträgor.

Staaten nach den Rezepten der Nechtsdoktoren, sondern die Geschichtschreiber
und die Rechtslehrer sind dazu da, daß sie aus den bestehenden Machtverhält-
nissen das Recht deduciren.

Der Abgeordnete winkte majestätisch mit der Hand zum Abschiedsgruß und
schritt hinaus.

Da geht er hin, der Onkel Irrwisch, sagte Dr. Stahlhnrdt lachend zu dem
blassen Jüngling, Da geht er hin, nachdem er seinen ganzen Kocher voller
Pfeile über uns ergossen hat, fliehend gleich den Parthern.

Er hätte noch nicht zu fliehen nötig gehabt, entgegnete dieser, seine dunkeln,
melancholischen Angen auf den Vater richtend. Aber er hatte nicht den Mut
seine eigentliche Meinung zu gestehen, nämlich die, daß überhaupt in der Welt
die Ungerechtigkeit weit stärker und mächtiger ist als die Gerechtigkeit.

Das also, glaubst du, hätte er leichter beweisen können, als seine Behauptung,
Recht und Unrecht seien nur Wörter ohne Sinn?

Ja, das glaube ich, denn der Augenschein lehrt es.

So sage mir doch, wie würdest du das verteidigen?

Ich freilich möchte es für mich selbst gar nicht verteidigen, sondern mir
im Sinne des Onkels, indem ich die Partie fortführe, die er verlassen hat. Ich
würde also sagen, daß die Ungerechtigkeit, da sie kein Mittel verschmäht, weder
die guten noch die schlechten, wenn sie uur zum Ziele führen, notwendigerweise
mehr Erfolg haben muß als die Gerechtigkeit, da diese sich nur der guten Mittel
bedient. Nur muß mau natürlich nicht eine halbe Ungerechtigkeit, die also noch
Skrupel kennt, einer halben Gerechtigkeit entgegensetzen, sondern eine vollendete
Ungerechtigkeit der vollendeten Gerechtigkeit.

Gut. Nun weiter. Du wirst wohl nichts dagegen haben, das eine von
beiden Tugend zu nennen und das andre Schlechtigkeit.

Dagegen habe ich nichts.

Also wirst du doch wohl die Gerechtigkeit Tugend nennen und die Un¬
gerechtigkeit Schlechtigkeit.

Das müßte ich wohl.

Daß die Tugend auch wohl Weisheit genannt werden könnte, willst dn auch
nicht leugnen?

Nein.

Demnach würde die Schlechtigkeit Unverstand sein.

Ganz recht.

So konntel? wir also die vollendete Gerechtigkeit auch vollendete Weisheit
nennen und die vollendete Ungerechtigkeit vollendete Thorheit.

Jawohl.

Deine Behauptung ist also, daß die vollendete Thorheit stärker und mächtiger
ist als die vollendete Weisheit. Aber damit du uicht denkst, ich hätte des Onkels
politische Weisheit mit diesem Vertauschen der Wörter dir unter deu Händen


Bakchen und Thyrsosträgor.

Staaten nach den Rezepten der Nechtsdoktoren, sondern die Geschichtschreiber
und die Rechtslehrer sind dazu da, daß sie aus den bestehenden Machtverhält-
nissen das Recht deduciren.

Der Abgeordnete winkte majestätisch mit der Hand zum Abschiedsgruß und
schritt hinaus.

Da geht er hin, der Onkel Irrwisch, sagte Dr. Stahlhnrdt lachend zu dem
blassen Jüngling, Da geht er hin, nachdem er seinen ganzen Kocher voller
Pfeile über uns ergossen hat, fliehend gleich den Parthern.

Er hätte noch nicht zu fliehen nötig gehabt, entgegnete dieser, seine dunkeln,
melancholischen Angen auf den Vater richtend. Aber er hatte nicht den Mut
seine eigentliche Meinung zu gestehen, nämlich die, daß überhaupt in der Welt
die Ungerechtigkeit weit stärker und mächtiger ist als die Gerechtigkeit.

Das also, glaubst du, hätte er leichter beweisen können, als seine Behauptung,
Recht und Unrecht seien nur Wörter ohne Sinn?

Ja, das glaube ich, denn der Augenschein lehrt es.

So sage mir doch, wie würdest du das verteidigen?

Ich freilich möchte es für mich selbst gar nicht verteidigen, sondern mir
im Sinne des Onkels, indem ich die Partie fortführe, die er verlassen hat. Ich
würde also sagen, daß die Ungerechtigkeit, da sie kein Mittel verschmäht, weder
die guten noch die schlechten, wenn sie uur zum Ziele führen, notwendigerweise
mehr Erfolg haben muß als die Gerechtigkeit, da diese sich nur der guten Mittel
bedient. Nur muß mau natürlich nicht eine halbe Ungerechtigkeit, die also noch
Skrupel kennt, einer halben Gerechtigkeit entgegensetzen, sondern eine vollendete
Ungerechtigkeit der vollendeten Gerechtigkeit.

Gut. Nun weiter. Du wirst wohl nichts dagegen haben, das eine von
beiden Tugend zu nennen und das andre Schlechtigkeit.

Dagegen habe ich nichts.

Also wirst du doch wohl die Gerechtigkeit Tugend nennen und die Un¬
gerechtigkeit Schlechtigkeit.

Das müßte ich wohl.

Daß die Tugend auch wohl Weisheit genannt werden könnte, willst dn auch
nicht leugnen?

Nein.

Demnach würde die Schlechtigkeit Unverstand sein.

Ganz recht.

So konntel? wir also die vollendete Gerechtigkeit auch vollendete Weisheit
nennen und die vollendete Ungerechtigkeit vollendete Thorheit.

Jawohl.

Deine Behauptung ist also, daß die vollendete Thorheit stärker und mächtiger
ist als die vollendete Weisheit. Aber damit du uicht denkst, ich hätte des Onkels
politische Weisheit mit diesem Vertauschen der Wörter dir unter deu Händen


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[0154] Bakchen und Thyrsosträgor. Staaten nach den Rezepten der Nechtsdoktoren, sondern die Geschichtschreiber und die Rechtslehrer sind dazu da, daß sie aus den bestehenden Machtverhält- nissen das Recht deduciren. Der Abgeordnete winkte majestätisch mit der Hand zum Abschiedsgruß und schritt hinaus. Da geht er hin, der Onkel Irrwisch, sagte Dr. Stahlhnrdt lachend zu dem blassen Jüngling, Da geht er hin, nachdem er seinen ganzen Kocher voller Pfeile über uns ergossen hat, fliehend gleich den Parthern. Er hätte noch nicht zu fliehen nötig gehabt, entgegnete dieser, seine dunkeln, melancholischen Angen auf den Vater richtend. Aber er hatte nicht den Mut seine eigentliche Meinung zu gestehen, nämlich die, daß überhaupt in der Welt die Ungerechtigkeit weit stärker und mächtiger ist als die Gerechtigkeit. Das also, glaubst du, hätte er leichter beweisen können, als seine Behauptung, Recht und Unrecht seien nur Wörter ohne Sinn? Ja, das glaube ich, denn der Augenschein lehrt es. So sage mir doch, wie würdest du das verteidigen? Ich freilich möchte es für mich selbst gar nicht verteidigen, sondern mir im Sinne des Onkels, indem ich die Partie fortführe, die er verlassen hat. Ich würde also sagen, daß die Ungerechtigkeit, da sie kein Mittel verschmäht, weder die guten noch die schlechten, wenn sie uur zum Ziele führen, notwendigerweise mehr Erfolg haben muß als die Gerechtigkeit, da diese sich nur der guten Mittel bedient. Nur muß mau natürlich nicht eine halbe Ungerechtigkeit, die also noch Skrupel kennt, einer halben Gerechtigkeit entgegensetzen, sondern eine vollendete Ungerechtigkeit der vollendeten Gerechtigkeit. Gut. Nun weiter. Du wirst wohl nichts dagegen haben, das eine von beiden Tugend zu nennen und das andre Schlechtigkeit. Dagegen habe ich nichts. Also wirst du doch wohl die Gerechtigkeit Tugend nennen und die Un¬ gerechtigkeit Schlechtigkeit. Das müßte ich wohl. Daß die Tugend auch wohl Weisheit genannt werden könnte, willst dn auch nicht leugnen? Nein. Demnach würde die Schlechtigkeit Unverstand sein. Ganz recht. So konntel? wir also die vollendete Gerechtigkeit auch vollendete Weisheit nennen und die vollendete Ungerechtigkeit vollendete Thorheit. Jawohl. Deine Behauptung ist also, daß die vollendete Thorheit stärker und mächtiger ist als die vollendete Weisheit. Aber damit du uicht denkst, ich hätte des Onkels politische Weisheit mit diesem Vertauschen der Wörter dir unter deu Händen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/154>, abgerufen am 17.06.2024.