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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Friedrich List und die thüringische Eisenbahn.

Aber List wußte zu gut, daß Zeitungsartikel allein keine Wunder thun, daß
alles noch von persönlicher Einwirkung abhänge. Infolge dessen begab er sich
zum Regierungspräsidenten von Stein nach Gotha, fand hier Verständnis und
Entgegenkommen und erfuhr, daß die thüringischen Fürsten persönlich das höchste
Interesse an der Sache nähmen. Diesen Umstand ließ er nicht unbenutzt, und durch
Steins Vermittlung wurde es ihm möglich, direkt an den Höfen von Coburg,
Meiningen und Weimar für die thüringische Centralbahn zu wirken und die
Fürsten dieser Staaten für die möglichste Beschleunigung der Angelegenheit, vor
allen Dingen zum gemeinsamen Handeln zu gewinnen.

Am 1. August 1840 kamen bereits die Abgesandten der drei Staaten in
Meiningen zusammen, um die Grundlagen eines thüringischen Eisenbahnvereins
festzustellen. List war zur Stelle. Den Kommissären entwickelte er einzeln seine
Pläne und legte ihnen einen Entwurf zu einem Staatsverträge vor. Zu den
Sitzungen selbst freilich wurde er uicht zugezogen, und so kam es, daß man durch
fünftägige Verhandlungen nur zu der Vereinbarung gelangte, gemeinsame Sache
machen zu wollen, und daß man sich zur Vollziehung dieses Vertrages noch zu
einer weiteren Konferenz nach Gotha vertagte, die dann wirklich um die Mitte
des Monats stattfand. Nähere Vereinbarungen über die Ausführung des Bahn¬
baues und über ein Expropriationsgesetz behielt man sich vor.

Der Vertragsentwurf, den List vorgelegt hatte, enthielt ausführliche Be¬
stimmungen über die Beziehungen der drei Staaten zueinander und zu der Aktien¬
gesellschaft, falls die Staaten die Bahn nicht selbst bauen würden. Er garantirte
der Gesellschaft drei Prozent Dividende und gab ihr das Recht, eine Million
Thaler unverzinsliche Scheine auszugeben, und eine Million verzinsliche Spar¬
scheine, welche eine Tabelle ausgedrückt bekomme" sollten, die ihren Wert von
Monat zu Monat unter Zugrundelegung einer drciprozentigcn Verzinsung an¬
geben sollte. Diesen Vorrechten gegenüber war den Staaten ein Anteil an den
höheren Dividenden ausgemacht, eine bestimmte Quote des Reinertrags für die
Reserve- und Tilgungsfvnds ausgesetzt und ein Zeitpunkt bestimmt, zu welchem
die Bahn in den Besitz der Staaten übergehen sollte. Mündlich hatte List die
einzelnen Punkte erläutert und mit aller Energie auf Beschleunigung gedrungen.
Er hatte gefordert, daß man schnell Mittel zusammenbringe, einerseits, damit
von tüchtigen und erfahrenen Technikern sofort mit den Vermessungen und im
Spätherbst bereits dort, wo die Richtung der Bahn keinem Zweifel unterliege,
mit dem Bau begonnen werden, andrerseits, damit man in Berlin, Kassel und
München für einen Anschluß an die Thüringer Centralbahn in Verhandlung
treten könne.

Die thüringischen Staatsbeamten auf der Meininger Konferenz waren in¬
deß für solche Eile nicht sonderlich eingenommen; sie bestanden darauf, erst
Staatsverträge über die Formalitäten abzuschließen. Lifts Einwand, daß anch
die Chausseen ohne Staatsverträge zustande gekommen seien, konnte daran


Friedrich List und die thüringische Eisenbahn.

Aber List wußte zu gut, daß Zeitungsartikel allein keine Wunder thun, daß
alles noch von persönlicher Einwirkung abhänge. Infolge dessen begab er sich
zum Regierungspräsidenten von Stein nach Gotha, fand hier Verständnis und
Entgegenkommen und erfuhr, daß die thüringischen Fürsten persönlich das höchste
Interesse an der Sache nähmen. Diesen Umstand ließ er nicht unbenutzt, und durch
Steins Vermittlung wurde es ihm möglich, direkt an den Höfen von Coburg,
Meiningen und Weimar für die thüringische Centralbahn zu wirken und die
Fürsten dieser Staaten für die möglichste Beschleunigung der Angelegenheit, vor
allen Dingen zum gemeinsamen Handeln zu gewinnen.

Am 1. August 1840 kamen bereits die Abgesandten der drei Staaten in
Meiningen zusammen, um die Grundlagen eines thüringischen Eisenbahnvereins
festzustellen. List war zur Stelle. Den Kommissären entwickelte er einzeln seine
Pläne und legte ihnen einen Entwurf zu einem Staatsverträge vor. Zu den
Sitzungen selbst freilich wurde er uicht zugezogen, und so kam es, daß man durch
fünftägige Verhandlungen nur zu der Vereinbarung gelangte, gemeinsame Sache
machen zu wollen, und daß man sich zur Vollziehung dieses Vertrages noch zu
einer weiteren Konferenz nach Gotha vertagte, die dann wirklich um die Mitte
des Monats stattfand. Nähere Vereinbarungen über die Ausführung des Bahn¬
baues und über ein Expropriationsgesetz behielt man sich vor.

Der Vertragsentwurf, den List vorgelegt hatte, enthielt ausführliche Be¬
stimmungen über die Beziehungen der drei Staaten zueinander und zu der Aktien¬
gesellschaft, falls die Staaten die Bahn nicht selbst bauen würden. Er garantirte
der Gesellschaft drei Prozent Dividende und gab ihr das Recht, eine Million
Thaler unverzinsliche Scheine auszugeben, und eine Million verzinsliche Spar¬
scheine, welche eine Tabelle ausgedrückt bekomme» sollten, die ihren Wert von
Monat zu Monat unter Zugrundelegung einer drciprozentigcn Verzinsung an¬
geben sollte. Diesen Vorrechten gegenüber war den Staaten ein Anteil an den
höheren Dividenden ausgemacht, eine bestimmte Quote des Reinertrags für die
Reserve- und Tilgungsfvnds ausgesetzt und ein Zeitpunkt bestimmt, zu welchem
die Bahn in den Besitz der Staaten übergehen sollte. Mündlich hatte List die
einzelnen Punkte erläutert und mit aller Energie auf Beschleunigung gedrungen.
Er hatte gefordert, daß man schnell Mittel zusammenbringe, einerseits, damit
von tüchtigen und erfahrenen Technikern sofort mit den Vermessungen und im
Spätherbst bereits dort, wo die Richtung der Bahn keinem Zweifel unterliege,
mit dem Bau begonnen werden, andrerseits, damit man in Berlin, Kassel und
München für einen Anschluß an die Thüringer Centralbahn in Verhandlung
treten könne.

Die thüringischen Staatsbeamten auf der Meininger Konferenz waren in¬
deß für solche Eile nicht sonderlich eingenommen; sie bestanden darauf, erst
Staatsverträge über die Formalitäten abzuschließen. Lifts Einwand, daß anch
die Chausseen ohne Staatsverträge zustande gekommen seien, konnte daran


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[0176] Friedrich List und die thüringische Eisenbahn. Aber List wußte zu gut, daß Zeitungsartikel allein keine Wunder thun, daß alles noch von persönlicher Einwirkung abhänge. Infolge dessen begab er sich zum Regierungspräsidenten von Stein nach Gotha, fand hier Verständnis und Entgegenkommen und erfuhr, daß die thüringischen Fürsten persönlich das höchste Interesse an der Sache nähmen. Diesen Umstand ließ er nicht unbenutzt, und durch Steins Vermittlung wurde es ihm möglich, direkt an den Höfen von Coburg, Meiningen und Weimar für die thüringische Centralbahn zu wirken und die Fürsten dieser Staaten für die möglichste Beschleunigung der Angelegenheit, vor allen Dingen zum gemeinsamen Handeln zu gewinnen. Am 1. August 1840 kamen bereits die Abgesandten der drei Staaten in Meiningen zusammen, um die Grundlagen eines thüringischen Eisenbahnvereins festzustellen. List war zur Stelle. Den Kommissären entwickelte er einzeln seine Pläne und legte ihnen einen Entwurf zu einem Staatsverträge vor. Zu den Sitzungen selbst freilich wurde er uicht zugezogen, und so kam es, daß man durch fünftägige Verhandlungen nur zu der Vereinbarung gelangte, gemeinsame Sache machen zu wollen, und daß man sich zur Vollziehung dieses Vertrages noch zu einer weiteren Konferenz nach Gotha vertagte, die dann wirklich um die Mitte des Monats stattfand. Nähere Vereinbarungen über die Ausführung des Bahn¬ baues und über ein Expropriationsgesetz behielt man sich vor. Der Vertragsentwurf, den List vorgelegt hatte, enthielt ausführliche Be¬ stimmungen über die Beziehungen der drei Staaten zueinander und zu der Aktien¬ gesellschaft, falls die Staaten die Bahn nicht selbst bauen würden. Er garantirte der Gesellschaft drei Prozent Dividende und gab ihr das Recht, eine Million Thaler unverzinsliche Scheine auszugeben, und eine Million verzinsliche Spar¬ scheine, welche eine Tabelle ausgedrückt bekomme» sollten, die ihren Wert von Monat zu Monat unter Zugrundelegung einer drciprozentigcn Verzinsung an¬ geben sollte. Diesen Vorrechten gegenüber war den Staaten ein Anteil an den höheren Dividenden ausgemacht, eine bestimmte Quote des Reinertrags für die Reserve- und Tilgungsfvnds ausgesetzt und ein Zeitpunkt bestimmt, zu welchem die Bahn in den Besitz der Staaten übergehen sollte. Mündlich hatte List die einzelnen Punkte erläutert und mit aller Energie auf Beschleunigung gedrungen. Er hatte gefordert, daß man schnell Mittel zusammenbringe, einerseits, damit von tüchtigen und erfahrenen Technikern sofort mit den Vermessungen und im Spätherbst bereits dort, wo die Richtung der Bahn keinem Zweifel unterliege, mit dem Bau begonnen werden, andrerseits, damit man in Berlin, Kassel und München für einen Anschluß an die Thüringer Centralbahn in Verhandlung treten könne. Die thüringischen Staatsbeamten auf der Meininger Konferenz waren in¬ deß für solche Eile nicht sonderlich eingenommen; sie bestanden darauf, erst Staatsverträge über die Formalitäten abzuschließen. Lifts Einwand, daß anch die Chausseen ohne Staatsverträge zustande gekommen seien, konnte daran

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/176>, abgerufen am 17.06.2024.