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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Friedrich List und die thüringische Eisenbahn.

die alte Waareustraße verfolge, es für lange Zeit mit der Industrie und dem
Handel Thüringens schlecht bestellt sein werde. Der überzeugenden Kraft von
Lifts Gründen, glaubten sie, werde es auch in letzter Stunde noch gelinge",
alle Welt von den Vorzügen zu überzeugen, welche eine Centralbahn durch die
thüringischen Staaten vor einer Partikularbahu durch die goldene Ane voraus¬
sähe. Durch Aruoldis Vermittlung ließ List eine Reihe Artikel über diese
Frage in einem gelesenen Thüringer Blatte, dem "Allgemeinen Anzeiger der
Deutschen" erscheinen und unterzeichnete sie, um den Geist derselben schon äußerlich
kenntlich zu macheu, mit dem Namen eines deutschen Patrioten und politischen
Schriftstellers: Justus Möser. Das Publikum über die Vorteile der Eisen¬
bahnen überhaupt aufzuklären, war kaum mehr nötig. Es konnte sich nur uoch
um die Frage der Richtung handeln. Darum verglich List gleich die nördliche
und südliche Route miteinander. Nicht die kürzeste, sondern die volkreichste
Linie, sagte er, muß man bauen. In wirtschaftlicher und finanzieller Beziehung
ist diejenige Bah" die vorzüglichste, welche Güter und Personen am schnellsten
und wohlfeilsten transportirt, und eine solche wird immer den alten Handels¬
weg einschlagen. Indem die südliche Linie von Stadt zu Stadt und durch
gewerbreiche Gegenden zieht, hat sie an der eignen Strecke bereits hinreichende
Transporte, und indem sie dadurch mehr Züge ablassen kann als die nördliche
Linie, ist sie auch in der Lage, schneller und billiger als die kürzere Linie zu
befördern. Wen" Preußen die nördliche Linie baut, so seid ihr erst recht ge¬
nötigt, die südliche als Kvukurrenzbahn zu bauen, wenn ihr nicht zu Grunde
gehen wollt. Darum kommt Preußen zuvor; denn alsdann wird es sich be¬
sinnen, zu bauen, und ihr habt aus dem durchgehenden Verkehr von Nord nach
Süd, von Ost nach West neue Transporte. Es ist hohe Zeit, daß die thürin¬
gischen Staaten sich verbinden, gemeinsam und schnell handeln und mit Preußen,
solange es noch Zeit ist, gemeinsame Sache machen, was um so leichter sein
wird, als auch die Interessen preußischer Städte in Frage kommen.

Die Artikel wurden in den thüringischen Städten stark verbreitet und brachte"
gewaltiges Lebe" in die Eiseubahnfrage. Man kannte jetzt seiue Interessen
und hoffte von den Negierurgen die Vertretung derselben. Die Eisenbahn muß
die alte Handelsstraße verfolgen -- dies wurde zum Schlagwort. Und dies
Wort hat sich schließlich auch bewährt. Vor zwei Jahre" hat es die Feuer¬
probe bestanden. Als durch die Vollendung der Berlin-Metzer Bahn und die
Erwerbung der Magdeburg-Halberstädter der preußische Staat in den Besitz der
kürzeste" Linie dnrch die goldene Ane uach dem Süden gekommen war und der
Eiscnbahnminister sich anschickte, der Thüringer Eisenbahn eine tätliche Konkurrenz
zu machen, da wurde schon manchem ihrer Aktionäre um seine Dividenden bange.
Aber der ökonomische Grundsatz Lifts behielt auch jetzt noch seine Macht, und
der Minister hat sich durch die hohe Reute, um welche er die Bahn ankaufte,
gewissermaßen für besiegt erklärt.


Friedrich List und die thüringische Eisenbahn.

die alte Waareustraße verfolge, es für lange Zeit mit der Industrie und dem
Handel Thüringens schlecht bestellt sein werde. Der überzeugenden Kraft von
Lifts Gründen, glaubten sie, werde es auch in letzter Stunde noch gelinge»,
alle Welt von den Vorzügen zu überzeugen, welche eine Centralbahn durch die
thüringischen Staaten vor einer Partikularbahu durch die goldene Ane voraus¬
sähe. Durch Aruoldis Vermittlung ließ List eine Reihe Artikel über diese
Frage in einem gelesenen Thüringer Blatte, dem „Allgemeinen Anzeiger der
Deutschen" erscheinen und unterzeichnete sie, um den Geist derselben schon äußerlich
kenntlich zu macheu, mit dem Namen eines deutschen Patrioten und politischen
Schriftstellers: Justus Möser. Das Publikum über die Vorteile der Eisen¬
bahnen überhaupt aufzuklären, war kaum mehr nötig. Es konnte sich nur uoch
um die Frage der Richtung handeln. Darum verglich List gleich die nördliche
und südliche Route miteinander. Nicht die kürzeste, sondern die volkreichste
Linie, sagte er, muß man bauen. In wirtschaftlicher und finanzieller Beziehung
ist diejenige Bah» die vorzüglichste, welche Güter und Personen am schnellsten
und wohlfeilsten transportirt, und eine solche wird immer den alten Handels¬
weg einschlagen. Indem die südliche Linie von Stadt zu Stadt und durch
gewerbreiche Gegenden zieht, hat sie an der eignen Strecke bereits hinreichende
Transporte, und indem sie dadurch mehr Züge ablassen kann als die nördliche
Linie, ist sie auch in der Lage, schneller und billiger als die kürzere Linie zu
befördern. Wen» Preußen die nördliche Linie baut, so seid ihr erst recht ge¬
nötigt, die südliche als Kvukurrenzbahn zu bauen, wenn ihr nicht zu Grunde
gehen wollt. Darum kommt Preußen zuvor; denn alsdann wird es sich be¬
sinnen, zu bauen, und ihr habt aus dem durchgehenden Verkehr von Nord nach
Süd, von Ost nach West neue Transporte. Es ist hohe Zeit, daß die thürin¬
gischen Staaten sich verbinden, gemeinsam und schnell handeln und mit Preußen,
solange es noch Zeit ist, gemeinsame Sache machen, was um so leichter sein
wird, als auch die Interessen preußischer Städte in Frage kommen.

Die Artikel wurden in den thüringischen Städten stark verbreitet und brachte»
gewaltiges Lebe» in die Eiseubahnfrage. Man kannte jetzt seiue Interessen
und hoffte von den Negierurgen die Vertretung derselben. Die Eisenbahn muß
die alte Handelsstraße verfolgen — dies wurde zum Schlagwort. Und dies
Wort hat sich schließlich auch bewährt. Vor zwei Jahre» hat es die Feuer¬
probe bestanden. Als durch die Vollendung der Berlin-Metzer Bahn und die
Erwerbung der Magdeburg-Halberstädter der preußische Staat in den Besitz der
kürzeste» Linie dnrch die goldene Ane uach dem Süden gekommen war und der
Eiscnbahnminister sich anschickte, der Thüringer Eisenbahn eine tätliche Konkurrenz
zu machen, da wurde schon manchem ihrer Aktionäre um seine Dividenden bange.
Aber der ökonomische Grundsatz Lifts behielt auch jetzt noch seine Macht, und
der Minister hat sich durch die hohe Reute, um welche er die Bahn ankaufte,
gewissermaßen für besiegt erklärt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/175>, abgerufen am 17.06.2024.