Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Briefe eines UnberVimiren,

an seinem Geburtstage, wenn die Leute einen Strmichen haben, daß man nicht
begreift, warum der Mensch ans etwas andern: besteht, als aus einer Nase
und einem Sacktuch, freuen sie sich, gratuliren einander und geben dem Haus¬
meister ein Trinkgeld, Und ist das schändliche Jahrhundert erst tot, dann heißes
gar die gute alte Zeit. Niemand wird sagen: Ja, der gute alte Bills, das war
ein Kerl! Konnt er schön tanzen und was er für gute Cigarren geraucht hat;
er ritt nicht im Prater, ging in kein Theater, war unverheiratet und hatte nicht
einmal Kinder, kurz gar kein Laster. Wo kriegen wir wieder einen Bills her,
ich will einen Bills haben und soll er mich tausend Gulden kosten! Aber vom
neunzehnten Jahrhundert werden sie reden und ein Aufhebens machen noch
in tausend Jahren! Wenns auch nicht wahr wäre, man wird doch immer sagen:
Die gute alte Zeit. Sagen Sie auch der gute alte Bills!"

Das ist ohne Zweifel der Ton des Feuilletonisten, des Schillers von
Heinrich Heine, der nicht zu ernsthaft und zu streng beim Worte genommen
sein will. Herr Alexander von Villers hat ganze Reihen hübscher Einfälle, zu
denen man herzlich lachen oder wenigstens lächeln kann, wie z. B. "Unter Prima¬
donna versteht man eine Sängerin, die jährlich 100 000 Gulden Gehalt und
13 Monat Urlaub hat, die übrige Zeit aber heiser ist" -- und macht auch
feinsinnige Bemerkungen und scharfe Beobachtungen im einzelnen. Wenn es
damit gethan wäre und die Zuverlässigkeit und Gesundheit der Urteile und Ein¬
drücke im richtigen Verhältnis zu ihrer Originalität stünde, so würden wir alle
Ursache haben, uns dieser Stimme ans dem Publikum zu freuen. Leider ist die
Teilnahme eines so eifrigen und aufmerksamen Lesers, wie Herr de Villars ge¬
wesen sein muß, durch eine seltsame Mischung von Bildung, eine launische Willkür
des Geistes und eine an suffisance grenzende Sicherheit arg entstellt.

Wir wollen dabei von den historisch-politischen Urteile" des Buches ganz
absehen. In ihnen begegnen sich allerhand Nachklänge ans den Anschauungen
der französischen Emigration, ans dem sächsischen bonapartistisch angehauchten
Partikularpatriotismus zwischen 1815 und 1848, Einwirkungen eines langen und,
wie es scheint, meist unerfreulichen Lebens in untergeordneten diplomatischen
Stellungen (die der Verfasser gleichwohl mit Auszeichnung bekleidete) und Ein¬
flüsse der besondern Mucken und Tücken der Wiener guten Gesellschaft. Die
Art dieser Urteile ist mit einem einzigen Satze gegeben. Herr von Villers er¬
zählt (S. 392): "Als Napoleon von Moskau flüchtig nachts durch Dresden
kam, wandte er sich an den damaligen einzigen Edelmann in Europa, den König
von Sachsen mit der Bitte, ihm zwei Millionen zu leihen. Jener Edelmann,
der nie sein Wort gebrochen, und.dafür auf dem Wiener Kongreß von denen,
die ihren, besiegten Bundesgenossen, man sagt aus Patriotismus, in den Rücken
fielen, mit Verlust seines halben Königreichs bestraft wurde, hat bei Anlaß jenes
nächtlichen Besuches zum erstenmale in seinem Leben den Fuß auf das Pflaster
seiner Residenzstadt gesetzt. Pünktlich zum versprochene" Termine wurden zwei


Briefe eines UnberVimiren,

an seinem Geburtstage, wenn die Leute einen Strmichen haben, daß man nicht
begreift, warum der Mensch ans etwas andern: besteht, als aus einer Nase
und einem Sacktuch, freuen sie sich, gratuliren einander und geben dem Haus¬
meister ein Trinkgeld, Und ist das schändliche Jahrhundert erst tot, dann heißes
gar die gute alte Zeit. Niemand wird sagen: Ja, der gute alte Bills, das war
ein Kerl! Konnt er schön tanzen und was er für gute Cigarren geraucht hat;
er ritt nicht im Prater, ging in kein Theater, war unverheiratet und hatte nicht
einmal Kinder, kurz gar kein Laster. Wo kriegen wir wieder einen Bills her,
ich will einen Bills haben und soll er mich tausend Gulden kosten! Aber vom
neunzehnten Jahrhundert werden sie reden und ein Aufhebens machen noch
in tausend Jahren! Wenns auch nicht wahr wäre, man wird doch immer sagen:
Die gute alte Zeit. Sagen Sie auch der gute alte Bills!"

Das ist ohne Zweifel der Ton des Feuilletonisten, des Schillers von
Heinrich Heine, der nicht zu ernsthaft und zu streng beim Worte genommen
sein will. Herr Alexander von Villers hat ganze Reihen hübscher Einfälle, zu
denen man herzlich lachen oder wenigstens lächeln kann, wie z. B. „Unter Prima¬
donna versteht man eine Sängerin, die jährlich 100 000 Gulden Gehalt und
13 Monat Urlaub hat, die übrige Zeit aber heiser ist" — und macht auch
feinsinnige Bemerkungen und scharfe Beobachtungen im einzelnen. Wenn es
damit gethan wäre und die Zuverlässigkeit und Gesundheit der Urteile und Ein¬
drücke im richtigen Verhältnis zu ihrer Originalität stünde, so würden wir alle
Ursache haben, uns dieser Stimme ans dem Publikum zu freuen. Leider ist die
Teilnahme eines so eifrigen und aufmerksamen Lesers, wie Herr de Villars ge¬
wesen sein muß, durch eine seltsame Mischung von Bildung, eine launische Willkür
des Geistes und eine an suffisance grenzende Sicherheit arg entstellt.

Wir wollen dabei von den historisch-politischen Urteile» des Buches ganz
absehen. In ihnen begegnen sich allerhand Nachklänge ans den Anschauungen
der französischen Emigration, ans dem sächsischen bonapartistisch angehauchten
Partikularpatriotismus zwischen 1815 und 1848, Einwirkungen eines langen und,
wie es scheint, meist unerfreulichen Lebens in untergeordneten diplomatischen
Stellungen (die der Verfasser gleichwohl mit Auszeichnung bekleidete) und Ein¬
flüsse der besondern Mucken und Tücken der Wiener guten Gesellschaft. Die
Art dieser Urteile ist mit einem einzigen Satze gegeben. Herr von Villers er¬
zählt (S. 392): „Als Napoleon von Moskau flüchtig nachts durch Dresden
kam, wandte er sich an den damaligen einzigen Edelmann in Europa, den König
von Sachsen mit der Bitte, ihm zwei Millionen zu leihen. Jener Edelmann,
der nie sein Wort gebrochen, und.dafür auf dem Wiener Kongreß von denen,
die ihren, besiegten Bundesgenossen, man sagt aus Patriotismus, in den Rücken
fielen, mit Verlust seines halben Königreichs bestraft wurde, hat bei Anlaß jenes
nächtlichen Besuches zum erstenmale in seinem Leben den Fuß auf das Pflaster
seiner Residenzstadt gesetzt. Pünktlich zum versprochene» Termine wurden zwei


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86311"/>
          <fw type="header" place="top"> Briefe eines UnberVimiren,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_769" prev="#ID_768"> an seinem Geburtstage, wenn die Leute einen Strmichen haben, daß man nicht<lb/>
begreift, warum der Mensch ans etwas andern: besteht, als aus einer Nase<lb/>
und einem Sacktuch, freuen sie sich, gratuliren einander und geben dem Haus¬<lb/>
meister ein Trinkgeld, Und ist das schändliche Jahrhundert erst tot, dann heißes<lb/>
gar die gute alte Zeit. Niemand wird sagen: Ja, der gute alte Bills, das war<lb/>
ein Kerl! Konnt er schön tanzen und was er für gute Cigarren geraucht hat;<lb/>
er ritt nicht im Prater, ging in kein Theater, war unverheiratet und hatte nicht<lb/>
einmal Kinder, kurz gar kein Laster. Wo kriegen wir wieder einen Bills her,<lb/>
ich will einen Bills haben und soll er mich tausend Gulden kosten! Aber vom<lb/>
neunzehnten Jahrhundert werden sie reden und ein Aufhebens machen noch<lb/>
in tausend Jahren! Wenns auch nicht wahr wäre, man wird doch immer sagen:<lb/>
Die gute alte Zeit.  Sagen Sie auch der gute alte Bills!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_770"> Das ist ohne Zweifel der Ton des Feuilletonisten, des Schillers von<lb/>
Heinrich Heine, der nicht zu ernsthaft und zu streng beim Worte genommen<lb/>
sein will. Herr Alexander von Villers hat ganze Reihen hübscher Einfälle, zu<lb/>
denen man herzlich lachen oder wenigstens lächeln kann, wie z. B. &#x201E;Unter Prima¬<lb/>
donna versteht man eine Sängerin, die jährlich 100 000 Gulden Gehalt und<lb/>
13 Monat Urlaub hat, die übrige Zeit aber heiser ist" &#x2014; und macht auch<lb/>
feinsinnige Bemerkungen und scharfe Beobachtungen im einzelnen. Wenn es<lb/>
damit gethan wäre und die Zuverlässigkeit und Gesundheit der Urteile und Ein¬<lb/>
drücke im richtigen Verhältnis zu ihrer Originalität stünde, so würden wir alle<lb/>
Ursache haben, uns dieser Stimme ans dem Publikum zu freuen. Leider ist die<lb/>
Teilnahme eines so eifrigen und aufmerksamen Lesers, wie Herr de Villars ge¬<lb/>
wesen sein muß, durch eine seltsame Mischung von Bildung, eine launische Willkür<lb/>
des Geistes und eine an suffisance grenzende Sicherheit arg entstellt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_771" next="#ID_772"> Wir wollen dabei von den historisch-politischen Urteile» des Buches ganz<lb/>
absehen. In ihnen begegnen sich allerhand Nachklänge ans den Anschauungen<lb/>
der französischen Emigration, ans dem sächsischen bonapartistisch angehauchten<lb/>
Partikularpatriotismus zwischen 1815 und 1848, Einwirkungen eines langen und,<lb/>
wie es scheint, meist unerfreulichen Lebens in untergeordneten diplomatischen<lb/>
Stellungen (die der Verfasser gleichwohl mit Auszeichnung bekleidete) und Ein¬<lb/>
flüsse der besondern Mucken und Tücken der Wiener guten Gesellschaft. Die<lb/>
Art dieser Urteile ist mit einem einzigen Satze gegeben. Herr von Villers er¬<lb/>
zählt (S. 392): &#x201E;Als Napoleon von Moskau flüchtig nachts durch Dresden<lb/>
kam, wandte er sich an den damaligen einzigen Edelmann in Europa, den König<lb/>
von Sachsen mit der Bitte, ihm zwei Millionen zu leihen. Jener Edelmann,<lb/>
der nie sein Wort gebrochen, und.dafür auf dem Wiener Kongreß von denen,<lb/>
die ihren, besiegten Bundesgenossen, man sagt aus Patriotismus, in den Rücken<lb/>
fielen, mit Verlust seines halben Königreichs bestraft wurde, hat bei Anlaß jenes<lb/>
nächtlichen Besuches zum erstenmale in seinem Leben den Fuß auf das Pflaster<lb/>
seiner Residenzstadt gesetzt. Pünktlich zum versprochene» Termine wurden zwei</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0190] Briefe eines UnberVimiren, an seinem Geburtstage, wenn die Leute einen Strmichen haben, daß man nicht begreift, warum der Mensch ans etwas andern: besteht, als aus einer Nase und einem Sacktuch, freuen sie sich, gratuliren einander und geben dem Haus¬ meister ein Trinkgeld, Und ist das schändliche Jahrhundert erst tot, dann heißes gar die gute alte Zeit. Niemand wird sagen: Ja, der gute alte Bills, das war ein Kerl! Konnt er schön tanzen und was er für gute Cigarren geraucht hat; er ritt nicht im Prater, ging in kein Theater, war unverheiratet und hatte nicht einmal Kinder, kurz gar kein Laster. Wo kriegen wir wieder einen Bills her, ich will einen Bills haben und soll er mich tausend Gulden kosten! Aber vom neunzehnten Jahrhundert werden sie reden und ein Aufhebens machen noch in tausend Jahren! Wenns auch nicht wahr wäre, man wird doch immer sagen: Die gute alte Zeit. Sagen Sie auch der gute alte Bills!" Das ist ohne Zweifel der Ton des Feuilletonisten, des Schillers von Heinrich Heine, der nicht zu ernsthaft und zu streng beim Worte genommen sein will. Herr Alexander von Villers hat ganze Reihen hübscher Einfälle, zu denen man herzlich lachen oder wenigstens lächeln kann, wie z. B. „Unter Prima¬ donna versteht man eine Sängerin, die jährlich 100 000 Gulden Gehalt und 13 Monat Urlaub hat, die übrige Zeit aber heiser ist" — und macht auch feinsinnige Bemerkungen und scharfe Beobachtungen im einzelnen. Wenn es damit gethan wäre und die Zuverlässigkeit und Gesundheit der Urteile und Ein¬ drücke im richtigen Verhältnis zu ihrer Originalität stünde, so würden wir alle Ursache haben, uns dieser Stimme ans dem Publikum zu freuen. Leider ist die Teilnahme eines so eifrigen und aufmerksamen Lesers, wie Herr de Villars ge¬ wesen sein muß, durch eine seltsame Mischung von Bildung, eine launische Willkür des Geistes und eine an suffisance grenzende Sicherheit arg entstellt. Wir wollen dabei von den historisch-politischen Urteile» des Buches ganz absehen. In ihnen begegnen sich allerhand Nachklänge ans den Anschauungen der französischen Emigration, ans dem sächsischen bonapartistisch angehauchten Partikularpatriotismus zwischen 1815 und 1848, Einwirkungen eines langen und, wie es scheint, meist unerfreulichen Lebens in untergeordneten diplomatischen Stellungen (die der Verfasser gleichwohl mit Auszeichnung bekleidete) und Ein¬ flüsse der besondern Mucken und Tücken der Wiener guten Gesellschaft. Die Art dieser Urteile ist mit einem einzigen Satze gegeben. Herr von Villers er¬ zählt (S. 392): „Als Napoleon von Moskau flüchtig nachts durch Dresden kam, wandte er sich an den damaligen einzigen Edelmann in Europa, den König von Sachsen mit der Bitte, ihm zwei Millionen zu leihen. Jener Edelmann, der nie sein Wort gebrochen, und.dafür auf dem Wiener Kongreß von denen, die ihren, besiegten Bundesgenossen, man sagt aus Patriotismus, in den Rücken fielen, mit Verlust seines halben Königreichs bestraft wurde, hat bei Anlaß jenes nächtlichen Besuches zum erstenmale in seinem Leben den Fuß auf das Pflaster seiner Residenzstadt gesetzt. Pünktlich zum versprochene» Termine wurden zwei

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/190
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/190>, abgerufen am 17.06.2024.