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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchon und Thyrsostrciger.

Dr. Irrwisch lehnte sich in die Kissen zurück und seufzte.

Ich schlafe niemals so, wie ich wohl einmal schlafen möchte! Die Last so
großer Verantwortung, so wichtiger Geschäfte und so umfassender Pläne verläßt
mein Bewußtsein weder Nacht noch Tag. Und dazu diese Anfeindungen! Ich
bin wie ein Feldherr, der in seinem befestigten Lager, aber inmitten eines insurgirten
Landes steht. Immer auf dem Posten, immer in Erwartung des Angriffs. Es
macht mich doch müde. Sollte mein Stern schon im Sinken sein? Es heißt:
Wer hoch steht, sehe zu, daß er nicht falle! Richard von Gloster freilich ant¬
wortet ans diese Mahnung: In Cedernwipfeln nistet unsre Brut und tändelt
mit dem Sturm und trotzt der Souue. Aber ich bin kein Herzog, ich verdanke
nichts dem Glück oder der Geburt, ich bin niedrig geboren, unsre Brut nistete
ini Strauch. Wenn ich es weit gebracht habe, so verdaute ich es meiner Ge-
schicklichkeit, meinem Genie. Und ich habe mir so viele Feinde gemacht -- alles
dies neidische, boshafte, ränkevolle Volk, welches ich glücklich unter die Füße
gebracht habe im Kampfe ums Dasein.

Sonderbar! Ju meinen jungen Jahren malte ich nur oft eine Stellung,
wie ich sie jetzt einnehme, als das höchste Glück aus. Nun habe ich mein Ideal
erreicht -- und was ist es? Ich habe alles. Ich bin reich, ich bin angesehen,
ich bin gesund und fühle mich noch immer kräftig. Ich kann mir alle Freuden
verschaffen, welche die Welt bietet. Und doch --!

Sollte ich eineir Fehler in meiner Rechnung haben? Die Klugheit hat
doch immer meine Schritte geleitet! Man könnte sagen, ich wäre unglücklich
verheiratet, und in der That ist nur ja Rahel in keiner Weise sympathisch, so
daß möglicherweise meine Abneigung gegen den Doktor nur der Reflex meiner
Gefühle für seiue Schwester ist. Aber ich wußte das ja vorher, ehe ich sie nahm,
und ich denke eigentlich nicht, daß Liebe in der Ehe notwendig ist. Wenigstens
ist es wichtiger, daß die Verhältnisse passend find. Ist der Kontrakt doch auf
Lebenszeit, die Neigungen aber sind vorübergehend. Freilich, wenn ich mir aus¬
male, ich hätte Lilli Blankendorff zur Frau, so giebt das ein wahrhaft be¬
rauschendes Bild.

Dr. Irrwisch starrte träumerisch vor sich hin.

Ein entzückendes Weib! Ich habe nie ein Wesen gesehen, das den Kopf so
herrlich getragen hätte. Wenn man sie von der Seite sieht, so ist dieser Hals¬
bildung, diesem Ansatz des kleinen zierlichen Ohrs, diesem eigentümliche" Schwung
um Mund und Auge gar nichts in ganz Berlin zu vergleichen. Ganz allein
die Venus von Milo hat einige Ähnlichkeit mit ihr. Auch diese Farbe, dieser
Elfcnbeinton mit etwas Grau gemischt, ist in meinen Augen ganz entzückend.
Die meisten Leute schwärmen für rote Backen, mir gefällt diese moMilö^g.. Ich
muß an die wilden Nächte denken, die dieses leidenschaftliche Geschöpf durchge¬
macht hat, und an die Stürme, die ihr Herz schon durchtobt haben. Und ihre
Augen! Sie sind unergründlich wie das Meer. Dies Frauenzimmer hat, glaube


GrenzbvU'" I. 1882. 25
Bakchon und Thyrsostrciger.

Dr. Irrwisch lehnte sich in die Kissen zurück und seufzte.

Ich schlafe niemals so, wie ich wohl einmal schlafen möchte! Die Last so
großer Verantwortung, so wichtiger Geschäfte und so umfassender Pläne verläßt
mein Bewußtsein weder Nacht noch Tag. Und dazu diese Anfeindungen! Ich
bin wie ein Feldherr, der in seinem befestigten Lager, aber inmitten eines insurgirten
Landes steht. Immer auf dem Posten, immer in Erwartung des Angriffs. Es
macht mich doch müde. Sollte mein Stern schon im Sinken sein? Es heißt:
Wer hoch steht, sehe zu, daß er nicht falle! Richard von Gloster freilich ant¬
wortet ans diese Mahnung: In Cedernwipfeln nistet unsre Brut und tändelt
mit dem Sturm und trotzt der Souue. Aber ich bin kein Herzog, ich verdanke
nichts dem Glück oder der Geburt, ich bin niedrig geboren, unsre Brut nistete
ini Strauch. Wenn ich es weit gebracht habe, so verdaute ich es meiner Ge-
schicklichkeit, meinem Genie. Und ich habe mir so viele Feinde gemacht — alles
dies neidische, boshafte, ränkevolle Volk, welches ich glücklich unter die Füße
gebracht habe im Kampfe ums Dasein.

Sonderbar! Ju meinen jungen Jahren malte ich nur oft eine Stellung,
wie ich sie jetzt einnehme, als das höchste Glück aus. Nun habe ich mein Ideal
erreicht — und was ist es? Ich habe alles. Ich bin reich, ich bin angesehen,
ich bin gesund und fühle mich noch immer kräftig. Ich kann mir alle Freuden
verschaffen, welche die Welt bietet. Und doch —!

Sollte ich eineir Fehler in meiner Rechnung haben? Die Klugheit hat
doch immer meine Schritte geleitet! Man könnte sagen, ich wäre unglücklich
verheiratet, und in der That ist nur ja Rahel in keiner Weise sympathisch, so
daß möglicherweise meine Abneigung gegen den Doktor nur der Reflex meiner
Gefühle für seiue Schwester ist. Aber ich wußte das ja vorher, ehe ich sie nahm,
und ich denke eigentlich nicht, daß Liebe in der Ehe notwendig ist. Wenigstens
ist es wichtiger, daß die Verhältnisse passend find. Ist der Kontrakt doch auf
Lebenszeit, die Neigungen aber sind vorübergehend. Freilich, wenn ich mir aus¬
male, ich hätte Lilli Blankendorff zur Frau, so giebt das ein wahrhaft be¬
rauschendes Bild.

Dr. Irrwisch starrte träumerisch vor sich hin.

Ein entzückendes Weib! Ich habe nie ein Wesen gesehen, das den Kopf so
herrlich getragen hätte. Wenn man sie von der Seite sieht, so ist dieser Hals¬
bildung, diesem Ansatz des kleinen zierlichen Ohrs, diesem eigentümliche» Schwung
um Mund und Auge gar nichts in ganz Berlin zu vergleichen. Ganz allein
die Venus von Milo hat einige Ähnlichkeit mit ihr. Auch diese Farbe, dieser
Elfcnbeinton mit etwas Grau gemischt, ist in meinen Augen ganz entzückend.
Die meisten Leute schwärmen für rote Backen, mir gefällt diese moMilö^g.. Ich
muß an die wilden Nächte denken, die dieses leidenschaftliche Geschöpf durchge¬
macht hat, und an die Stürme, die ihr Herz schon durchtobt haben. Und ihre
Augen! Sie sind unergründlich wie das Meer. Dies Frauenzimmer hat, glaube


GrenzbvU'» I. 1882. 25
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[0201] Bakchon und Thyrsostrciger. Dr. Irrwisch lehnte sich in die Kissen zurück und seufzte. Ich schlafe niemals so, wie ich wohl einmal schlafen möchte! Die Last so großer Verantwortung, so wichtiger Geschäfte und so umfassender Pläne verläßt mein Bewußtsein weder Nacht noch Tag. Und dazu diese Anfeindungen! Ich bin wie ein Feldherr, der in seinem befestigten Lager, aber inmitten eines insurgirten Landes steht. Immer auf dem Posten, immer in Erwartung des Angriffs. Es macht mich doch müde. Sollte mein Stern schon im Sinken sein? Es heißt: Wer hoch steht, sehe zu, daß er nicht falle! Richard von Gloster freilich ant¬ wortet ans diese Mahnung: In Cedernwipfeln nistet unsre Brut und tändelt mit dem Sturm und trotzt der Souue. Aber ich bin kein Herzog, ich verdanke nichts dem Glück oder der Geburt, ich bin niedrig geboren, unsre Brut nistete ini Strauch. Wenn ich es weit gebracht habe, so verdaute ich es meiner Ge- schicklichkeit, meinem Genie. Und ich habe mir so viele Feinde gemacht — alles dies neidische, boshafte, ränkevolle Volk, welches ich glücklich unter die Füße gebracht habe im Kampfe ums Dasein. Sonderbar! Ju meinen jungen Jahren malte ich nur oft eine Stellung, wie ich sie jetzt einnehme, als das höchste Glück aus. Nun habe ich mein Ideal erreicht — und was ist es? Ich habe alles. Ich bin reich, ich bin angesehen, ich bin gesund und fühle mich noch immer kräftig. Ich kann mir alle Freuden verschaffen, welche die Welt bietet. Und doch —! Sollte ich eineir Fehler in meiner Rechnung haben? Die Klugheit hat doch immer meine Schritte geleitet! Man könnte sagen, ich wäre unglücklich verheiratet, und in der That ist nur ja Rahel in keiner Weise sympathisch, so daß möglicherweise meine Abneigung gegen den Doktor nur der Reflex meiner Gefühle für seiue Schwester ist. Aber ich wußte das ja vorher, ehe ich sie nahm, und ich denke eigentlich nicht, daß Liebe in der Ehe notwendig ist. Wenigstens ist es wichtiger, daß die Verhältnisse passend find. Ist der Kontrakt doch auf Lebenszeit, die Neigungen aber sind vorübergehend. Freilich, wenn ich mir aus¬ male, ich hätte Lilli Blankendorff zur Frau, so giebt das ein wahrhaft be¬ rauschendes Bild. Dr. Irrwisch starrte träumerisch vor sich hin. Ein entzückendes Weib! Ich habe nie ein Wesen gesehen, das den Kopf so herrlich getragen hätte. Wenn man sie von der Seite sieht, so ist dieser Hals¬ bildung, diesem Ansatz des kleinen zierlichen Ohrs, diesem eigentümliche» Schwung um Mund und Auge gar nichts in ganz Berlin zu vergleichen. Ganz allein die Venus von Milo hat einige Ähnlichkeit mit ihr. Auch diese Farbe, dieser Elfcnbeinton mit etwas Grau gemischt, ist in meinen Augen ganz entzückend. Die meisten Leute schwärmen für rote Backen, mir gefällt diese moMilö^g.. Ich muß an die wilden Nächte denken, die dieses leidenschaftliche Geschöpf durchge¬ macht hat, und an die Stürme, die ihr Herz schon durchtobt haben. Und ihre Augen! Sie sind unergründlich wie das Meer. Dies Frauenzimmer hat, glaube GrenzbvU'» I. 1882. 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/201>, abgerufen am 10.06.2024.