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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und ThyrsostrÜgor.

weniger Heiligen, kein Mensch aus freien Stücken gerecht gewesen ist, sonder"
nur in Folge von Feigheit, Einfalt oder Altersschwäche,

Das alles sage ich dir, lieber Vater, mit der Sehnsucht, von dir eines
andern belehrt zu werden. Zeige nur, daß die Gerechtigkeit an sich besser sei
als die Ungerechtigkeit, zeige mir, wie jede von beiden die Seele des Menschen
zurichtet, den sie erfüllt, damit ich sehen kann, auf welcher Seite die Wagschale
sich neigt. Aber den Schein, den die Religionen über die Wahrheit verbreiten,
den lasse weg.

Mein lieber Sohn, sagte der alte Gelehrte, den bewegten Jüngling um¬
armend, wer so wie dn über die Gerechtigkeit zu fragen versteht, der bedarf keiner
menschlichen Lehre mehr. Gott wird dich auf dein Wege führen, den du gehst.

Aber als sein Sohn gegangen war, senkte der Vater sein Haupt in tiefer
Betrübnis auf die Brust. Denn er bedachte, welch ein verhängnisvolles Geschenk
des Schicksals eine forschende und empfindsame Seele sei.




Viertes Rapitel.
Die alte Schlange.

Antonius- Sie ist listiger, als mans denken kann! --
Enoliarbus: Ach nein, Herr, nein; ihre Leidenschaften
bestehen ans nichts, als ans den feinsten
Teilen der reinen LieKe.

Dr. Irrwisch ging rasch die Treppe hinab, als er seinen Schwager verlassen
hatte, und sein Gesicht nahm einen unzufriedenen und düstern Ausdruck an, der
durchaus den Gegensatz zu der freundlichen Würde bildete, welche in der Öffent¬
lichkeit darauf thronte und den Wert des Mannes schon von außen anzeigte.
'

Seine Droschke hielt vor der Thür. Er blieb eine kurze Zeit zaudernd
stehen, bevor er dem Kutscher das neue Ziel der Fahrt nannte, stieg dann ein
und stützte nachdenklich beide Arme auf die Knie, während das Gefährt dahin
rasselte.

Ich weiß nicht, dachte er, warum mir dieser Mann so unangenehm ist und
warum mir in seiner Gesellschaft stets unbehaglich zu Mute ist. Dieser pedantische
alte Narr mit seinen Griechen und Römern! Es ist beinahe so, als wollte er
mich ironisch behandeln, dieser Bücherwurm, der von der Welt nicht mehr weiß
als ein Keines Kind, und der es mit aller seiner Weisheit noch nicht so weit .
gebracht hat, für seine eigene Familie ausreichend sorgen zu können. Wenn er
nur wenigstens nicht so selbstzufrieden wäre! Er kommt mir vor, als bildete er
sich ein, der glücklichste Mensch zu sein. Ich bin überzeugt, er schläft jede Nacht,
geht ohne Sorgen zu Bett und steht ohne Sorgen wieder auf.


Bakchen und ThyrsostrÜgor.

weniger Heiligen, kein Mensch aus freien Stücken gerecht gewesen ist, sonder»
nur in Folge von Feigheit, Einfalt oder Altersschwäche,

Das alles sage ich dir, lieber Vater, mit der Sehnsucht, von dir eines
andern belehrt zu werden. Zeige nur, daß die Gerechtigkeit an sich besser sei
als die Ungerechtigkeit, zeige mir, wie jede von beiden die Seele des Menschen
zurichtet, den sie erfüllt, damit ich sehen kann, auf welcher Seite die Wagschale
sich neigt. Aber den Schein, den die Religionen über die Wahrheit verbreiten,
den lasse weg.

Mein lieber Sohn, sagte der alte Gelehrte, den bewegten Jüngling um¬
armend, wer so wie dn über die Gerechtigkeit zu fragen versteht, der bedarf keiner
menschlichen Lehre mehr. Gott wird dich auf dein Wege führen, den du gehst.

Aber als sein Sohn gegangen war, senkte der Vater sein Haupt in tiefer
Betrübnis auf die Brust. Denn er bedachte, welch ein verhängnisvolles Geschenk
des Schicksals eine forschende und empfindsame Seele sei.




Viertes Rapitel.
Die alte Schlange.

Antonius- Sie ist listiger, als mans denken kann! —
Enoliarbus: Ach nein, Herr, nein; ihre Leidenschaften
bestehen ans nichts, als ans den feinsten
Teilen der reinen LieKe.

Dr. Irrwisch ging rasch die Treppe hinab, als er seinen Schwager verlassen
hatte, und sein Gesicht nahm einen unzufriedenen und düstern Ausdruck an, der
durchaus den Gegensatz zu der freundlichen Würde bildete, welche in der Öffent¬
lichkeit darauf thronte und den Wert des Mannes schon von außen anzeigte.
'

Seine Droschke hielt vor der Thür. Er blieb eine kurze Zeit zaudernd
stehen, bevor er dem Kutscher das neue Ziel der Fahrt nannte, stieg dann ein
und stützte nachdenklich beide Arme auf die Knie, während das Gefährt dahin
rasselte.

Ich weiß nicht, dachte er, warum mir dieser Mann so unangenehm ist und
warum mir in seiner Gesellschaft stets unbehaglich zu Mute ist. Dieser pedantische
alte Narr mit seinen Griechen und Römern! Es ist beinahe so, als wollte er
mich ironisch behandeln, dieser Bücherwurm, der von der Welt nicht mehr weiß
als ein Keines Kind, und der es mit aller seiner Weisheit noch nicht so weit .
gebracht hat, für seine eigene Familie ausreichend sorgen zu können. Wenn er
nur wenigstens nicht so selbstzufrieden wäre! Er kommt mir vor, als bildete er
sich ein, der glücklichste Mensch zu sein. Ich bin überzeugt, er schläft jede Nacht,
geht ohne Sorgen zu Bett und steht ohne Sorgen wieder auf.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/200>, abgerufen am 17.06.2024.