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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Reichstag und Landtag im neuen Jahre.

machten. Dabei sollte dem Beamten das Festhalten an einer eignen, mit der
Auffassung der Regierung nicht übereinstimmenden Überzeugung durchaus nicht
verboten werden, sondern ihm nur nicht gestattet sei", diese Überzeugung durch
Teilnahme an Agitationen mit regierungsfeindlicher Tendenz zu bethätige". Noch
mehr paßt zu dem jetzigen Falle der folgende. Der Vorgänger des gegenwär¬
tige" Ministers des Innern, Graf Eulenburg, sagte am 13. Dezember 1878 im
Abgeordnetenhaus?: "Schon gestern bin ich in der Lage gewesen, in vollständiger
Übereinstimmung mit meinem Amtsvorgänger zu erklären, daß ich es nicht für
zulässig halte, amtliche Mittel und amtliche Autorität bei deu Wahlen zu mi߬
brauchen. Im übrigen hat niemand die Berechtigung, seine Thätigkeit bei den
Wahlen zu versagen, und die Staatsregierung wird einverstanden sein, wenn sie
in dieser Abgrenzung ans die Mitwirkung der Beamten bei den Wahlen zählen
kann, wie sie anch dankbar die Thätigkeit der Beamten bei den letzten Reichs-
tagSwahlcn anerkennt."

Wenden wir uns hiernächst den Verhandlungen des Reichstags im neuen
Jahre zu, so bot die Debatte über die Jnterpellation Hertlings wegen Besserung
des Looses der Fabrikarbeiter, die sofort nach der Wiedereröffnung der Sitzungen
das Haus zwei Tage lang beschäftigte, nur insofern besonderes Interesse, als
der Reichskanzler sich an ihnen beteiligte und dabei die Erklärung abgab, in der
letzte" Zeit sich überzeugt zu habe", daß die Uiifallversichcr""g"icht ohne korporative
Unterlagen zustande komme" dürfe. Deutlicher ausgedrückt heißt das: Wenn
die Sache Praktischen Erfolg haben soll, so muß eine Arbeitsteilig eingerichtet
werden, die den Interessenten mit heranzieht und den Ersatz des Schadens mit
der Aufgabe verbindet, ihn durch Aufsicht seltener werden zu lassen, was der
Kanzler weiter mit deu Worten erläuterte: Die (zu bildenden) Korporationen
sollen wesentlich aus deu gleichartigen Gefahrenklassen bestehen wie die, welche
die Schäden zu tragen habe", so daß der, welcher diese mit seinen Beiträgen
decken muß, welcher also el" Interesse daran hat, Unfälle zu verhindern, zugleich
mit der Aufgabe betraut wird, über seine Genossen zu wachen, daß sie sich der
Gefahr, zu verunglücken, nicht leichtfertig aussetzen. Das staatliche Institut der
Fabrikinspektoren kann dabei erhalten bleiben, aber nicht in seiner jetzigen isolirt
bureaukratischen Gestalt, souderu getragen und unterstützt von jenen Korpora¬
tionen, die übrigens nicht fakultativ ermöglicht, sondern zwangsweise eingeführt
werde" solle". Bezeichnend war in der Rede noch vor allen: der Passus, wo
der Kanzler die Stellung charakterisirte, welche der Kaiser zu der Frage einnimmt.
Er sieht sie mit den Augen seiner Vorfahren an, er folgt der Tradition seiner
Dhuastic, die es ihm als Regentenpflicht erscheinen läßt, sich der Schwachen im
wirtschaftlichen Kampfe anzunehmen. Wie Friedrich der Große der "König der
Bettler" sein wollte, wie Friedrich Wilhelm der Dritte mit Stein und Harden-
berg die Bauern von der Hörigkeit befreite und dadurch stärker, wohlhabender
und unabhängiger werden ließ, so ist Kaiser Wilhelm von dem edeln Ehrgeiz


Reichstag und Landtag im neuen Jahre.

machten. Dabei sollte dem Beamten das Festhalten an einer eignen, mit der
Auffassung der Regierung nicht übereinstimmenden Überzeugung durchaus nicht
verboten werden, sondern ihm nur nicht gestattet sei», diese Überzeugung durch
Teilnahme an Agitationen mit regierungsfeindlicher Tendenz zu bethätige». Noch
mehr paßt zu dem jetzigen Falle der folgende. Der Vorgänger des gegenwär¬
tige» Ministers des Innern, Graf Eulenburg, sagte am 13. Dezember 1878 im
Abgeordnetenhaus?: „Schon gestern bin ich in der Lage gewesen, in vollständiger
Übereinstimmung mit meinem Amtsvorgänger zu erklären, daß ich es nicht für
zulässig halte, amtliche Mittel und amtliche Autorität bei deu Wahlen zu mi߬
brauchen. Im übrigen hat niemand die Berechtigung, seine Thätigkeit bei den
Wahlen zu versagen, und die Staatsregierung wird einverstanden sein, wenn sie
in dieser Abgrenzung ans die Mitwirkung der Beamten bei den Wahlen zählen
kann, wie sie anch dankbar die Thätigkeit der Beamten bei den letzten Reichs-
tagSwahlcn anerkennt."

Wenden wir uns hiernächst den Verhandlungen des Reichstags im neuen
Jahre zu, so bot die Debatte über die Jnterpellation Hertlings wegen Besserung
des Looses der Fabrikarbeiter, die sofort nach der Wiedereröffnung der Sitzungen
das Haus zwei Tage lang beschäftigte, nur insofern besonderes Interesse, als
der Reichskanzler sich an ihnen beteiligte und dabei die Erklärung abgab, in der
letzte» Zeit sich überzeugt zu habe», daß die Uiifallversichcr»»g»icht ohne korporative
Unterlagen zustande komme» dürfe. Deutlicher ausgedrückt heißt das: Wenn
die Sache Praktischen Erfolg haben soll, so muß eine Arbeitsteilig eingerichtet
werden, die den Interessenten mit heranzieht und den Ersatz des Schadens mit
der Aufgabe verbindet, ihn durch Aufsicht seltener werden zu lassen, was der
Kanzler weiter mit deu Worten erläuterte: Die (zu bildenden) Korporationen
sollen wesentlich aus deu gleichartigen Gefahrenklassen bestehen wie die, welche
die Schäden zu tragen habe», so daß der, welcher diese mit seinen Beiträgen
decken muß, welcher also el» Interesse daran hat, Unfälle zu verhindern, zugleich
mit der Aufgabe betraut wird, über seine Genossen zu wachen, daß sie sich der
Gefahr, zu verunglücken, nicht leichtfertig aussetzen. Das staatliche Institut der
Fabrikinspektoren kann dabei erhalten bleiben, aber nicht in seiner jetzigen isolirt
bureaukratischen Gestalt, souderu getragen und unterstützt von jenen Korpora¬
tionen, die übrigens nicht fakultativ ermöglicht, sondern zwangsweise eingeführt
werde» solle». Bezeichnend war in der Rede noch vor allen: der Passus, wo
der Kanzler die Stellung charakterisirte, welche der Kaiser zu der Frage einnimmt.
Er sieht sie mit den Augen seiner Vorfahren an, er folgt der Tradition seiner
Dhuastic, die es ihm als Regentenpflicht erscheinen läßt, sich der Schwachen im
wirtschaftlichen Kampfe anzunehmen. Wie Friedrich der Große der „König der
Bettler" sein wollte, wie Friedrich Wilhelm der Dritte mit Stein und Harden-
berg die Bauern von der Hörigkeit befreite und dadurch stärker, wohlhabender
und unabhängiger werden ließ, so ist Kaiser Wilhelm von dem edeln Ehrgeiz


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/213>, abgerufen am 09.06.2024.