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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Reichstag und Landtag im neuen Jahre.

beseelt, in seinem hohen Alter wenigstens noch den Anstoß geben zu können,
daß für die hentznwge schwächste Klasse des Volkes eine wesentliche Besserung
ihrer Lage erzielt werde -- eine Tendenz, mit welcher es durchaus im Wider¬
spruche steht, wen" man nach dem Rezept des Manchcstertmns die Dinge gehen
lassen und den Schwachen auf seine eignen Kräfte anweisen will.

Der Entwurf des Unfallversichernngögesetzes wird also -- sehr wahrschein¬
lich in einer Frühjahrösession -- dem Reichstage i" einer Umarbeitung wieder
vorgelegt werden. Inzwischen haben Delegirte der drei Gruppen der "großen
liberalen Partei" den Versuch gemacht, zu zeigen, daß sie in dieser Frage nicht
bloß opponiren, sondern auch Positives leisten können, und daß auch sie sich für
das Wohl der Arbeiter interessiren. Sie habe" ihrerseits einen Unfallver-
sichernngs-Gesetzentwurf zustande gebracht und dem Reichstage zur Diskussion
übergebe", die damit endete, daß das Elaborat einer Kommission überwiesen
wurde. Der liberale Entwurf, der beiläufig nur die Übereinstimmung jener drei
Gruppen in seinen wesentlichen Bestimmungen, nicht in allen Einzelnheiten aus¬
drückt, verlangt in erster Linie die Verpflichtung des Unternehmers zur Ent¬
schädigung der bei seiner Unternehmung verunglückten Arbeiter und Beamten --
eine Bestimmung, die schon in der bisherigen Gesetzgebung (Haftpflicht) im Prinzip
enthalten ist. Von einer Verpflichtung der Arbeiter zu Beiträgen ist abgesehen,
ebenso von Zuschüssen des Reichs oder der Einzelstaate". Die Last, welche der
Industrie dadurch auferlegt wird, soll erleichtert, die Aussicht der Arbeiter, ohne
Weitläufigkeiten zu der ihnen gebührenden Entschädigung zu gelangen, verstärkt
werden durch die weitere Verpflichtung der Unternehmer, ihre Arbeiter bei einer
im deutschen Reiche zugelassenen Versicherungsanstalt zu versichern. Ferner wird
der Kreis vou Uiiteruchmuugen, welche das Haftpflichtgesetz gegenwärtig umfaßt,
durch deu Entwurf in der Weise erweitert, daß er alle Unternehmungen ein¬
schließt, bei denen infolge der Natur ihrer Maschinen oder ihres Betriebes die
Gefahr von Unfällen nahe liegt. Endlich sollen "Uufallskominissäre" angestellt
werden, deuen die Anzeige von Verunglücknugen ans diesem Gebiete obliegen
würde.

Der liberale Entwurf nähert sich in wesentlichen Punkten dem, welcher im
vergangenen Jahre dem Reichstage vom Bundesrate vorgelegt wurde. Daß
sogar die Fortschrittspartei und die Sezessionisten, die Vertreter des wissM-g-Hör,
den Versichcrungszwang eingeführt sehen wolle", ist erfreulich. Aber die
Vorschlüge der liberalen Opposition zeigen auch Mängel, die es sehr zweifelhaft
erscheinen lassen, ob eine Verständigung möglich sein wird. Namentlich ist unsers
Erachtens die Versicherung bei Gesellschaften, welche das Versicherungsgeschäft
des Erwerbs halber betreibe", unzulässig. Wir müssen zu dem Zwecke eine Reichs-
anstalt haben, da nur diese volle Bürgschaft gewährt, daß unter allen Umständen
prompt gezahlt wird. Normen über die Zulassmig von Privatgesellschaften
werden immer unwirlsani sein, da sie sich nicht so gestalten lassen, daß sie alle


Reichstag und Landtag im neuen Jahre.

beseelt, in seinem hohen Alter wenigstens noch den Anstoß geben zu können,
daß für die hentznwge schwächste Klasse des Volkes eine wesentliche Besserung
ihrer Lage erzielt werde — eine Tendenz, mit welcher es durchaus im Wider¬
spruche steht, wen» man nach dem Rezept des Manchcstertmns die Dinge gehen
lassen und den Schwachen auf seine eignen Kräfte anweisen will.

Der Entwurf des Unfallversichernngögesetzes wird also — sehr wahrschein¬
lich in einer Frühjahrösession — dem Reichstage i» einer Umarbeitung wieder
vorgelegt werden. Inzwischen haben Delegirte der drei Gruppen der „großen
liberalen Partei" den Versuch gemacht, zu zeigen, daß sie in dieser Frage nicht
bloß opponiren, sondern auch Positives leisten können, und daß auch sie sich für
das Wohl der Arbeiter interessiren. Sie habe» ihrerseits einen Unfallver-
sichernngs-Gesetzentwurf zustande gebracht und dem Reichstage zur Diskussion
übergebe», die damit endete, daß das Elaborat einer Kommission überwiesen
wurde. Der liberale Entwurf, der beiläufig nur die Übereinstimmung jener drei
Gruppen in seinen wesentlichen Bestimmungen, nicht in allen Einzelnheiten aus¬
drückt, verlangt in erster Linie die Verpflichtung des Unternehmers zur Ent¬
schädigung der bei seiner Unternehmung verunglückten Arbeiter und Beamten —
eine Bestimmung, die schon in der bisherigen Gesetzgebung (Haftpflicht) im Prinzip
enthalten ist. Von einer Verpflichtung der Arbeiter zu Beiträgen ist abgesehen,
ebenso von Zuschüssen des Reichs oder der Einzelstaate». Die Last, welche der
Industrie dadurch auferlegt wird, soll erleichtert, die Aussicht der Arbeiter, ohne
Weitläufigkeiten zu der ihnen gebührenden Entschädigung zu gelangen, verstärkt
werden durch die weitere Verpflichtung der Unternehmer, ihre Arbeiter bei einer
im deutschen Reiche zugelassenen Versicherungsanstalt zu versichern. Ferner wird
der Kreis vou Uiiteruchmuugen, welche das Haftpflichtgesetz gegenwärtig umfaßt,
durch deu Entwurf in der Weise erweitert, daß er alle Unternehmungen ein¬
schließt, bei denen infolge der Natur ihrer Maschinen oder ihres Betriebes die
Gefahr von Unfällen nahe liegt. Endlich sollen „Uufallskominissäre" angestellt
werden, deuen die Anzeige von Verunglücknugen ans diesem Gebiete obliegen
würde.

Der liberale Entwurf nähert sich in wesentlichen Punkten dem, welcher im
vergangenen Jahre dem Reichstage vom Bundesrate vorgelegt wurde. Daß
sogar die Fortschrittspartei und die Sezessionisten, die Vertreter des wissM-g-Hör,
den Versichcrungszwang eingeführt sehen wolle», ist erfreulich. Aber die
Vorschlüge der liberalen Opposition zeigen auch Mängel, die es sehr zweifelhaft
erscheinen lassen, ob eine Verständigung möglich sein wird. Namentlich ist unsers
Erachtens die Versicherung bei Gesellschaften, welche das Versicherungsgeschäft
des Erwerbs halber betreibe», unzulässig. Wir müssen zu dem Zwecke eine Reichs-
anstalt haben, da nur diese volle Bürgschaft gewährt, daß unter allen Umständen
prompt gezahlt wird. Normen über die Zulassmig von Privatgesellschaften
werden immer unwirlsani sein, da sie sich nicht so gestalten lassen, daß sie alle


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[0214] Reichstag und Landtag im neuen Jahre. beseelt, in seinem hohen Alter wenigstens noch den Anstoß geben zu können, daß für die hentznwge schwächste Klasse des Volkes eine wesentliche Besserung ihrer Lage erzielt werde — eine Tendenz, mit welcher es durchaus im Wider¬ spruche steht, wen» man nach dem Rezept des Manchcstertmns die Dinge gehen lassen und den Schwachen auf seine eignen Kräfte anweisen will. Der Entwurf des Unfallversichernngögesetzes wird also — sehr wahrschein¬ lich in einer Frühjahrösession — dem Reichstage i» einer Umarbeitung wieder vorgelegt werden. Inzwischen haben Delegirte der drei Gruppen der „großen liberalen Partei" den Versuch gemacht, zu zeigen, daß sie in dieser Frage nicht bloß opponiren, sondern auch Positives leisten können, und daß auch sie sich für das Wohl der Arbeiter interessiren. Sie habe» ihrerseits einen Unfallver- sichernngs-Gesetzentwurf zustande gebracht und dem Reichstage zur Diskussion übergebe», die damit endete, daß das Elaborat einer Kommission überwiesen wurde. Der liberale Entwurf, der beiläufig nur die Übereinstimmung jener drei Gruppen in seinen wesentlichen Bestimmungen, nicht in allen Einzelnheiten aus¬ drückt, verlangt in erster Linie die Verpflichtung des Unternehmers zur Ent¬ schädigung der bei seiner Unternehmung verunglückten Arbeiter und Beamten — eine Bestimmung, die schon in der bisherigen Gesetzgebung (Haftpflicht) im Prinzip enthalten ist. Von einer Verpflichtung der Arbeiter zu Beiträgen ist abgesehen, ebenso von Zuschüssen des Reichs oder der Einzelstaate». Die Last, welche der Industrie dadurch auferlegt wird, soll erleichtert, die Aussicht der Arbeiter, ohne Weitläufigkeiten zu der ihnen gebührenden Entschädigung zu gelangen, verstärkt werden durch die weitere Verpflichtung der Unternehmer, ihre Arbeiter bei einer im deutschen Reiche zugelassenen Versicherungsanstalt zu versichern. Ferner wird der Kreis vou Uiiteruchmuugen, welche das Haftpflichtgesetz gegenwärtig umfaßt, durch deu Entwurf in der Weise erweitert, daß er alle Unternehmungen ein¬ schließt, bei denen infolge der Natur ihrer Maschinen oder ihres Betriebes die Gefahr von Unfällen nahe liegt. Endlich sollen „Uufallskominissäre" angestellt werden, deuen die Anzeige von Verunglücknugen ans diesem Gebiete obliegen würde. Der liberale Entwurf nähert sich in wesentlichen Punkten dem, welcher im vergangenen Jahre dem Reichstage vom Bundesrate vorgelegt wurde. Daß sogar die Fortschrittspartei und die Sezessionisten, die Vertreter des wissM-g-Hör, den Versichcrungszwang eingeführt sehen wolle», ist erfreulich. Aber die Vorschlüge der liberalen Opposition zeigen auch Mängel, die es sehr zweifelhaft erscheinen lassen, ob eine Verständigung möglich sein wird. Namentlich ist unsers Erachtens die Versicherung bei Gesellschaften, welche das Versicherungsgeschäft des Erwerbs halber betreibe», unzulässig. Wir müssen zu dem Zwecke eine Reichs- anstalt haben, da nur diese volle Bürgschaft gewährt, daß unter allen Umständen prompt gezahlt wird. Normen über die Zulassmig von Privatgesellschaften werden immer unwirlsani sein, da sie sich nicht so gestalten lassen, daß sie alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/214>, abgerufen am 10.06.2024.