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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die österreichischen Knponprocesse.

Einlösungsbeträge, welche den Nominalbetrag von 200, bez. 5 Gulden "sogar
übersteigen."

Die deutschen Gerichte -- abgesehen von dem Appellationsgericht zu Kassel,
welches den Österreichern im wesentlichen zugestimmt hat -- haben eine ganz
andre Stellung zu der Frage angenommen. Die von den Beklagten aufgestellten
und von den österreichischen Gerichten gebilligten Einwendungen, daß die Beträge
der Thaler- bez. süddeutschen Währung nur um der Vergleichung mit der
österreichischen Gulden willen in die Verschreibungen aufgenommen, daß letztere
vsrg, nur auf österreichische Silberbcträge gestellt und die genannten Summen
der beiden andern Währungen nur unter der Voraussetzung der Fortdauer der
damals infolge der Münzkonvention von 1857 bestandenen Wertgleichhcit prvmittirt
seien, werden als "nicht wahr" zurückgewiesen. Vielmehr hätten die österreichischen
Gesellschaften versprochen, in Deutschland zu zahlen Thaler und süddeutsche Gulden,
die Obligationen hätten also einen Erfüllungsort in Deutschland und unterstünden
mithin dem deutschen Recht, da Obligationen allgemein unter dem Rechte des
Erfüllungsortes ständen. Das deutsche Recht aber gebietet ausnahmslos zu
zahle" für jeden geschuldeten Thaler drei Mark, sür jeden Gulden ein und fünf-
siebentcl Mark. Richter und Gläubiger also steheu in Deutschland zusammen
den österreichischen Schuldnern gegenüber.

Bekker giebt nur den deutschen Gerichten darin Recht, daß die Österreicher
eine bestimmte Summe, nicht nur von Gulden, sondern ebenso von Thalern zu¬
gesichert haben. Aber er bestreitet, daß sie die betreffende Summe auch nach
der Währungsreform noch schuldeten, da der Schuldner -- und hierin finden
wir den wertvollsten Theil von Bckkers Ausführungen -- nicht immer der 1"x
looi solutionis, im vorliegenden Falle also dem deutschen Münzgesetze, unterstehe.
Das Recht des Erfüllungsortes ist nach Bekker nicht allemal dasjenige, nach
welchem die einzelnen in Beziehung auf eine Schuldverbindlichkeit auftauchenden
Rechtsfragen zu entscheiden sind. Die Savignysche Lehre, daß der Schuldner,
der nicht das Gegenteil ausdrücklich erklärt habe, stets durch "freiwillige Unter¬
werfung" unter das Recht des Erfüllungsortes komme, beruhe nicht auf Re¬
alitäten, sondern auf Fiktionen, für welche Savigny selber keinen Grund anzu¬
geben wisse. Ebenso wenig vermöchten die sorgfältigen Ausführungen von Bostan
den Satz, daß der Schuldner als solcher regelmäßig dem Recht des Erfülluugs-
ortes untergeben sei, nicht als logische Konsequenz des Territorialprinzips zu
erweisen. Nur dann sei das Recht des Erfüllungsortes maßgebend, wenn die
Parteien faktisch der Gewalt des Gesetzgebers unterworfen sind oder demselben
sich freiwillig unterworfen haben. Die österreichischen Gesellschaften aber unter¬
stehen im allgemeinen uicht der legislativen Kompetenz des deutschen Reichs,
und daß sie ihre Schuldverhältnisse gerade dem Reichsmünzgesetz, Artikel 14
8 2, hätten unterwerfen wollen, ist wenigstens bei den meisten nicht anzu¬
nehmen.


Die österreichischen Knponprocesse.

Einlösungsbeträge, welche den Nominalbetrag von 200, bez. 5 Gulden „sogar
übersteigen."

Die deutschen Gerichte — abgesehen von dem Appellationsgericht zu Kassel,
welches den Österreichern im wesentlichen zugestimmt hat — haben eine ganz
andre Stellung zu der Frage angenommen. Die von den Beklagten aufgestellten
und von den österreichischen Gerichten gebilligten Einwendungen, daß die Beträge
der Thaler- bez. süddeutschen Währung nur um der Vergleichung mit der
österreichischen Gulden willen in die Verschreibungen aufgenommen, daß letztere
vsrg, nur auf österreichische Silberbcträge gestellt und die genannten Summen
der beiden andern Währungen nur unter der Voraussetzung der Fortdauer der
damals infolge der Münzkonvention von 1857 bestandenen Wertgleichhcit prvmittirt
seien, werden als „nicht wahr" zurückgewiesen. Vielmehr hätten die österreichischen
Gesellschaften versprochen, in Deutschland zu zahlen Thaler und süddeutsche Gulden,
die Obligationen hätten also einen Erfüllungsort in Deutschland und unterstünden
mithin dem deutschen Recht, da Obligationen allgemein unter dem Rechte des
Erfüllungsortes ständen. Das deutsche Recht aber gebietet ausnahmslos zu
zahle» für jeden geschuldeten Thaler drei Mark, sür jeden Gulden ein und fünf-
siebentcl Mark. Richter und Gläubiger also steheu in Deutschland zusammen
den österreichischen Schuldnern gegenüber.

Bekker giebt nur den deutschen Gerichten darin Recht, daß die Österreicher
eine bestimmte Summe, nicht nur von Gulden, sondern ebenso von Thalern zu¬
gesichert haben. Aber er bestreitet, daß sie die betreffende Summe auch nach
der Währungsreform noch schuldeten, da der Schuldner — und hierin finden
wir den wertvollsten Theil von Bckkers Ausführungen — nicht immer der 1«x
looi solutionis, im vorliegenden Falle also dem deutschen Münzgesetze, unterstehe.
Das Recht des Erfüllungsortes ist nach Bekker nicht allemal dasjenige, nach
welchem die einzelnen in Beziehung auf eine Schuldverbindlichkeit auftauchenden
Rechtsfragen zu entscheiden sind. Die Savignysche Lehre, daß der Schuldner,
der nicht das Gegenteil ausdrücklich erklärt habe, stets durch „freiwillige Unter¬
werfung" unter das Recht des Erfüllungsortes komme, beruhe nicht auf Re¬
alitäten, sondern auf Fiktionen, für welche Savigny selber keinen Grund anzu¬
geben wisse. Ebenso wenig vermöchten die sorgfältigen Ausführungen von Bostan
den Satz, daß der Schuldner als solcher regelmäßig dem Recht des Erfülluugs-
ortes untergeben sei, nicht als logische Konsequenz des Territorialprinzips zu
erweisen. Nur dann sei das Recht des Erfüllungsortes maßgebend, wenn die
Parteien faktisch der Gewalt des Gesetzgebers unterworfen sind oder demselben
sich freiwillig unterworfen haben. Die österreichischen Gesellschaften aber unter¬
stehen im allgemeinen uicht der legislativen Kompetenz des deutschen Reichs,
und daß sie ihre Schuldverhältnisse gerade dem Reichsmünzgesetz, Artikel 14
8 2, hätten unterwerfen wollen, ist wenigstens bei den meisten nicht anzu¬
nehmen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/24>, abgerufen am 26.05.2024.