Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Bakchen und Thyrsosträger.

nötig war. Zweimal streifte ihn ihr Kleid mit leisem Rauschen, und als sie das
Kugel-Halsband aufnahm, und es um den Nacken legte, schoß sie einen schnellen,
losen Blick und ein kokettes Lächeln gleich zündenden Pfeilen auf ihn ab. Endlich
kam sie in ernster und demütiger Haltung zu ihm.

Verzeih mir, sagte sie mit gefalteten Händen, ich war kindisch. Du bist
ein großer Mann, und deshalb wird es mir schwer, immer den richtigen Maßstab
für dich zu finden. Aber ich will mir Mühe geben, habe du nur Nachsicht mit
mir. Meine Liebe zu dir mag mich selbst zerstören, deinen Werken, deinen großen
politischen Plänen soll sie nicht hinderlich sein. Wirke, schaffe, ich will stolz sein
auf jede Minute, die du für mich erübrigst. Ich bin dein Geschöpf, du bist
mein Gott.

Sie war ihm ganz nahe gekommen, er wußte nicht, wie. Gleitend war
sie da, umfaßte seinen Hals, sank an ihm nieder und umwand ihn alsbald mit
den Ringen ihrer geschmeidigen Glieder.

Meine alte Schlange! flüsterte er unter ihren heißen Küssen, du bist ent¬
zückend, und ich schwöre dir: Niemals werde ich dich verlassen.




Fünftes Aapitel.
Heautontimorumenos.

Schau! Im zweifelhaften Dunkel
Glühend blühe" alle Zweige,
Nieder spielet Stern auf Stern,
Und, Smaragden, durchs Gesträuche
Tausendfältiger Karfunkel.
Doch dein Geist ist allem fern.

Der blasse Jüngling, der so gründlich über die Ungerechtigkeit in der Welt
nachgedacht hatte, war der zweite Sohn des Dr. Stahlhardt, Namens Ephraim.
Es war dieser Name von jeher in der Familie seines Vaters gewesen, und trotz
des Widerspruchs der Mutter hatte auch er ihn in der Taufe erhalten. Er
studirte ans der Universität zu Berlin, und das Ziel seines Strebens war, Professor
der Geschichte zu werden. Er war außerordentlich fleißig, es gab für ihn kein
Interesse außerhalb der Wissenschaft. Die Bücher waren sein Glück, die Studir-
lampe war seine Sonne.

Er war erst zwanzig Jahre alt, aber schon blickten seine Lehrer mit Be¬
wunderung auf ihn und verkündigten, daß in ihm eine Leuchte der Wissenschaft
verborgen sei, die dereinst vieles erhellen werde. Auf dem Gymnasium war es
sein Loos gewesen, die Lehrer in Verwirrung zu setzen durch die Schärfe seiner
Intelligenz und die schneidende Kritik seines Verstandes. Doch war er zugleich
seiner Lehrer größte Freude, denn das Wissen allein galt ihm etwas, und niemals


Bakchen und Thyrsosträger.

nötig war. Zweimal streifte ihn ihr Kleid mit leisem Rauschen, und als sie das
Kugel-Halsband aufnahm, und es um den Nacken legte, schoß sie einen schnellen,
losen Blick und ein kokettes Lächeln gleich zündenden Pfeilen auf ihn ab. Endlich
kam sie in ernster und demütiger Haltung zu ihm.

Verzeih mir, sagte sie mit gefalteten Händen, ich war kindisch. Du bist
ein großer Mann, und deshalb wird es mir schwer, immer den richtigen Maßstab
für dich zu finden. Aber ich will mir Mühe geben, habe du nur Nachsicht mit
mir. Meine Liebe zu dir mag mich selbst zerstören, deinen Werken, deinen großen
politischen Plänen soll sie nicht hinderlich sein. Wirke, schaffe, ich will stolz sein
auf jede Minute, die du für mich erübrigst. Ich bin dein Geschöpf, du bist
mein Gott.

Sie war ihm ganz nahe gekommen, er wußte nicht, wie. Gleitend war
sie da, umfaßte seinen Hals, sank an ihm nieder und umwand ihn alsbald mit
den Ringen ihrer geschmeidigen Glieder.

Meine alte Schlange! flüsterte er unter ihren heißen Küssen, du bist ent¬
zückend, und ich schwöre dir: Niemals werde ich dich verlassen.




Fünftes Aapitel.
Heautontimorumenos.

Schau! Im zweifelhaften Dunkel
Glühend blühe» alle Zweige,
Nieder spielet Stern auf Stern,
Und, Smaragden, durchs Gesträuche
Tausendfältiger Karfunkel.
Doch dein Geist ist allem fern.

Der blasse Jüngling, der so gründlich über die Ungerechtigkeit in der Welt
nachgedacht hatte, war der zweite Sohn des Dr. Stahlhardt, Namens Ephraim.
Es war dieser Name von jeher in der Familie seines Vaters gewesen, und trotz
des Widerspruchs der Mutter hatte auch er ihn in der Taufe erhalten. Er
studirte ans der Universität zu Berlin, und das Ziel seines Strebens war, Professor
der Geschichte zu werden. Er war außerordentlich fleißig, es gab für ihn kein
Interesse außerhalb der Wissenschaft. Die Bücher waren sein Glück, die Studir-
lampe war seine Sonne.

Er war erst zwanzig Jahre alt, aber schon blickten seine Lehrer mit Be¬
wunderung auf ihn und verkündigten, daß in ihm eine Leuchte der Wissenschaft
verborgen sei, die dereinst vieles erhellen werde. Auf dem Gymnasium war es
sein Loos gewesen, die Lehrer in Verwirrung zu setzen durch die Schärfe seiner
Intelligenz und die schneidende Kritik seines Verstandes. Doch war er zugleich
seiner Lehrer größte Freude, denn das Wissen allein galt ihm etwas, und niemals


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86371"/>
          <fw type="header" place="top"> Bakchen und Thyrsosträger.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1010" prev="#ID_1009"> nötig war. Zweimal streifte ihn ihr Kleid mit leisem Rauschen, und als sie das<lb/>
Kugel-Halsband aufnahm, und es um den Nacken legte, schoß sie einen schnellen,<lb/>
losen Blick und ein kokettes Lächeln gleich zündenden Pfeilen auf ihn ab. Endlich<lb/>
kam sie in ernster und demütiger Haltung zu ihm.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1011"> Verzeih mir, sagte sie mit gefalteten Händen, ich war kindisch. Du bist<lb/>
ein großer Mann, und deshalb wird es mir schwer, immer den richtigen Maßstab<lb/>
für dich zu finden. Aber ich will mir Mühe geben, habe du nur Nachsicht mit<lb/>
mir. Meine Liebe zu dir mag mich selbst zerstören, deinen Werken, deinen großen<lb/>
politischen Plänen soll sie nicht hinderlich sein. Wirke, schaffe, ich will stolz sein<lb/>
auf jede Minute, die du für mich erübrigst. Ich bin dein Geschöpf, du bist<lb/>
mein Gott.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1012"> Sie war ihm ganz nahe gekommen, er wußte nicht, wie. Gleitend war<lb/>
sie da, umfaßte seinen Hals, sank an ihm nieder und umwand ihn alsbald mit<lb/>
den Ringen ihrer geschmeidigen Glieder.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1013"> Meine alte Schlange! flüsterte er unter ihren heißen Küssen, du bist ent¬<lb/>
zückend, und ich schwöre dir: Niemals werde ich dich verlassen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> Fünftes Aapitel.<lb/>
Heautontimorumenos.</head><lb/>
            <quote type="epigraph"> Schau! Im zweifelhaften Dunkel<lb/>
Glühend blühe» alle Zweige,<lb/>
Nieder spielet Stern auf Stern,<lb/>
Und, Smaragden, durchs Gesträuche<lb/>
Tausendfältiger Karfunkel.<lb/>
Doch dein Geist ist allem fern.</quote><lb/>
            <p xml:id="ID_1014"> Der blasse Jüngling, der so gründlich über die Ungerechtigkeit in der Welt<lb/>
nachgedacht hatte, war der zweite Sohn des Dr. Stahlhardt, Namens Ephraim.<lb/>
Es war dieser Name von jeher in der Familie seines Vaters gewesen, und trotz<lb/>
des Widerspruchs der Mutter hatte auch er ihn in der Taufe erhalten. Er<lb/>
studirte ans der Universität zu Berlin, und das Ziel seines Strebens war, Professor<lb/>
der Geschichte zu werden. Er war außerordentlich fleißig, es gab für ihn kein<lb/>
Interesse außerhalb der Wissenschaft. Die Bücher waren sein Glück, die Studir-<lb/>
lampe war seine Sonne.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1015" next="#ID_1016"> Er war erst zwanzig Jahre alt, aber schon blickten seine Lehrer mit Be¬<lb/>
wunderung auf ihn und verkündigten, daß in ihm eine Leuchte der Wissenschaft<lb/>
verborgen sei, die dereinst vieles erhellen werde. Auf dem Gymnasium war es<lb/>
sein Loos gewesen, die Lehrer in Verwirrung zu setzen durch die Schärfe seiner<lb/>
Intelligenz und die schneidende Kritik seines Verstandes. Doch war er zugleich<lb/>
seiner Lehrer größte Freude, denn das Wissen allein galt ihm etwas, und niemals</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0250] Bakchen und Thyrsosträger. nötig war. Zweimal streifte ihn ihr Kleid mit leisem Rauschen, und als sie das Kugel-Halsband aufnahm, und es um den Nacken legte, schoß sie einen schnellen, losen Blick und ein kokettes Lächeln gleich zündenden Pfeilen auf ihn ab. Endlich kam sie in ernster und demütiger Haltung zu ihm. Verzeih mir, sagte sie mit gefalteten Händen, ich war kindisch. Du bist ein großer Mann, und deshalb wird es mir schwer, immer den richtigen Maßstab für dich zu finden. Aber ich will mir Mühe geben, habe du nur Nachsicht mit mir. Meine Liebe zu dir mag mich selbst zerstören, deinen Werken, deinen großen politischen Plänen soll sie nicht hinderlich sein. Wirke, schaffe, ich will stolz sein auf jede Minute, die du für mich erübrigst. Ich bin dein Geschöpf, du bist mein Gott. Sie war ihm ganz nahe gekommen, er wußte nicht, wie. Gleitend war sie da, umfaßte seinen Hals, sank an ihm nieder und umwand ihn alsbald mit den Ringen ihrer geschmeidigen Glieder. Meine alte Schlange! flüsterte er unter ihren heißen Küssen, du bist ent¬ zückend, und ich schwöre dir: Niemals werde ich dich verlassen. Fünftes Aapitel. Heautontimorumenos. Schau! Im zweifelhaften Dunkel Glühend blühe» alle Zweige, Nieder spielet Stern auf Stern, Und, Smaragden, durchs Gesträuche Tausendfältiger Karfunkel. Doch dein Geist ist allem fern. Der blasse Jüngling, der so gründlich über die Ungerechtigkeit in der Welt nachgedacht hatte, war der zweite Sohn des Dr. Stahlhardt, Namens Ephraim. Es war dieser Name von jeher in der Familie seines Vaters gewesen, und trotz des Widerspruchs der Mutter hatte auch er ihn in der Taufe erhalten. Er studirte ans der Universität zu Berlin, und das Ziel seines Strebens war, Professor der Geschichte zu werden. Er war außerordentlich fleißig, es gab für ihn kein Interesse außerhalb der Wissenschaft. Die Bücher waren sein Glück, die Studir- lampe war seine Sonne. Er war erst zwanzig Jahre alt, aber schon blickten seine Lehrer mit Be¬ wunderung auf ihn und verkündigten, daß in ihm eine Leuchte der Wissenschaft verborgen sei, die dereinst vieles erhellen werde. Auf dem Gymnasium war es sein Loos gewesen, die Lehrer in Verwirrung zu setzen durch die Schärfe seiner Intelligenz und die schneidende Kritik seines Verstandes. Doch war er zugleich seiner Lehrer größte Freude, denn das Wissen allein galt ihm etwas, und niemals

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/250
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/250>, abgerufen am 26.05.2024.