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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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statt durch eine Fülle wechselvoller Bilder zu imponiren, die nur durch ein be¬
ständiges Fallen des Zwischeiworhaugs und lange störende Pausen erkauft werden
kömien.

In dieser Konzentration des Interesses auf das Drama mehr als die ein¬
zelne schauspielerische Leistung, in dieser Pflege des Ensembles liegt auch das stärkste
Gegengewicht gegen die aufdringliche Virtuosität, die immer noch auf Gastspielreisen
zieht und ein sonst urteilsfähiges Publikum über den Wert ihrer Leistungen
täuscht. Sie wird freilich nicht verschwinden, so lange das Publikum sich nicht
selbst von ihr abwendet. Es braucht sich nicht feindlich gegen die Gäste zu
Verhalten, nur etwas kühler und kritischer als üblich. Die eigentlichen Meister
des Virtuoseutums und der Reklame können mit dem Gelde auch den Weihrauch
nicht entbehren; wird dieser kärglicher angezündet, dann nehmen wohl auch die
wahnsinnigen Gagenfvrdcrungen dieser Sterne ab, die in jeder Beziehung ein
wirtschaftlicher Skandal sind. Ist auch Amerika in diesem Punkte das Meist¬
bietende Laud, so hat doch auch Deutschland seine strahlenden Beispiele aufzu-
weisen. Die gute Kraft darf natürlich immer besser honorirt werden als die
schlechte, und reiht sie sich organisch in das fremde Ensemble ein, so wird sie
willkommen sein, und man wird ihr die schauspielerischen Freuden, die sie uns
bereitet, danken. Wird sie aber in einer Weise gefeiert wie die Französin Sarah
Bernhardt (sei sie selbst eine Rüchel) in Wien, empfängt eine vielköpfige Menge
sie schon am Bahnhof mit Hurrarufen, beschäftigt sich die Presse schon lange
vor ihrem Auftreten mit ihrem Hunde und ihren Toiletten, dann sollte man
doch mit einem Erröten der Scham auf die vielen schaffenden Meister blicken,
die ihr bürgerliches Dasein über eine sehr bescheidene Sphäre nicht zu heben
vermocht haben und nach deren Woher und Wohin niemand fragt. Warum
will die reproduzirende Kunst vor der produzirenden etwas voraus haben? Sie
hat kein Recht dazu, und diejenigen ihrer Jünger, die es verlangen, haben be¬
sonders Unrecht. Wer der Reklame sich bedient, wird sie Wohl auch bedürfen.
Wenn doch die Presse diesen eiteln Menschen und ihren Vorkämpfern ihre
Fürsorge versagte! Seit drei Jahren ist nun schon fast in allen Zeitungen
von der ehemaligen Wiesbadener Hofopcrnsängcrin Fräulein Hedwig Nolandt
die Rede, die eine Koloratursängerin ohnegleichen sein soll. Man erfuhr, welche
Rollen sie neu studirt, welche Engagementsanträge sie erhalten und abgelehnt,
wo sie ihre Sommerfrische genieße, welche Huldigungen ihr bei ihrem Abschied
von Wiesbaden gebracht worden seien, welche Poeten sie besungen, kurz alles,
alles mit unheimlicher statistischer Genauigkeit. Sind denn Lucia von Lammer-
movr, die Rosine des "Barbier von Sevilla" die höchsten Probleme der Mensch¬
heit, und steigt man auf der Cvlvraturkette und den Stciecati der Königin der
Nacht direkt in den Himmel? Wären diese Leistungen selbst tadellos und stieße
die Künstlerschaft des Fräulein Rolandt nicht auf die Bedenken der tonangebenden
Kritik, was wäre es denn Großes? Ein Hoftheater würde sich ihrer schleunigst


statt durch eine Fülle wechselvoller Bilder zu imponiren, die nur durch ein be¬
ständiges Fallen des Zwischeiworhaugs und lange störende Pausen erkauft werden
kömien.

In dieser Konzentration des Interesses auf das Drama mehr als die ein¬
zelne schauspielerische Leistung, in dieser Pflege des Ensembles liegt auch das stärkste
Gegengewicht gegen die aufdringliche Virtuosität, die immer noch auf Gastspielreisen
zieht und ein sonst urteilsfähiges Publikum über den Wert ihrer Leistungen
täuscht. Sie wird freilich nicht verschwinden, so lange das Publikum sich nicht
selbst von ihr abwendet. Es braucht sich nicht feindlich gegen die Gäste zu
Verhalten, nur etwas kühler und kritischer als üblich. Die eigentlichen Meister
des Virtuoseutums und der Reklame können mit dem Gelde auch den Weihrauch
nicht entbehren; wird dieser kärglicher angezündet, dann nehmen wohl auch die
wahnsinnigen Gagenfvrdcrungen dieser Sterne ab, die in jeder Beziehung ein
wirtschaftlicher Skandal sind. Ist auch Amerika in diesem Punkte das Meist¬
bietende Laud, so hat doch auch Deutschland seine strahlenden Beispiele aufzu-
weisen. Die gute Kraft darf natürlich immer besser honorirt werden als die
schlechte, und reiht sie sich organisch in das fremde Ensemble ein, so wird sie
willkommen sein, und man wird ihr die schauspielerischen Freuden, die sie uns
bereitet, danken. Wird sie aber in einer Weise gefeiert wie die Französin Sarah
Bernhardt (sei sie selbst eine Rüchel) in Wien, empfängt eine vielköpfige Menge
sie schon am Bahnhof mit Hurrarufen, beschäftigt sich die Presse schon lange
vor ihrem Auftreten mit ihrem Hunde und ihren Toiletten, dann sollte man
doch mit einem Erröten der Scham auf die vielen schaffenden Meister blicken,
die ihr bürgerliches Dasein über eine sehr bescheidene Sphäre nicht zu heben
vermocht haben und nach deren Woher und Wohin niemand fragt. Warum
will die reproduzirende Kunst vor der produzirenden etwas voraus haben? Sie
hat kein Recht dazu, und diejenigen ihrer Jünger, die es verlangen, haben be¬
sonders Unrecht. Wer der Reklame sich bedient, wird sie Wohl auch bedürfen.
Wenn doch die Presse diesen eiteln Menschen und ihren Vorkämpfern ihre
Fürsorge versagte! Seit drei Jahren ist nun schon fast in allen Zeitungen
von der ehemaligen Wiesbadener Hofopcrnsängcrin Fräulein Hedwig Nolandt
die Rede, die eine Koloratursängerin ohnegleichen sein soll. Man erfuhr, welche
Rollen sie neu studirt, welche Engagementsanträge sie erhalten und abgelehnt,
wo sie ihre Sommerfrische genieße, welche Huldigungen ihr bei ihrem Abschied
von Wiesbaden gebracht worden seien, welche Poeten sie besungen, kurz alles,
alles mit unheimlicher statistischer Genauigkeit. Sind denn Lucia von Lammer-
movr, die Rosine des „Barbier von Sevilla" die höchsten Probleme der Mensch¬
heit, und steigt man auf der Cvlvraturkette und den Stciecati der Königin der
Nacht direkt in den Himmel? Wären diese Leistungen selbst tadellos und stieße
die Künstlerschaft des Fräulein Rolandt nicht auf die Bedenken der tonangebenden
Kritik, was wäre es denn Großes? Ein Hoftheater würde sich ihrer schleunigst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/40>, abgerufen am 18.05.2024.