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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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auch Parteimann, und sein Exil war wahrlich ein andres als das des Re-
fraktärs Georg Herwegh aber wie fällt bei ihm Schlacke um Schlacke, bis
er zuletzt, durch Liebe geläutert und verklärt, alles Irdische abgestreift hat und
von den Höhen des Paradieses auf deu Wust des alten Lebens herabschaut.
Und doch -- warum hat Herwegh nicht ihn oder Milton mir entgegengehalten?
Statt dessen macht er die Phrase: "Selbst Götter stiegen vom Olympe nieder
und kämpften ans den Zinnen der Partei." saubere Parteigänger, diese Götter!
Wir Wissen's ja, wann" V'crus den Paris und den Äueas schützte, und warum
es wiederum Mars mit der Venus hielt!"

Die hier angedeutete poetische Autwort wurde uicht vollendet. Als dagegen
im Januar 1843 Herwegh, der von Friedrich Wilhelm IV. in einer Audienz
wohlwollend empfangen worden war, die Taktlosigkeit beging, an denselben jenen
durch alle Zeitungen gehenden verletzenden Brief " unter vier Augen" zu richten,
der seine Ausweisung aus Preußen zur Folge hatte, da verfaßte Freiligrath,
der durch solche Vorgänge die Sache der Freiheit, welcher auch er sich immer mehr
anschloß, nur kompromittirt sah, seine vernichtende poetische Epistel an Herwegh.
Im Begriff, sie zu veröffentlichen, schreibt er an Karl Büchner: "Ich fühle,
daß das Gedicht gut und schlagend ist, bin mir auch bewußt, daß ich die Sache
"ud nicht die Person im Ange habe, doch steht mir die junge Produktion noch
zu nahe, als daß ich schon selbst in allen Dingen ein ganz freies Urteil darüber
haben könnte. Teilen Sie mir drum das ihrige offen und ohne Hehl mit,
Sie wissen wohl, daß ich mit mir reden lasse. Zunächst fragt es sich, ob der
unbefangene Leser sofort deu durchaus freie" Standpunkt des Verfassers er¬
kennen, und keinerlei reaktionäre Tendenzen in dem Poem wittern wird. Wo
man den dummen Streich eines Freiheitshelden rügt, glauben die Dummen nur
gar zu leicht, ma" wolle der Freiheit selbst ans Zeug. . . . Wenn die ächte,
wahre Freiheit nicht noch mehr kompromittirt werden soll, so muß mau diesem
egoistischen Unwesen, diesem Schindlndertreiben mit der Freiheit venia vordo,
ich kann mich aber bei Gott nicht anständiger ausdrücke") energisch entgegen¬
wirken, und dein hoffärtigen Troß zeigen, daß man, trotz ihres Absprechens,
auch eine politische Gesinnung hat, wenn man sie auch nicht bei jedem Atem¬
holen im Maul führt."

Der Gang der Ereignisse jedoch, das Ausbleiben der Hoffnungen, die man
an Friedrich Wilhelms IV. Auftreten geknüpft hatte, führten anch Freiligrath
immer weiter mich links, und wie er stets beim poetischen Schaffen nur den
zwingenden Impulse" seines Innern folgte, drängte es auch ihn jetzt mit Macht,
seine Stimme in dem Ehvrus der mit Deutschlands Gegenwart unzufriedenen
Dichter gleichfalls zu erheben. Bereits im Sommer dieses Jahres beginnen
diese politischen Expektorationen. Im August schreibt er an Schücking: "Ich
bin seit vierzehn Tage" wieder einmal rechtschaffen schafferig (wie die Schwaben
sage") ""d lasse el" Sonett "ach dem andern vom Stapel. Meist über Fragen


auch Parteimann, und sein Exil war wahrlich ein andres als das des Re-
fraktärs Georg Herwegh aber wie fällt bei ihm Schlacke um Schlacke, bis
er zuletzt, durch Liebe geläutert und verklärt, alles Irdische abgestreift hat und
von den Höhen des Paradieses auf deu Wust des alten Lebens herabschaut.
Und doch — warum hat Herwegh nicht ihn oder Milton mir entgegengehalten?
Statt dessen macht er die Phrase: «Selbst Götter stiegen vom Olympe nieder
und kämpften ans den Zinnen der Partei.» saubere Parteigänger, diese Götter!
Wir Wissen's ja, wann» V'crus den Paris und den Äueas schützte, und warum
es wiederum Mars mit der Venus hielt!"

Die hier angedeutete poetische Autwort wurde uicht vollendet. Als dagegen
im Januar 1843 Herwegh, der von Friedrich Wilhelm IV. in einer Audienz
wohlwollend empfangen worden war, die Taktlosigkeit beging, an denselben jenen
durch alle Zeitungen gehenden verletzenden Brief „ unter vier Augen" zu richten,
der seine Ausweisung aus Preußen zur Folge hatte, da verfaßte Freiligrath,
der durch solche Vorgänge die Sache der Freiheit, welcher auch er sich immer mehr
anschloß, nur kompromittirt sah, seine vernichtende poetische Epistel an Herwegh.
Im Begriff, sie zu veröffentlichen, schreibt er an Karl Büchner: „Ich fühle,
daß das Gedicht gut und schlagend ist, bin mir auch bewußt, daß ich die Sache
»ud nicht die Person im Ange habe, doch steht mir die junge Produktion noch
zu nahe, als daß ich schon selbst in allen Dingen ein ganz freies Urteil darüber
haben könnte. Teilen Sie mir drum das ihrige offen und ohne Hehl mit,
Sie wissen wohl, daß ich mit mir reden lasse. Zunächst fragt es sich, ob der
unbefangene Leser sofort deu durchaus freie» Standpunkt des Verfassers er¬
kennen, und keinerlei reaktionäre Tendenzen in dem Poem wittern wird. Wo
man den dummen Streich eines Freiheitshelden rügt, glauben die Dummen nur
gar zu leicht, ma» wolle der Freiheit selbst ans Zeug. . . . Wenn die ächte,
wahre Freiheit nicht noch mehr kompromittirt werden soll, so muß mau diesem
egoistischen Unwesen, diesem Schindlndertreiben mit der Freiheit venia vordo,
ich kann mich aber bei Gott nicht anständiger ausdrücke») energisch entgegen¬
wirken, und dein hoffärtigen Troß zeigen, daß man, trotz ihres Absprechens,
auch eine politische Gesinnung hat, wenn man sie auch nicht bei jedem Atem¬
holen im Maul führt."

Der Gang der Ereignisse jedoch, das Ausbleiben der Hoffnungen, die man
an Friedrich Wilhelms IV. Auftreten geknüpft hatte, führten anch Freiligrath
immer weiter mich links, und wie er stets beim poetischen Schaffen nur den
zwingenden Impulse» seines Innern folgte, drängte es auch ihn jetzt mit Macht,
seine Stimme in dem Ehvrus der mit Deutschlands Gegenwart unzufriedenen
Dichter gleichfalls zu erheben. Bereits im Sommer dieses Jahres beginnen
diese politischen Expektorationen. Im August schreibt er an Schücking: „Ich
bin seit vierzehn Tage» wieder einmal rechtschaffen schafferig (wie die Schwaben
sage») »»d lasse el» Sonett »ach dem andern vom Stapel. Meist über Fragen


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[0655] auch Parteimann, und sein Exil war wahrlich ein andres als das des Re- fraktärs Georg Herwegh aber wie fällt bei ihm Schlacke um Schlacke, bis er zuletzt, durch Liebe geläutert und verklärt, alles Irdische abgestreift hat und von den Höhen des Paradieses auf deu Wust des alten Lebens herabschaut. Und doch — warum hat Herwegh nicht ihn oder Milton mir entgegengehalten? Statt dessen macht er die Phrase: «Selbst Götter stiegen vom Olympe nieder und kämpften ans den Zinnen der Partei.» saubere Parteigänger, diese Götter! Wir Wissen's ja, wann» V'crus den Paris und den Äueas schützte, und warum es wiederum Mars mit der Venus hielt!" Die hier angedeutete poetische Autwort wurde uicht vollendet. Als dagegen im Januar 1843 Herwegh, der von Friedrich Wilhelm IV. in einer Audienz wohlwollend empfangen worden war, die Taktlosigkeit beging, an denselben jenen durch alle Zeitungen gehenden verletzenden Brief „ unter vier Augen" zu richten, der seine Ausweisung aus Preußen zur Folge hatte, da verfaßte Freiligrath, der durch solche Vorgänge die Sache der Freiheit, welcher auch er sich immer mehr anschloß, nur kompromittirt sah, seine vernichtende poetische Epistel an Herwegh. Im Begriff, sie zu veröffentlichen, schreibt er an Karl Büchner: „Ich fühle, daß das Gedicht gut und schlagend ist, bin mir auch bewußt, daß ich die Sache »ud nicht die Person im Ange habe, doch steht mir die junge Produktion noch zu nahe, als daß ich schon selbst in allen Dingen ein ganz freies Urteil darüber haben könnte. Teilen Sie mir drum das ihrige offen und ohne Hehl mit, Sie wissen wohl, daß ich mit mir reden lasse. Zunächst fragt es sich, ob der unbefangene Leser sofort deu durchaus freie» Standpunkt des Verfassers er¬ kennen, und keinerlei reaktionäre Tendenzen in dem Poem wittern wird. Wo man den dummen Streich eines Freiheitshelden rügt, glauben die Dummen nur gar zu leicht, ma» wolle der Freiheit selbst ans Zeug. . . . Wenn die ächte, wahre Freiheit nicht noch mehr kompromittirt werden soll, so muß mau diesem egoistischen Unwesen, diesem Schindlndertreiben mit der Freiheit venia vordo, ich kann mich aber bei Gott nicht anständiger ausdrücke») energisch entgegen¬ wirken, und dein hoffärtigen Troß zeigen, daß man, trotz ihres Absprechens, auch eine politische Gesinnung hat, wenn man sie auch nicht bei jedem Atem¬ holen im Maul führt." Der Gang der Ereignisse jedoch, das Ausbleiben der Hoffnungen, die man an Friedrich Wilhelms IV. Auftreten geknüpft hatte, führten anch Freiligrath immer weiter mich links, und wie er stets beim poetischen Schaffen nur den zwingenden Impulse» seines Innern folgte, drängte es auch ihn jetzt mit Macht, seine Stimme in dem Ehvrus der mit Deutschlands Gegenwart unzufriedenen Dichter gleichfalls zu erheben. Bereits im Sommer dieses Jahres beginnen diese politischen Expektorationen. Im August schreibt er an Schücking: „Ich bin seit vierzehn Tage» wieder einmal rechtschaffen schafferig (wie die Schwaben sage») »»d lasse el» Sonett »ach dem andern vom Stapel. Meist über Fragen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/655>, abgerufen am 17.06.2024.