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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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der Zeit, aber auch anderes ist nicht ausgeschlossen. Grundton - ein der Reaktiv"
wie dem Schwindel der Radikalen gleich entfernt stehender Liberalismus," Und
serner: "Glaube nicht, daß ich einer Mode zu Liebe, die schon wieder aus der
Mode ist, das Zeugs mache. Daran denk' ich nicht. Es kommt mir eben, und
ich kann es nicht abweisen." Im Anfang des nächsten Jahres steigert sich, mit
zunehmender Erbitterung, diese Produktivität zu fieberhafter Thätigkeit. Cha¬
rakteristisch sind die Worte an Schücking: "Ich bin jetzt ordentlich im Grimm:
ich sage: Assad! spucke in die Hände, und ein Gedicht ist fertig." An Geibel
schreibt er um die nämliche Zeit: "Wegen dreier Gedichte, die mir um Neujahr
der Kölner Zensor strich, hab' ich heute Bescheid vom Ober-Zensur-Gericht er¬
halten, leider zu ^ ungünstig lautend. Eine wahre Schmach! Mich wurmt
solches Zertreten des Gedankens mehr, als es dich zu wurmen scheint. Ich be
greife dein "Gern entsagt er jenen Liedern" ans Seite 49 der Zeitstimmen wahr
haftig nicht. Was mir ein Gott zu guter Stunde gegeben hat, was ans der"
Innersten meiner Überzeugung, aus den reinsten Tiefen meines Herzens hervor¬
gequollen ist, dem entsag' ich nicht, und sollt' ich's in Straßbnrg oder in der
Schweiz drücke" lassen."

So war Freiligrath jetzt entschlossen, alle äußere" Rücksichte" fahre" z"
lasse". Das Jahresgehalt von MO Thalern, das er seit 1842 von König
Friedrich Wilhelm IV. bezog, hatte er schon mit Beginn des Jahres 1844 nicht
mehr erhoben und stand nun im Begriff, "die reine, unzweideutige Stellung
einzunehmen, uach der seiue Ehrlichkeit lechzte," es möge daraus entstehen, was
da wolle. "Mein politisches Bändche" "Ein Glaubensbekenntnis - wird, so Gott
will, auch bis Ostern fertig. Es wird entscheidend für mein Leben sein. Ich
vertraue Ihnen -- natürlich ganz und durchaus unter "ins -- an, daß ich die
Pension jedenfalls kündige. Ich will frei und ungehemmt dastehe" -- die paar
hundert Thaler sind und bleiben doch ein Maulkorb. Ich kaun das nicht mehr
ertragen, vollends jetzt nicht, wo fast alles, was der König thut, einem die Brust
beklemmt. Gott wird weiter helfen! Ich weiß, was ich meinem treuen, guten
Weibe schuldig bin, und werde danach handeln. Im schlimmsten Falle bin ich
noch immer so viel vom Kaufmann, um einer Kvmmisstelle von 5--600 Thalern
sicher zu sein, die mich wenigstens augenblicklich vor pekuniären Derangement
schützt. Es wird eine harte Nuß sein, diese interimistische Rückkehr z" einer
verlassenen, meinem innersten Wesen fremden und uicht zusagenden Fahne -- ich
brauch' ihr ja aber nur einen Teil meiner Zeit, uicht mein Herz und mein
Denken zu widmen, und bin eben, trotz anderweitiger Gebundenheit, frei unter
ihr -- freier als jetzt, in dieser verfluchtesten aller Amphibienstelluugeu, in die
ein armer Teufel je hineinpatschen konnte. Es steht fest: ich schlag' den" Faß
den Boden ein!"

Im Sommer 1844, nach mancherlei Hindernissen, kam das "Glaubensbe¬
kenntnis" heraus und erregte ein ungeheures Aufsehen. Im Vorworte gab


der Zeit, aber auch anderes ist nicht ausgeschlossen. Grundton - ein der Reaktiv»
wie dem Schwindel der Radikalen gleich entfernt stehender Liberalismus," Und
serner: „Glaube nicht, daß ich einer Mode zu Liebe, die schon wieder aus der
Mode ist, das Zeugs mache. Daran denk' ich nicht. Es kommt mir eben, und
ich kann es nicht abweisen." Im Anfang des nächsten Jahres steigert sich, mit
zunehmender Erbitterung, diese Produktivität zu fieberhafter Thätigkeit. Cha¬
rakteristisch sind die Worte an Schücking: „Ich bin jetzt ordentlich im Grimm:
ich sage: Assad! spucke in die Hände, und ein Gedicht ist fertig." An Geibel
schreibt er um die nämliche Zeit: „Wegen dreier Gedichte, die mir um Neujahr
der Kölner Zensor strich, hab' ich heute Bescheid vom Ober-Zensur-Gericht er¬
halten, leider zu ^ ungünstig lautend. Eine wahre Schmach! Mich wurmt
solches Zertreten des Gedankens mehr, als es dich zu wurmen scheint. Ich be
greife dein »Gern entsagt er jenen Liedern» ans Seite 49 der Zeitstimmen wahr
haftig nicht. Was mir ein Gott zu guter Stunde gegeben hat, was ans der»
Innersten meiner Überzeugung, aus den reinsten Tiefen meines Herzens hervor¬
gequollen ist, dem entsag' ich nicht, und sollt' ich's in Straßbnrg oder in der
Schweiz drücke» lassen."

So war Freiligrath jetzt entschlossen, alle äußere» Rücksichte» fahre» z»
lasse». Das Jahresgehalt von MO Thalern, das er seit 1842 von König
Friedrich Wilhelm IV. bezog, hatte er schon mit Beginn des Jahres 1844 nicht
mehr erhoben und stand nun im Begriff, „die reine, unzweideutige Stellung
einzunehmen, uach der seiue Ehrlichkeit lechzte," es möge daraus entstehen, was
da wolle. „Mein politisches Bändche» »Ein Glaubensbekenntnis - wird, so Gott
will, auch bis Ostern fertig. Es wird entscheidend für mein Leben sein. Ich
vertraue Ihnen — natürlich ganz und durchaus unter »ins — an, daß ich die
Pension jedenfalls kündige. Ich will frei und ungehemmt dastehe» — die paar
hundert Thaler sind und bleiben doch ein Maulkorb. Ich kaun das nicht mehr
ertragen, vollends jetzt nicht, wo fast alles, was der König thut, einem die Brust
beklemmt. Gott wird weiter helfen! Ich weiß, was ich meinem treuen, guten
Weibe schuldig bin, und werde danach handeln. Im schlimmsten Falle bin ich
noch immer so viel vom Kaufmann, um einer Kvmmisstelle von 5—600 Thalern
sicher zu sein, die mich wenigstens augenblicklich vor pekuniären Derangement
schützt. Es wird eine harte Nuß sein, diese interimistische Rückkehr z» einer
verlassenen, meinem innersten Wesen fremden und uicht zusagenden Fahne — ich
brauch' ihr ja aber nur einen Teil meiner Zeit, uicht mein Herz und mein
Denken zu widmen, und bin eben, trotz anderweitiger Gebundenheit, frei unter
ihr — freier als jetzt, in dieser verfluchtesten aller Amphibienstelluugeu, in die
ein armer Teufel je hineinpatschen konnte. Es steht fest: ich schlag' den« Faß
den Boden ein!"

Im Sommer 1844, nach mancherlei Hindernissen, kam das „Glaubensbe¬
kenntnis" heraus und erregte ein ungeheures Aufsehen. Im Vorworte gab


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[0656] der Zeit, aber auch anderes ist nicht ausgeschlossen. Grundton - ein der Reaktiv» wie dem Schwindel der Radikalen gleich entfernt stehender Liberalismus," Und serner: „Glaube nicht, daß ich einer Mode zu Liebe, die schon wieder aus der Mode ist, das Zeugs mache. Daran denk' ich nicht. Es kommt mir eben, und ich kann es nicht abweisen." Im Anfang des nächsten Jahres steigert sich, mit zunehmender Erbitterung, diese Produktivität zu fieberhafter Thätigkeit. Cha¬ rakteristisch sind die Worte an Schücking: „Ich bin jetzt ordentlich im Grimm: ich sage: Assad! spucke in die Hände, und ein Gedicht ist fertig." An Geibel schreibt er um die nämliche Zeit: „Wegen dreier Gedichte, die mir um Neujahr der Kölner Zensor strich, hab' ich heute Bescheid vom Ober-Zensur-Gericht er¬ halten, leider zu ^ ungünstig lautend. Eine wahre Schmach! Mich wurmt solches Zertreten des Gedankens mehr, als es dich zu wurmen scheint. Ich be greife dein »Gern entsagt er jenen Liedern» ans Seite 49 der Zeitstimmen wahr haftig nicht. Was mir ein Gott zu guter Stunde gegeben hat, was ans der» Innersten meiner Überzeugung, aus den reinsten Tiefen meines Herzens hervor¬ gequollen ist, dem entsag' ich nicht, und sollt' ich's in Straßbnrg oder in der Schweiz drücke» lassen." So war Freiligrath jetzt entschlossen, alle äußere» Rücksichte» fahre» z» lasse». Das Jahresgehalt von MO Thalern, das er seit 1842 von König Friedrich Wilhelm IV. bezog, hatte er schon mit Beginn des Jahres 1844 nicht mehr erhoben und stand nun im Begriff, „die reine, unzweideutige Stellung einzunehmen, uach der seiue Ehrlichkeit lechzte," es möge daraus entstehen, was da wolle. „Mein politisches Bändche» »Ein Glaubensbekenntnis - wird, so Gott will, auch bis Ostern fertig. Es wird entscheidend für mein Leben sein. Ich vertraue Ihnen — natürlich ganz und durchaus unter »ins — an, daß ich die Pension jedenfalls kündige. Ich will frei und ungehemmt dastehe» — die paar hundert Thaler sind und bleiben doch ein Maulkorb. Ich kaun das nicht mehr ertragen, vollends jetzt nicht, wo fast alles, was der König thut, einem die Brust beklemmt. Gott wird weiter helfen! Ich weiß, was ich meinem treuen, guten Weibe schuldig bin, und werde danach handeln. Im schlimmsten Falle bin ich noch immer so viel vom Kaufmann, um einer Kvmmisstelle von 5—600 Thalern sicher zu sein, die mich wenigstens augenblicklich vor pekuniären Derangement schützt. Es wird eine harte Nuß sein, diese interimistische Rückkehr z» einer verlassenen, meinem innersten Wesen fremden und uicht zusagenden Fahne — ich brauch' ihr ja aber nur einen Teil meiner Zeit, uicht mein Herz und mein Denken zu widmen, und bin eben, trotz anderweitiger Gebundenheit, frei unter ihr — freier als jetzt, in dieser verfluchtesten aller Amphibienstelluugeu, in die ein armer Teufel je hineinpatschen konnte. Es steht fest: ich schlag' den« Faß den Boden ein!" Im Sommer 1844, nach mancherlei Hindernissen, kam das „Glaubensbe¬ kenntnis" heraus und erregte ein ungeheures Aufsehen. Im Vorworte gab

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/656>, abgerufen am 17.06.2024.