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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Freiligrath in seinen Briefe".

scheuer Jungen, daher die Produktion ans Not, daher die Masse van Schund,
der, wenn er auch bald vergessen wird, doch ephemer den Markt überschwemmt,
selbst gegen besseres mißtrauisch macht und den Geschmack der Menge vollends
ruinirt. Ich wünsche von Herzen, daß mein Beispiel nicht ohne Wirkung sein
möge. Wenn ich, der ich doch etwas bin und vor mich gebracht habe, einen
solchen Schritt thue, so müßte doch, mein' ich, mich der Dünkel manches Zaun¬
königs in sich schlagen, Louis Blaue, in seinem Büchlein von der Organisation
der Arbeit, hat vollkommen Recht: der wohlhabende Autor widme sich nur dem
Kultus des Gedankens -- er kann es! Der arme aber schaffe sich sein täglich
Brot dnrch irgend ein unbescholten praktisch Gewerbe, und überlasse sich nur
in seinen Weihestunden dem Höheren, zu dein er eigentlich berufen ist." Wir
knüpfen hieran gleich noch die folgende", ebenfalls ein aktuelles Interesse in
Anspruch nehmenden Worte Freiligraths: "Schriftstellcrversaminlnngcn, gleich¬
viel zu Stuttgart oder zu Weimar, thun's uicht. Mögen sie sich zusammenthun
zum Trinken und zum Toastireu, das geht schon an, aber weiter bringen sie
es auch nicht! Überhaupt: der Genius ist immer einsam gewesen! Einsam
schafft er und bringt das Geschlecht durch einen Gedankenblitz weiter, als Mil¬
lionen räsonnirender, brüderlich miteinander tafelnder Hohlköpfe."

So ging der Dichter im Sommer 1846 nach London, um in eine Comptoir¬
stelle einzutreten. Aber schon das Jahr 1848 brachte ihn wieder zurück. Als
der Sturm der vou ihm mit Jubel und neuen Gedichten begrüßten Februar¬
revolution auch über Deutschland hinwehte, litt es ihn nicht länger fern von
den Ereignissen. In Düsseldorf, wo er zunächst seinen Aufenthalt nahm, trat
er dem Volksklub bei, aber da ihm die Gabe der Beredsamkeit fehlte, so wirkte
er durch Gedichte, die er als Flugblätter zu taufenden ausstreute, darunter das
großartige "Die Toten an die Lebenden," wegen dessen er im August in
Untersuchungshaft genommen wurde. Der Ausgang dieses Prozesses ist charak¬
teristisch für die damaligen Zustände. Es konnte gar nicht zweifelhaft sein, daß
in dem Gedichte der Umsturz der bestehenden Staatsgewalt angepriesen wurde;
trotzdem sprachen am 6. Oktober die Geschworenen nach kurzer Beratung ein¬
stimmig ihr Nichtschuldig aus, und von der Bürgerwehr und einer zahlreichen
Volksmenge ward der populäre Dichter mit Musik und unter Blumenregeu uach
Hause geleitet und abends ihm ein Fackelzug gebracht. Kurze Zeit darauf trat
Freiligrath mit in die Redaktion der in Köln neubegrüudeteu Neuen Rheinischen
Zeitung ein. Als aber diese im Jahre 1849 einging, zog er sich, von dem
Gange der Dinge sehr unbefriedigt, immer mehr von der Teilnahme an den
öffentlichen Angelegenheiten zurück, und im Begriffe, das zweite Heft seiner
"Neuern Politischen und Sozialen Gedichte" ausfliegen zu lassen, ging er im
Mai 1851 aufs neue in die Verbannung nach England; noch rechtzeitig genug,
denn nicht lange darnach folgten ihm zwei Steckbriefe, der eine aus Düsseldorf
wegen des eben genannten Heftchens, der andre aus Köln wegen angeblicher


Freiligrath in seinen Briefe».

scheuer Jungen, daher die Produktion ans Not, daher die Masse van Schund,
der, wenn er auch bald vergessen wird, doch ephemer den Markt überschwemmt,
selbst gegen besseres mißtrauisch macht und den Geschmack der Menge vollends
ruinirt. Ich wünsche von Herzen, daß mein Beispiel nicht ohne Wirkung sein
möge. Wenn ich, der ich doch etwas bin und vor mich gebracht habe, einen
solchen Schritt thue, so müßte doch, mein' ich, mich der Dünkel manches Zaun¬
königs in sich schlagen, Louis Blaue, in seinem Büchlein von der Organisation
der Arbeit, hat vollkommen Recht: der wohlhabende Autor widme sich nur dem
Kultus des Gedankens — er kann es! Der arme aber schaffe sich sein täglich
Brot dnrch irgend ein unbescholten praktisch Gewerbe, und überlasse sich nur
in seinen Weihestunden dem Höheren, zu dein er eigentlich berufen ist." Wir
knüpfen hieran gleich noch die folgende», ebenfalls ein aktuelles Interesse in
Anspruch nehmenden Worte Freiligraths: „Schriftstellcrversaminlnngcn, gleich¬
viel zu Stuttgart oder zu Weimar, thun's uicht. Mögen sie sich zusammenthun
zum Trinken und zum Toastireu, das geht schon an, aber weiter bringen sie
es auch nicht! Überhaupt: der Genius ist immer einsam gewesen! Einsam
schafft er und bringt das Geschlecht durch einen Gedankenblitz weiter, als Mil¬
lionen räsonnirender, brüderlich miteinander tafelnder Hohlköpfe."

So ging der Dichter im Sommer 1846 nach London, um in eine Comptoir¬
stelle einzutreten. Aber schon das Jahr 1848 brachte ihn wieder zurück. Als
der Sturm der vou ihm mit Jubel und neuen Gedichten begrüßten Februar¬
revolution auch über Deutschland hinwehte, litt es ihn nicht länger fern von
den Ereignissen. In Düsseldorf, wo er zunächst seinen Aufenthalt nahm, trat
er dem Volksklub bei, aber da ihm die Gabe der Beredsamkeit fehlte, so wirkte
er durch Gedichte, die er als Flugblätter zu taufenden ausstreute, darunter das
großartige „Die Toten an die Lebenden," wegen dessen er im August in
Untersuchungshaft genommen wurde. Der Ausgang dieses Prozesses ist charak¬
teristisch für die damaligen Zustände. Es konnte gar nicht zweifelhaft sein, daß
in dem Gedichte der Umsturz der bestehenden Staatsgewalt angepriesen wurde;
trotzdem sprachen am 6. Oktober die Geschworenen nach kurzer Beratung ein¬
stimmig ihr Nichtschuldig aus, und von der Bürgerwehr und einer zahlreichen
Volksmenge ward der populäre Dichter mit Musik und unter Blumenregeu uach
Hause geleitet und abends ihm ein Fackelzug gebracht. Kurze Zeit darauf trat
Freiligrath mit in die Redaktion der in Köln neubegrüudeteu Neuen Rheinischen
Zeitung ein. Als aber diese im Jahre 1849 einging, zog er sich, von dem
Gange der Dinge sehr unbefriedigt, immer mehr von der Teilnahme an den
öffentlichen Angelegenheiten zurück, und im Begriffe, das zweite Heft seiner
„Neuern Politischen und Sozialen Gedichte" ausfliegen zu lassen, ging er im
Mai 1851 aufs neue in die Verbannung nach England; noch rechtzeitig genug,
denn nicht lange darnach folgten ihm zwei Steckbriefe, der eine aus Düsseldorf
wegen des eben genannten Heftchens, der andre aus Köln wegen angeblicher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/659>, abgerufen am 17.06.2024.