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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Freiligrath in seinen Briefen.

"Dichter der Revolution" ward Freiligrath erst in der Verbannung, in
die er sich, noch ehe sein Glaubensbekenntnis erschien, Weiterungen voraus¬
sehend, freiwillig begab, zunächst nach Belgien, dann in die Schweiz. Namentlich
der Aufenthalt in oder bei Zürich, wo sich damals die deutschen Flüchtlinge
zusammenfanden, wirkte ungünstig auf ihn ein und drängte ihn immer weiter
nach links. In dem Heftchen Gedichte <,'i>. ir", das er 184K veröffentlichte,
trat er vollständig als Bannerträger der Revolution ans, mit solcher Heftigkeit,
daß bisweilen die Muße ganz verstummt nnter dem heisern Geschrei des er¬
regten Parteimanues. Auch den sozialistischen Schwärmereien, die damals viel¬
fach mit den radikale" Bestrebungen Hand in Hand gingen, vermochte er sich
nicht ganz zu entziehen. Er schreibt in dieser Hinficht: "Ich bin nicht Kom¬
munist, wenigstens nicht Kommunist von der enragirten Sorte, aber ich bin der
Meinung, das; die neue Lehre, wenn sie anch mir einen Übergang vermitteln
sollte, ein wesentlicher Fortschritt ist, und daß sie, in der Humanität wurzelnd,
mehr anregen, fördern und zuletzt zur Entscheidung bringen wird, als eine ein¬
seitig politische Anschauung. Über die Illusionen deutscher Konstitutionen und
Kvustitutiöucheu sollten wir doch Hinalls sein! Der Kommunismus wird eine
Zukunft haben! Alle seine Träume werden uicht verwirklicht werden, aber wenn
er auch, gleich dem Kolumbus, uicht in. Indien landet, so wird er doch ein
Amerika entdecken."

Vorläufig mußte freilich der einzelne noch für sich selbst sorge", "ut anch
an Freiligrath, der im Jahre 1841 geheiratet hatte, trat mit wachsender Familie
jetzt die Sorge für die Zukunft dringender heran. So wandte er sich den" mit
derselben Entschlossenheit, mit welcher er, ohne Rücksicht auf die Folge", für
seine politische Überzeugung in die Schranken getreten war, den? kanfmämnschen
Erwerbe, der ihm el"e gesichertere materielle Basis gewährte, wieder z". Mit
Ruhe schreibt er darüber a" seine" Fremid Buchner: "Wer bürgt mir für die
dauernde Gunst des Publikums, wer für fernere, regelmäßig alle Jahr wieder
lehrende "cuc Auflagen, wer (bei den täglich zunehmenden Verfolgungen frei¬
sinniger Schriften) für die Möglichkeit, poetisch-politische Sachen auch in Zu¬
kunft verwerten zu können? Also entschloß ich mich kurz, schrieb vor drei
Monate" "ach Lo"do", und werde jetzt in wenigen Wochen eine Existenzbasis
nnter den Füßen haben, ans der mir die wechselnde Gunst des Pnblikunis so¬
wohl, wie die Donnerkeile der Gewalthaber gleichgiltig sein könne". N"d welch
Gefühl dabei: nicht mehr vo" der Poesie lebe" zu müssen! Wie oft hat es
mich schmerzlich gedrückt, wen" ich daran dachte! Kein schlimmer Joch für den
Pegasus, als dieses! Jedes andre ist golden dagegen!" Von einem allge^
meinere" und heute mehr den" je beherzigenswerte" Gesichtspnickte ans be¬
trachtet er seinen Fall in einem Briefe an Schücking: "Meines Erachtens rührt
ein großer, wo nicht der größte Teil der gegenwärtigen Misöre davon her, daß
das Tchriftstellertttm einen besondern Stand bildet. Daher der Z"den"g arbeite


Freiligrath in seinen Briefen.

„Dichter der Revolution" ward Freiligrath erst in der Verbannung, in
die er sich, noch ehe sein Glaubensbekenntnis erschien, Weiterungen voraus¬
sehend, freiwillig begab, zunächst nach Belgien, dann in die Schweiz. Namentlich
der Aufenthalt in oder bei Zürich, wo sich damals die deutschen Flüchtlinge
zusammenfanden, wirkte ungünstig auf ihn ein und drängte ihn immer weiter
nach links. In dem Heftchen Gedichte <,'i>. ir», das er 184K veröffentlichte,
trat er vollständig als Bannerträger der Revolution ans, mit solcher Heftigkeit,
daß bisweilen die Muße ganz verstummt nnter dem heisern Geschrei des er¬
regten Parteimanues. Auch den sozialistischen Schwärmereien, die damals viel¬
fach mit den radikale» Bestrebungen Hand in Hand gingen, vermochte er sich
nicht ganz zu entziehen. Er schreibt in dieser Hinficht: „Ich bin nicht Kom¬
munist, wenigstens nicht Kommunist von der enragirten Sorte, aber ich bin der
Meinung, das; die neue Lehre, wenn sie anch mir einen Übergang vermitteln
sollte, ein wesentlicher Fortschritt ist, und daß sie, in der Humanität wurzelnd,
mehr anregen, fördern und zuletzt zur Entscheidung bringen wird, als eine ein¬
seitig politische Anschauung. Über die Illusionen deutscher Konstitutionen und
Kvustitutiöucheu sollten wir doch Hinalls sein! Der Kommunismus wird eine
Zukunft haben! Alle seine Träume werden uicht verwirklicht werden, aber wenn
er auch, gleich dem Kolumbus, uicht in. Indien landet, so wird er doch ein
Amerika entdecken."

Vorläufig mußte freilich der einzelne noch für sich selbst sorge», »ut anch
an Freiligrath, der im Jahre 1841 geheiratet hatte, trat mit wachsender Familie
jetzt die Sorge für die Zukunft dringender heran. So wandte er sich den» mit
derselben Entschlossenheit, mit welcher er, ohne Rücksicht auf die Folge», für
seine politische Überzeugung in die Schranken getreten war, den? kanfmämnschen
Erwerbe, der ihm el»e gesichertere materielle Basis gewährte, wieder z». Mit
Ruhe schreibt er darüber a» seine» Fremid Buchner: „Wer bürgt mir für die
dauernde Gunst des Publikums, wer für fernere, regelmäßig alle Jahr wieder
lehrende »cuc Auflagen, wer (bei den täglich zunehmenden Verfolgungen frei¬
sinniger Schriften) für die Möglichkeit, poetisch-politische Sachen auch in Zu¬
kunft verwerten zu können? Also entschloß ich mich kurz, schrieb vor drei
Monate» »ach Lo»do», und werde jetzt in wenigen Wochen eine Existenzbasis
nnter den Füßen haben, ans der mir die wechselnde Gunst des Pnblikunis so¬
wohl, wie die Donnerkeile der Gewalthaber gleichgiltig sein könne». N»d welch
Gefühl dabei: nicht mehr vo» der Poesie lebe» zu müssen! Wie oft hat es
mich schmerzlich gedrückt, wen» ich daran dachte! Kein schlimmer Joch für den
Pegasus, als dieses! Jedes andre ist golden dagegen!" Von einem allge^
meinere» und heute mehr den» je beherzigenswerte» Gesichtspnickte ans be¬
trachtet er seinen Fall in einem Briefe an Schücking: „Meines Erachtens rührt
ein großer, wo nicht der größte Teil der gegenwärtigen Misöre davon her, daß
das Tchriftstellertttm einen besondern Stand bildet. Daher der Z»den»g arbeite


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[0658] Freiligrath in seinen Briefen. „Dichter der Revolution" ward Freiligrath erst in der Verbannung, in die er sich, noch ehe sein Glaubensbekenntnis erschien, Weiterungen voraus¬ sehend, freiwillig begab, zunächst nach Belgien, dann in die Schweiz. Namentlich der Aufenthalt in oder bei Zürich, wo sich damals die deutschen Flüchtlinge zusammenfanden, wirkte ungünstig auf ihn ein und drängte ihn immer weiter nach links. In dem Heftchen Gedichte <,'i>. ir», das er 184K veröffentlichte, trat er vollständig als Bannerträger der Revolution ans, mit solcher Heftigkeit, daß bisweilen die Muße ganz verstummt nnter dem heisern Geschrei des er¬ regten Parteimanues. Auch den sozialistischen Schwärmereien, die damals viel¬ fach mit den radikale» Bestrebungen Hand in Hand gingen, vermochte er sich nicht ganz zu entziehen. Er schreibt in dieser Hinficht: „Ich bin nicht Kom¬ munist, wenigstens nicht Kommunist von der enragirten Sorte, aber ich bin der Meinung, das; die neue Lehre, wenn sie anch mir einen Übergang vermitteln sollte, ein wesentlicher Fortschritt ist, und daß sie, in der Humanität wurzelnd, mehr anregen, fördern und zuletzt zur Entscheidung bringen wird, als eine ein¬ seitig politische Anschauung. Über die Illusionen deutscher Konstitutionen und Kvustitutiöucheu sollten wir doch Hinalls sein! Der Kommunismus wird eine Zukunft haben! Alle seine Träume werden uicht verwirklicht werden, aber wenn er auch, gleich dem Kolumbus, uicht in. Indien landet, so wird er doch ein Amerika entdecken." Vorläufig mußte freilich der einzelne noch für sich selbst sorge», »ut anch an Freiligrath, der im Jahre 1841 geheiratet hatte, trat mit wachsender Familie jetzt die Sorge für die Zukunft dringender heran. So wandte er sich den» mit derselben Entschlossenheit, mit welcher er, ohne Rücksicht auf die Folge», für seine politische Überzeugung in die Schranken getreten war, den? kanfmämnschen Erwerbe, der ihm el»e gesichertere materielle Basis gewährte, wieder z». Mit Ruhe schreibt er darüber a» seine» Fremid Buchner: „Wer bürgt mir für die dauernde Gunst des Publikums, wer für fernere, regelmäßig alle Jahr wieder lehrende »cuc Auflagen, wer (bei den täglich zunehmenden Verfolgungen frei¬ sinniger Schriften) für die Möglichkeit, poetisch-politische Sachen auch in Zu¬ kunft verwerten zu können? Also entschloß ich mich kurz, schrieb vor drei Monate» »ach Lo»do», und werde jetzt in wenigen Wochen eine Existenzbasis nnter den Füßen haben, ans der mir die wechselnde Gunst des Pnblikunis so¬ wohl, wie die Donnerkeile der Gewalthaber gleichgiltig sein könne». N»d welch Gefühl dabei: nicht mehr vo» der Poesie lebe» zu müssen! Wie oft hat es mich schmerzlich gedrückt, wen» ich daran dachte! Kein schlimmer Joch für den Pegasus, als dieses! Jedes andre ist golden dagegen!" Von einem allge^ meinere» und heute mehr den» je beherzigenswerte» Gesichtspnickte ans be¬ trachtet er seinen Fall in einem Briefe an Schücking: „Meines Erachtens rührt ein großer, wo nicht der größte Teil der gegenwärtigen Misöre davon her, daß das Tchriftstellertttm einen besondern Stand bildet. Daher der Z»den»g arbeite

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/658>, abgerufen am 17.06.2024.