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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Frankreich nach Gambettas Tode.

trole würde sich in einer doppelköpfigen Besetzung mit Truppen verkörpern.
Wir könnten nicht abziehen, solange die Franzosen am Nil oder Kanal blieben,
und wir würden dazu geholfen haben, daß dort die Schildwachen eines Neben¬
buhlers aufgestellt wären, und daß eines Tages vielleicht eine feindliche Macht
auf unsrer Hauptstraße nach Indien stünde. Die Bioral hiervon ist mit Händen
zu greifen, und sie lautet: während es für uns die beste Politik ist, rin einem
friedlichen, parlamentarisch regierten und fortschreitenden Frankreich gut Freund
zu bleiben, wird Frankreich seinerseits, von einem ungewöhnlich fähigen und ehr¬
geizigen Manne geführt, heiße er nun Napoleon, Thiers oder Gambetta, ein
unruhiger Nachbar werden und als Bundesgenosse unausbleiblich unbequem sein.
Es ist ein Glück, daß wir dieser Gefahr entgangen sind."

Die Engländer mußten erkennen, daß der Grundton der Freundschaft Gam¬
bettas zwar ganz herzlich und artig klang, aber doch eigentlich nur auf dessen
Ansicht beruhte, daß England sich für Frankreich benutzen lassen werde. Wir
brauchen zum Beweise dessen nur daran zu erinnern, daß sein Blatt, die
Mbliquö ?i-W?Al86, nach dem Siege Englands die ungeheuerliche Behauptung
aufzustellen die Stirn hatte, daß Frankreich, obwohl es sich an der Expedition
gegen Arabi nicht beteiligt, die Früchte des Sieges mit ernten müsse, und daß
England bei Tel El Kebir eine Schlacht für die doppelte Kontrole geschlagen
und gewonnen habe -- eine Dummdreistigkeit, die nur der gleichkommt, mit
welcher seinerzeit behauptet wurde, die Preußen hätten Düppel stürmen müssen,
um dem Augustenburger Rechte zum Siege zu verhelfen. Ja, Gambetta ge¬
langte später zu bittern Empfindungen über die Londoner Politik, als er heraus¬
fand, daß England sich nicht herbeiließ, seinem Frankreich Ruhm, Einfluß und
materiellen Gewinn abzugeben. Der oben zitirte englische Politiker bemerkt dazu
sehr richtig: "Dieses Gefühl war natürlich, aber es sollte unsern Staatsmännern
zur Warnung dienen, sich nicht auf auswärtige Parteipolitiker zu verlassen.
Unsre Freundschaft sollte sich auf ganz Frankreich erstrecken und vorzüglich auf
das Frankreich, welches Abenteuer verabscheut und uns nicht in Allianzen zu
verwickeln strebt, die zu gemeinschaftlicher Kriegführung hintreiben."

Zum Schluß noch einige Bemerkungen über das, was den Franzosen nach
Gambettas Verschwinden von der Bildfläche in innern Angelegenheiten nach
ihrer Natur und Denkart am dienlichsten sein würde. Sie vermögen sich auf
Politischen Gebiete mehr für Menschen als für Einrichtungen zu interessiren.
Sie lieben es, einer glänzenden Persönlichkeit zu huldigen, welche ihre Geschichte
und ihre Wünsche und Hoffnungen verkörpert. Das heißt, sie sind, näher be¬
sehen, eigentlich ein monarchisch gesinntes Volk, und die keltischen Stämme eignen
sich überhaupt nicht für das republikanische Regierungssystem. Die Demokratie
ist der personifizirte politische Neid, sie will keine Größen an der Spitze des
Gemeinwesens haben, sie will von Mittelmäßigkeiten regiert werden, die einander
möglichst gleich sind und mich die große Masse nicht bedeutend überragen. Ihr


Grottzbotw I. 188". 28
Frankreich nach Gambettas Tode.

trole würde sich in einer doppelköpfigen Besetzung mit Truppen verkörpern.
Wir könnten nicht abziehen, solange die Franzosen am Nil oder Kanal blieben,
und wir würden dazu geholfen haben, daß dort die Schildwachen eines Neben¬
buhlers aufgestellt wären, und daß eines Tages vielleicht eine feindliche Macht
auf unsrer Hauptstraße nach Indien stünde. Die Bioral hiervon ist mit Händen
zu greifen, und sie lautet: während es für uns die beste Politik ist, rin einem
friedlichen, parlamentarisch regierten und fortschreitenden Frankreich gut Freund
zu bleiben, wird Frankreich seinerseits, von einem ungewöhnlich fähigen und ehr¬
geizigen Manne geführt, heiße er nun Napoleon, Thiers oder Gambetta, ein
unruhiger Nachbar werden und als Bundesgenosse unausbleiblich unbequem sein.
Es ist ein Glück, daß wir dieser Gefahr entgangen sind."

Die Engländer mußten erkennen, daß der Grundton der Freundschaft Gam¬
bettas zwar ganz herzlich und artig klang, aber doch eigentlich nur auf dessen
Ansicht beruhte, daß England sich für Frankreich benutzen lassen werde. Wir
brauchen zum Beweise dessen nur daran zu erinnern, daß sein Blatt, die
Mbliquö ?i-W?Al86, nach dem Siege Englands die ungeheuerliche Behauptung
aufzustellen die Stirn hatte, daß Frankreich, obwohl es sich an der Expedition
gegen Arabi nicht beteiligt, die Früchte des Sieges mit ernten müsse, und daß
England bei Tel El Kebir eine Schlacht für die doppelte Kontrole geschlagen
und gewonnen habe — eine Dummdreistigkeit, die nur der gleichkommt, mit
welcher seinerzeit behauptet wurde, die Preußen hätten Düppel stürmen müssen,
um dem Augustenburger Rechte zum Siege zu verhelfen. Ja, Gambetta ge¬
langte später zu bittern Empfindungen über die Londoner Politik, als er heraus¬
fand, daß England sich nicht herbeiließ, seinem Frankreich Ruhm, Einfluß und
materiellen Gewinn abzugeben. Der oben zitirte englische Politiker bemerkt dazu
sehr richtig: „Dieses Gefühl war natürlich, aber es sollte unsern Staatsmännern
zur Warnung dienen, sich nicht auf auswärtige Parteipolitiker zu verlassen.
Unsre Freundschaft sollte sich auf ganz Frankreich erstrecken und vorzüglich auf
das Frankreich, welches Abenteuer verabscheut und uns nicht in Allianzen zu
verwickeln strebt, die zu gemeinschaftlicher Kriegführung hintreiben."

Zum Schluß noch einige Bemerkungen über das, was den Franzosen nach
Gambettas Verschwinden von der Bildfläche in innern Angelegenheiten nach
ihrer Natur und Denkart am dienlichsten sein würde. Sie vermögen sich auf
Politischen Gebiete mehr für Menschen als für Einrichtungen zu interessiren.
Sie lieben es, einer glänzenden Persönlichkeit zu huldigen, welche ihre Geschichte
und ihre Wünsche und Hoffnungen verkörpert. Das heißt, sie sind, näher be¬
sehen, eigentlich ein monarchisch gesinntes Volk, und die keltischen Stämme eignen
sich überhaupt nicht für das republikanische Regierungssystem. Die Demokratie
ist der personifizirte politische Neid, sie will keine Größen an der Spitze des
Gemeinwesens haben, sie will von Mittelmäßigkeiten regiert werden, die einander
möglichst gleich sind und mich die große Masse nicht bedeutend überragen. Ihr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/185>, abgerufen am 09.06.2024.