Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der zweite Pariser Krach.

Epoche, wo der Finanzschwindel die Eisenbahnen zum Hilfsmittel der Aus¬
beutung zu machen begann, äußert sich eine im Jahre 1844 über Rothschild
erschienene Broschüre von A, Weil: "Diese Erfindung der Dampfkraft droht
Europa wieder in den Individualismus zurückzuwerfen und den Staat in lauter
isolirte Gesellschaften aufzulösen," Und heute nach vierzig Jahren müssen wir
sagen, daß wir sehr weit vorgeschritten sind in dieser Gefahr. Zwar regt man
sich ihr gegenüber hie und da, aber doch nur hie und da, in den meisten
Staaten gewahren wir nichts, ihrem Fortgang vorzubauen. Und selbst an
manchen Punkten, wo einiges zur Eindämmung geschah, hat man sich auf
Kommando der Finanzhcrrschcift entschließen müssen, die errichteten Dämme
wieder einzureißeu, nicht selten ist auch der Notstand soweit vorgeschritten,
daß mau sich seiner garnicht mehr erwehren kann. Vergeblich hat insbesondre
in Frankreich schon 1842 Lamartine den Kammern die Folgen der Leichtfertig¬
keit, mit welcher man den Gesellschaften, mit andern Worten Herrn von Roth¬
schild, die Eisenbahnen überließ, eindringlich vor Augen geführt.

In Österreich war die erste durch Rothschild erbaute Eisenbahn die Kaiscr-
Ferdimnds-Nordbahn, die man fast als eines seiner Privatbesitztttmer bezeichne!,
könnte. Dieselbe ist für ihn wesentlich ein Geschenk des Staates, mit dessen
Gelde sie zum erheblichsten Teil erbaut ist. Man wirft dem Herrn von Roth¬
schild mit Recht vor, daß er, nachdem er im Jahre 1836 die Konzession zu
dieser Bahn erhalten, nichts eiligeres zu thun hatte, als die Aktien derselben
zu einer unerhörten Agiotage zu benutzen und sich weniger um den Bau der
Bahn als um den Verkauf der Aktien zu bekümmern. Das Agio derselben wurde
sofort auf 15 Prozent getrieben. Aber mit dem Bau ging es sehr langsam; er
kam sogar in Gefahr, ganz liegen zu bleiben, und im Jahre 1841 mußte, um
dies zu verhüten, die Regierung einspringen, zuerst mit einem Bauvorschuß von
5 Millionen Gulden und dann durch Übernahme des ganzen Baues. "Nur
billig" gingen jetzt die Aktien selbstverständlich in die Tresors des Herrn von
Rothschild; er konnte sie um die Hälfte des Preises kaufen, zu dem er sie ver¬
kauft hatte.*)



*) Dieser Vorgang gehört zu den interessantesten Beiträgen zur Geschichte der pseudo-
ökonomischcn Doktrin von der "Selbsthilfe," die ja in diesen Tagen wieder im deutschen
Reichstage gespukt hat. Herr Schulze-Delitzsch richtete sich zu unserm Erstaunen, da wir
ihn längst für vollkommen tot gehalten, aus seinem wirtschaftlichen Sarge, genannt "Kredit¬
genossenschaft," auf und polterte gegen das Einschreiten des Staates. Mit wahrem Galgen¬
humor that er dies, um die "Kreditgenossenschaften" nicht ihres "erziehlichen Charakters"
berauben zu lassen I Die "erziehlichen" Ergebnisse dieser "Kreditgenossenschaften" sind ja in
der That wunderbar. Spitzbuben in allen Ecken. Was aber das Einschreiten des Staats
betrifft, so fcheint Rothschild, abweichend von Herrn Schulze-Delitzsch, wie man an dem
obigen Beispiel sieht und wie man noch an manchem andern zeigen könnte, demselben keines¬
wegs abhold zu sein; von der "Selbsthilfe" will er offenbar nichts wissen.
Der zweite Pariser Krach.

Epoche, wo der Finanzschwindel die Eisenbahnen zum Hilfsmittel der Aus¬
beutung zu machen begann, äußert sich eine im Jahre 1844 über Rothschild
erschienene Broschüre von A, Weil: „Diese Erfindung der Dampfkraft droht
Europa wieder in den Individualismus zurückzuwerfen und den Staat in lauter
isolirte Gesellschaften aufzulösen," Und heute nach vierzig Jahren müssen wir
sagen, daß wir sehr weit vorgeschritten sind in dieser Gefahr. Zwar regt man
sich ihr gegenüber hie und da, aber doch nur hie und da, in den meisten
Staaten gewahren wir nichts, ihrem Fortgang vorzubauen. Und selbst an
manchen Punkten, wo einiges zur Eindämmung geschah, hat man sich auf
Kommando der Finanzhcrrschcift entschließen müssen, die errichteten Dämme
wieder einzureißeu, nicht selten ist auch der Notstand soweit vorgeschritten,
daß mau sich seiner garnicht mehr erwehren kann. Vergeblich hat insbesondre
in Frankreich schon 1842 Lamartine den Kammern die Folgen der Leichtfertig¬
keit, mit welcher man den Gesellschaften, mit andern Worten Herrn von Roth¬
schild, die Eisenbahnen überließ, eindringlich vor Augen geführt.

In Österreich war die erste durch Rothschild erbaute Eisenbahn die Kaiscr-
Ferdimnds-Nordbahn, die man fast als eines seiner Privatbesitztttmer bezeichne!,
könnte. Dieselbe ist für ihn wesentlich ein Geschenk des Staates, mit dessen
Gelde sie zum erheblichsten Teil erbaut ist. Man wirft dem Herrn von Roth¬
schild mit Recht vor, daß er, nachdem er im Jahre 1836 die Konzession zu
dieser Bahn erhalten, nichts eiligeres zu thun hatte, als die Aktien derselben
zu einer unerhörten Agiotage zu benutzen und sich weniger um den Bau der
Bahn als um den Verkauf der Aktien zu bekümmern. Das Agio derselben wurde
sofort auf 15 Prozent getrieben. Aber mit dem Bau ging es sehr langsam; er
kam sogar in Gefahr, ganz liegen zu bleiben, und im Jahre 1841 mußte, um
dies zu verhüten, die Regierung einspringen, zuerst mit einem Bauvorschuß von
5 Millionen Gulden und dann durch Übernahme des ganzen Baues. „Nur
billig" gingen jetzt die Aktien selbstverständlich in die Tresors des Herrn von
Rothschild; er konnte sie um die Hälfte des Preises kaufen, zu dem er sie ver¬
kauft hatte.*)



*) Dieser Vorgang gehört zu den interessantesten Beiträgen zur Geschichte der pseudo-
ökonomischcn Doktrin von der „Selbsthilfe," die ja in diesen Tagen wieder im deutschen
Reichstage gespukt hat. Herr Schulze-Delitzsch richtete sich zu unserm Erstaunen, da wir
ihn längst für vollkommen tot gehalten, aus seinem wirtschaftlichen Sarge, genannt „Kredit¬
genossenschaft," auf und polterte gegen das Einschreiten des Staates. Mit wahrem Galgen¬
humor that er dies, um die „Kreditgenossenschaften" nicht ihres „erziehlichen Charakters"
berauben zu lassen I Die „erziehlichen" Ergebnisse dieser „Kreditgenossenschaften" sind ja in
der That wunderbar. Spitzbuben in allen Ecken. Was aber das Einschreiten des Staats
betrifft, so fcheint Rothschild, abweichend von Herrn Schulze-Delitzsch, wie man an dem
obigen Beispiel sieht und wie man noch an manchem andern zeigen könnte, demselben keines¬
wegs abhold zu sein; von der „Selbsthilfe" will er offenbar nichts wissen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151706"/>
          <fw type="header" place="top"> Der zweite Pariser Krach.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_647" prev="#ID_646"> Epoche, wo der Finanzschwindel die Eisenbahnen zum Hilfsmittel der Aus¬<lb/>
beutung zu machen begann, äußert sich eine im Jahre 1844 über Rothschild<lb/>
erschienene Broschüre von A, Weil: &#x201E;Diese Erfindung der Dampfkraft droht<lb/>
Europa wieder in den Individualismus zurückzuwerfen und den Staat in lauter<lb/>
isolirte Gesellschaften aufzulösen," Und heute nach vierzig Jahren müssen wir<lb/>
sagen, daß wir sehr weit vorgeschritten sind in dieser Gefahr. Zwar regt man<lb/>
sich ihr gegenüber hie und da, aber doch nur hie und da, in den meisten<lb/>
Staaten gewahren wir nichts, ihrem Fortgang vorzubauen. Und selbst an<lb/>
manchen Punkten, wo einiges zur Eindämmung geschah, hat man sich auf<lb/>
Kommando der Finanzhcrrschcift entschließen müssen, die errichteten Dämme<lb/>
wieder einzureißeu, nicht selten ist auch der Notstand soweit vorgeschritten,<lb/>
daß mau sich seiner garnicht mehr erwehren kann. Vergeblich hat insbesondre<lb/>
in Frankreich schon 1842 Lamartine den Kammern die Folgen der Leichtfertig¬<lb/>
keit, mit welcher man den Gesellschaften, mit andern Worten Herrn von Roth¬<lb/>
schild, die Eisenbahnen überließ, eindringlich vor Augen geführt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_648"> In Österreich war die erste durch Rothschild erbaute Eisenbahn die Kaiscr-<lb/>
Ferdimnds-Nordbahn, die man fast als eines seiner Privatbesitztttmer bezeichne!,<lb/>
könnte. Dieselbe ist für ihn wesentlich ein Geschenk des Staates, mit dessen<lb/>
Gelde sie zum erheblichsten Teil erbaut ist. Man wirft dem Herrn von Roth¬<lb/>
schild mit Recht vor, daß er, nachdem er im Jahre 1836 die Konzession zu<lb/>
dieser Bahn erhalten, nichts eiligeres zu thun hatte, als die Aktien derselben<lb/>
zu einer unerhörten Agiotage zu benutzen und sich weniger um den Bau der<lb/>
Bahn als um den Verkauf der Aktien zu bekümmern. Das Agio derselben wurde<lb/>
sofort auf 15 Prozent getrieben. Aber mit dem Bau ging es sehr langsam; er<lb/>
kam sogar in Gefahr, ganz liegen zu bleiben, und im Jahre 1841 mußte, um<lb/>
dies zu verhüten, die Regierung einspringen, zuerst mit einem Bauvorschuß von<lb/>
5 Millionen Gulden und dann durch Übernahme des ganzen Baues. &#x201E;Nur<lb/>
billig" gingen jetzt die Aktien selbstverständlich in die Tresors des Herrn von<lb/>
Rothschild; er konnte sie um die Hälfte des Preises kaufen, zu dem er sie ver¬<lb/>
kauft hatte.*)</p><lb/>
          <note xml:id="FID_20" place="foot"> *) Dieser Vorgang gehört zu den interessantesten Beiträgen zur Geschichte der pseudo-<lb/>
ökonomischcn Doktrin von der &#x201E;Selbsthilfe," die ja in diesen Tagen wieder im deutschen<lb/>
Reichstage gespukt hat. Herr Schulze-Delitzsch richtete sich zu unserm Erstaunen, da wir<lb/>
ihn längst für vollkommen tot gehalten, aus seinem wirtschaftlichen Sarge, genannt &#x201E;Kredit¬<lb/>
genossenschaft," auf und polterte gegen das Einschreiten des Staates. Mit wahrem Galgen¬<lb/>
humor that er dies, um die &#x201E;Kreditgenossenschaften" nicht ihres &#x201E;erziehlichen Charakters"<lb/>
berauben zu lassen I Die &#x201E;erziehlichen" Ergebnisse dieser &#x201E;Kreditgenossenschaften" sind ja in<lb/>
der That wunderbar. Spitzbuben in allen Ecken. Was aber das Einschreiten des Staats<lb/>
betrifft, so fcheint Rothschild, abweichend von Herrn Schulze-Delitzsch, wie man an dem<lb/>
obigen Beispiel sieht und wie man noch an manchem andern zeigen könnte, demselben keines¬<lb/>
wegs abhold zu sein; von der &#x201E;Selbsthilfe" will er offenbar nichts wissen.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0198] Der zweite Pariser Krach. Epoche, wo der Finanzschwindel die Eisenbahnen zum Hilfsmittel der Aus¬ beutung zu machen begann, äußert sich eine im Jahre 1844 über Rothschild erschienene Broschüre von A, Weil: „Diese Erfindung der Dampfkraft droht Europa wieder in den Individualismus zurückzuwerfen und den Staat in lauter isolirte Gesellschaften aufzulösen," Und heute nach vierzig Jahren müssen wir sagen, daß wir sehr weit vorgeschritten sind in dieser Gefahr. Zwar regt man sich ihr gegenüber hie und da, aber doch nur hie und da, in den meisten Staaten gewahren wir nichts, ihrem Fortgang vorzubauen. Und selbst an manchen Punkten, wo einiges zur Eindämmung geschah, hat man sich auf Kommando der Finanzhcrrschcift entschließen müssen, die errichteten Dämme wieder einzureißeu, nicht selten ist auch der Notstand soweit vorgeschritten, daß mau sich seiner garnicht mehr erwehren kann. Vergeblich hat insbesondre in Frankreich schon 1842 Lamartine den Kammern die Folgen der Leichtfertig¬ keit, mit welcher man den Gesellschaften, mit andern Worten Herrn von Roth¬ schild, die Eisenbahnen überließ, eindringlich vor Augen geführt. In Österreich war die erste durch Rothschild erbaute Eisenbahn die Kaiscr- Ferdimnds-Nordbahn, die man fast als eines seiner Privatbesitztttmer bezeichne!, könnte. Dieselbe ist für ihn wesentlich ein Geschenk des Staates, mit dessen Gelde sie zum erheblichsten Teil erbaut ist. Man wirft dem Herrn von Roth¬ schild mit Recht vor, daß er, nachdem er im Jahre 1836 die Konzession zu dieser Bahn erhalten, nichts eiligeres zu thun hatte, als die Aktien derselben zu einer unerhörten Agiotage zu benutzen und sich weniger um den Bau der Bahn als um den Verkauf der Aktien zu bekümmern. Das Agio derselben wurde sofort auf 15 Prozent getrieben. Aber mit dem Bau ging es sehr langsam; er kam sogar in Gefahr, ganz liegen zu bleiben, und im Jahre 1841 mußte, um dies zu verhüten, die Regierung einspringen, zuerst mit einem Bauvorschuß von 5 Millionen Gulden und dann durch Übernahme des ganzen Baues. „Nur billig" gingen jetzt die Aktien selbstverständlich in die Tresors des Herrn von Rothschild; er konnte sie um die Hälfte des Preises kaufen, zu dem er sie ver¬ kauft hatte.*) *) Dieser Vorgang gehört zu den interessantesten Beiträgen zur Geschichte der pseudo- ökonomischcn Doktrin von der „Selbsthilfe," die ja in diesen Tagen wieder im deutschen Reichstage gespukt hat. Herr Schulze-Delitzsch richtete sich zu unserm Erstaunen, da wir ihn längst für vollkommen tot gehalten, aus seinem wirtschaftlichen Sarge, genannt „Kredit¬ genossenschaft," auf und polterte gegen das Einschreiten des Staates. Mit wahrem Galgen¬ humor that er dies, um die „Kreditgenossenschaften" nicht ihres „erziehlichen Charakters" berauben zu lassen I Die „erziehlichen" Ergebnisse dieser „Kreditgenossenschaften" sind ja in der That wunderbar. Spitzbuben in allen Ecken. Was aber das Einschreiten des Staats betrifft, so fcheint Rothschild, abweichend von Herrn Schulze-Delitzsch, wie man an dem obigen Beispiel sieht und wie man noch an manchem andern zeigen könnte, demselben keines¬ wegs abhold zu sein; von der „Selbsthilfe" will er offenbar nichts wissen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/198
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/198>, abgerufen am 17.06.2024.