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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Romane aus der Völkerwanderung.

strebenden Germanen enthält ohne Frage große poetische Motive und Gestalten.
Aber wenn ihn ein Dichter fort und fort zum Gegenstande seiner Darstellungen
wählen will, läuft er Gefahr, sich in mtschiedner Weise zu veräußerlichen. Wir
gehören nicht zu den unbedingten Bewunderern des Dahnschen Romans "Ein
Kampf um Rom" und leben der Meinung, daß weniger, nämlich eine strenger
konzentrirte Handlung, mehr gewesen wäre. Aber wir verkennen doch keinen
Augenblick das wahre und echte Verdienst dieser Schöpfung, deren Prachtepisode
von König Witichis allein ausreichen würde, Dahn die Ehren eines wahrhaft
erfindenden und im großen Sinne gestaltenden Dichters zu sichern. Seiner Lyrik
und Balladendichtung sind starke Elemente reflektirter und äußerlicher Rhetorik
beigemischt, aber daneben stehen so Wahrschaft schöne, einem tiefen Gemüt, einer
lebendig angeregten Phantasie entstammte Dichtungen, daß uns jedes Herunter¬
steigen dieses Dichters unter sich selbst wahrhaft peinlich nud schmerzhaft berührt.

Nun ist aber Felix Dahns neuester Roman Felicitas,*) der sich aus¬
drücklich als ein erster Band "Kleiner Romane aus der Völkerwanderung" an¬
kündigt, eine Produktion von entschieden unerfreulichen Gepräge. Es handelt
sich um ein Bild aus dem Jahre 476 n. Chr., dem Jahre des endlichen Unter¬
ganges des seit lange hinsiechende" weströmischen Kaiserreiches. Der Schauplatz der
Handlung ist die Römerstndt Juvavum, die von "Barbaren" ringsum bedroht,
im Verlauf der Geschichte dem vereinten Ansturm der Alamannen und Bcijuvciren
erliegt. Die Titclheldin, das junge Weib eines Steinmetzen Fulvins, ist beim
Beginn der Ereignisse in Gefahr, auf Grund des römischen Rechtes, als die
Tochter von Freigelassenen, über deren Freilassung keine schriftliche Urkunde
existirt, den Lüsten des Tribunen Leo zu verfallen, der in Juvavum als einziger
Gebieter schaltet und nur am Presbyter Johannes einen ihm gewachsenen Gegner
hat. Der plötzliche Überfall der Stadt durch die kriegerischen Germanen bringt
Felicitas Rettung, freilich aber auch noch eine neue ungeahnte Gefahr, indem
der junge Königssohn der Alamannen Liuthari von einer rasch auflodernden
Leidenschaft für die reizende junge Frau ergriffen wird. In der Art, wie sich der
römische Kriegstribun und der germanische Fürst bei gleicher Wallung verhalten,
Ivie der eine durch Verbrechen und die entscheidende Niederlage hindurch seine
bösen Anschlüge auf Felicitas verfolgt und dabei den Untergang findet, der
andre sich stolz und edel über seine Wallung erhebt, sich selbst besiegt und sich
selbst treu bleibt, sollen die großen Gegensätze zwischen der Entartung der hin¬
siechenden römischen Welt und dem Herrschafts- und Lebensanspruche der jugeud-
srcndigen und tugendkräftigen Germanen verkörpert werden. Die Art, wie
Fulvius und Felicitas in dem nunmehr der Herrschaft der bajuvarischen Herzöge
unterworfenen Juvavum fröhlich und gedeihlich weiterleben, versinnbildlicht zu-



Felieitas. Historischer Roman aus der Völkerwanderung. Von Felix Dahn.
(Leipzig, Breitkopf Ä Hiirtel, 1882.)
Romane aus der Völkerwanderung.

strebenden Germanen enthält ohne Frage große poetische Motive und Gestalten.
Aber wenn ihn ein Dichter fort und fort zum Gegenstande seiner Darstellungen
wählen will, läuft er Gefahr, sich in mtschiedner Weise zu veräußerlichen. Wir
gehören nicht zu den unbedingten Bewunderern des Dahnschen Romans „Ein
Kampf um Rom" und leben der Meinung, daß weniger, nämlich eine strenger
konzentrirte Handlung, mehr gewesen wäre. Aber wir verkennen doch keinen
Augenblick das wahre und echte Verdienst dieser Schöpfung, deren Prachtepisode
von König Witichis allein ausreichen würde, Dahn die Ehren eines wahrhaft
erfindenden und im großen Sinne gestaltenden Dichters zu sichern. Seiner Lyrik
und Balladendichtung sind starke Elemente reflektirter und äußerlicher Rhetorik
beigemischt, aber daneben stehen so Wahrschaft schöne, einem tiefen Gemüt, einer
lebendig angeregten Phantasie entstammte Dichtungen, daß uns jedes Herunter¬
steigen dieses Dichters unter sich selbst wahrhaft peinlich nud schmerzhaft berührt.

Nun ist aber Felix Dahns neuester Roman Felicitas,*) der sich aus¬
drücklich als ein erster Band „Kleiner Romane aus der Völkerwanderung" an¬
kündigt, eine Produktion von entschieden unerfreulichen Gepräge. Es handelt
sich um ein Bild aus dem Jahre 476 n. Chr., dem Jahre des endlichen Unter¬
ganges des seit lange hinsiechende» weströmischen Kaiserreiches. Der Schauplatz der
Handlung ist die Römerstndt Juvavum, die von „Barbaren" ringsum bedroht,
im Verlauf der Geschichte dem vereinten Ansturm der Alamannen und Bcijuvciren
erliegt. Die Titclheldin, das junge Weib eines Steinmetzen Fulvins, ist beim
Beginn der Ereignisse in Gefahr, auf Grund des römischen Rechtes, als die
Tochter von Freigelassenen, über deren Freilassung keine schriftliche Urkunde
existirt, den Lüsten des Tribunen Leo zu verfallen, der in Juvavum als einziger
Gebieter schaltet und nur am Presbyter Johannes einen ihm gewachsenen Gegner
hat. Der plötzliche Überfall der Stadt durch die kriegerischen Germanen bringt
Felicitas Rettung, freilich aber auch noch eine neue ungeahnte Gefahr, indem
der junge Königssohn der Alamannen Liuthari von einer rasch auflodernden
Leidenschaft für die reizende junge Frau ergriffen wird. In der Art, wie sich der
römische Kriegstribun und der germanische Fürst bei gleicher Wallung verhalten,
Ivie der eine durch Verbrechen und die entscheidende Niederlage hindurch seine
bösen Anschlüge auf Felicitas verfolgt und dabei den Untergang findet, der
andre sich stolz und edel über seine Wallung erhebt, sich selbst besiegt und sich
selbst treu bleibt, sollen die großen Gegensätze zwischen der Entartung der hin¬
siechenden römischen Welt und dem Herrschafts- und Lebensanspruche der jugeud-
srcndigen und tugendkräftigen Germanen verkörpert werden. Die Art, wie
Fulvius und Felicitas in dem nunmehr der Herrschaft der bajuvarischen Herzöge
unterworfenen Juvavum fröhlich und gedeihlich weiterleben, versinnbildlicht zu-



Felieitas. Historischer Roman aus der Völkerwanderung. Von Felix Dahn.
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[0026] Romane aus der Völkerwanderung. strebenden Germanen enthält ohne Frage große poetische Motive und Gestalten. Aber wenn ihn ein Dichter fort und fort zum Gegenstande seiner Darstellungen wählen will, läuft er Gefahr, sich in mtschiedner Weise zu veräußerlichen. Wir gehören nicht zu den unbedingten Bewunderern des Dahnschen Romans „Ein Kampf um Rom" und leben der Meinung, daß weniger, nämlich eine strenger konzentrirte Handlung, mehr gewesen wäre. Aber wir verkennen doch keinen Augenblick das wahre und echte Verdienst dieser Schöpfung, deren Prachtepisode von König Witichis allein ausreichen würde, Dahn die Ehren eines wahrhaft erfindenden und im großen Sinne gestaltenden Dichters zu sichern. Seiner Lyrik und Balladendichtung sind starke Elemente reflektirter und äußerlicher Rhetorik beigemischt, aber daneben stehen so Wahrschaft schöne, einem tiefen Gemüt, einer lebendig angeregten Phantasie entstammte Dichtungen, daß uns jedes Herunter¬ steigen dieses Dichters unter sich selbst wahrhaft peinlich nud schmerzhaft berührt. Nun ist aber Felix Dahns neuester Roman Felicitas,*) der sich aus¬ drücklich als ein erster Band „Kleiner Romane aus der Völkerwanderung" an¬ kündigt, eine Produktion von entschieden unerfreulichen Gepräge. Es handelt sich um ein Bild aus dem Jahre 476 n. Chr., dem Jahre des endlichen Unter¬ ganges des seit lange hinsiechende» weströmischen Kaiserreiches. Der Schauplatz der Handlung ist die Römerstndt Juvavum, die von „Barbaren" ringsum bedroht, im Verlauf der Geschichte dem vereinten Ansturm der Alamannen und Bcijuvciren erliegt. Die Titclheldin, das junge Weib eines Steinmetzen Fulvins, ist beim Beginn der Ereignisse in Gefahr, auf Grund des römischen Rechtes, als die Tochter von Freigelassenen, über deren Freilassung keine schriftliche Urkunde existirt, den Lüsten des Tribunen Leo zu verfallen, der in Juvavum als einziger Gebieter schaltet und nur am Presbyter Johannes einen ihm gewachsenen Gegner hat. Der plötzliche Überfall der Stadt durch die kriegerischen Germanen bringt Felicitas Rettung, freilich aber auch noch eine neue ungeahnte Gefahr, indem der junge Königssohn der Alamannen Liuthari von einer rasch auflodernden Leidenschaft für die reizende junge Frau ergriffen wird. In der Art, wie sich der römische Kriegstribun und der germanische Fürst bei gleicher Wallung verhalten, Ivie der eine durch Verbrechen und die entscheidende Niederlage hindurch seine bösen Anschlüge auf Felicitas verfolgt und dabei den Untergang findet, der andre sich stolz und edel über seine Wallung erhebt, sich selbst besiegt und sich selbst treu bleibt, sollen die großen Gegensätze zwischen der Entartung der hin¬ siechenden römischen Welt und dem Herrschafts- und Lebensanspruche der jugeud- srcndigen und tugendkräftigen Germanen verkörpert werden. Die Art, wie Fulvius und Felicitas in dem nunmehr der Herrschaft der bajuvarischen Herzöge unterworfenen Juvavum fröhlich und gedeihlich weiterleben, versinnbildlicht zu- Felieitas. Historischer Roman aus der Völkerwanderung. Von Felix Dahn. (Leipzig, Breitkopf Ä Hiirtel, 1882.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/26>, abgerufen am 26.05.2024.