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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Romane aus der Völkerwanderung.

hunc" Leo weckt und darnach dem blondlockigen schönen Königssohn Liuthari
beinahe sich selbst untreu macht. Wissen unsre Dichter nicht mehr, was sie
schreiben? Soll die leidige Gewohnheit des rhetorischen Dramas, um des Effektes
willen in der nächsten Szene zu vergessen, was uns in der vorhergehenden ein¬
dringlich gemacht worden ist, nun auch auf die erzählende Dichtung übergehen?
Und vor allem: welcher Wortschwall, welcher Überfluß von Redensarten, um
uns das Bild einer zugleich reizenden und unschuldigen jungen Frau vor Augen
zu stellen! Des Verfassers Phantasie will im fünften Jahrhundert christlicher
Zeitrechnung leben und uns in diese Zeit versetzen, und da zitirt und kritisirt
er die Madonnen Rafaels, er will poetisch wirken und wirft mit abstrakten Ab-
handlungswvrteu wie "nichts Komplizirtes, nichts Mimkclhaftes" um sich und
häuft ein Bild auf das andre, als wären wir nicht mehr weit vom Schwillst
der Schlesien und Giambattista Marinis gepriesenen Andenkens.^) Und wun¬
derlich genug, mit dieser unpoetischen Häufung, diesen geschmacklosen Wieder¬
holungen einer Vorstellung, die der Dichter nicht klar und plastisch in Worte
zu prägen vermag, geht im weitern Verlauf des Romans die unglaublichste
Trivialität (wohlgemerkt Trivialität nach demi Maßstabe, mit dem wir einen
Autor wie Dahn zu messen haben) Hand in Hand. Wir könnten hundert
Stellen zitiren, die dem Schluß des fünften und dem Anfang des sechsten Ka¬
pitels gleichkommen:

Mett es dem Tribun! schrie er mit heiserer Stimme wie aus letzter Kraft. Ich kann
nicht mehr -- der Pfeil im Nacken! -- Sie sind da! -- Schließt die Thore! Die Germanen
stehen vor der Stadt!

Und den Zügel fahren lassend, stürzte er rücklings vom Pferd. --

Er war tot. --

Sechstes Kapitel.

War es wirklich so? Standen in der That die Germanen vor den Thoren von Juvavum?
Darüber zerbrachen sich die Bürger mit peinigenden Schwaukuiigeu die Köpfe.
Zunächst erfuhr man gar nichts mehr von allem, was draußen vorgegangen war oder
nun vorging.

Ein völlig barbarischer Stil also, der dem Leihbibliothekenroman angehört und in
Teinach berüchtigten Kriminalgeschichten eine wenig beneidenswerte Popularität
erlangt hat, hat es den: hoch- und feingebildeten Dichter anthun können, daß er
ihn für nachahmenswert erachtet! Der Hast der Produktion ist ein solcher
Stil oder vielmehr Unheil freilich im höchsten Maße förderlich.

Wenn dann in die kurzen, hastigen Sätze Zwischensätze eingeschvbeii werde",
so lauten sie etwa wie folgt:

Eignete (!) er (der Geldwechsler Zeno) doch vor den Thoren gar manche Possessio, be¬
wirtschaftet von Sklaven und Sklavinnen, welche diese Gelegenheit erfassen mochten (!), wie



*) Diesem Schwulst entspricht auch die klägliche Hilflosigkeit der Juterpnuktivu. D. Red.
Romane aus der Völkerwanderung.

hunc» Leo weckt und darnach dem blondlockigen schönen Königssohn Liuthari
beinahe sich selbst untreu macht. Wissen unsre Dichter nicht mehr, was sie
schreiben? Soll die leidige Gewohnheit des rhetorischen Dramas, um des Effektes
willen in der nächsten Szene zu vergessen, was uns in der vorhergehenden ein¬
dringlich gemacht worden ist, nun auch auf die erzählende Dichtung übergehen?
Und vor allem: welcher Wortschwall, welcher Überfluß von Redensarten, um
uns das Bild einer zugleich reizenden und unschuldigen jungen Frau vor Augen
zu stellen! Des Verfassers Phantasie will im fünften Jahrhundert christlicher
Zeitrechnung leben und uns in diese Zeit versetzen, und da zitirt und kritisirt
er die Madonnen Rafaels, er will poetisch wirken und wirft mit abstrakten Ab-
handlungswvrteu wie „nichts Komplizirtes, nichts Mimkclhaftes" um sich und
häuft ein Bild auf das andre, als wären wir nicht mehr weit vom Schwillst
der Schlesien und Giambattista Marinis gepriesenen Andenkens.^) Und wun¬
derlich genug, mit dieser unpoetischen Häufung, diesen geschmacklosen Wieder¬
holungen einer Vorstellung, die der Dichter nicht klar und plastisch in Worte
zu prägen vermag, geht im weitern Verlauf des Romans die unglaublichste
Trivialität (wohlgemerkt Trivialität nach demi Maßstabe, mit dem wir einen
Autor wie Dahn zu messen haben) Hand in Hand. Wir könnten hundert
Stellen zitiren, die dem Schluß des fünften und dem Anfang des sechsten Ka¬
pitels gleichkommen:

Mett es dem Tribun! schrie er mit heiserer Stimme wie aus letzter Kraft. Ich kann
nicht mehr — der Pfeil im Nacken! — Sie sind da! — Schließt die Thore! Die Germanen
stehen vor der Stadt!

Und den Zügel fahren lassend, stürzte er rücklings vom Pferd. —

Er war tot. —

Sechstes Kapitel.

War es wirklich so? Standen in der That die Germanen vor den Thoren von Juvavum?
Darüber zerbrachen sich die Bürger mit peinigenden Schwaukuiigeu die Köpfe.
Zunächst erfuhr man gar nichts mehr von allem, was draußen vorgegangen war oder
nun vorging.

Ein völlig barbarischer Stil also, der dem Leihbibliothekenroman angehört und in
Teinach berüchtigten Kriminalgeschichten eine wenig beneidenswerte Popularität
erlangt hat, hat es den: hoch- und feingebildeten Dichter anthun können, daß er
ihn für nachahmenswert erachtet! Der Hast der Produktion ist ein solcher
Stil oder vielmehr Unheil freilich im höchsten Maße förderlich.

Wenn dann in die kurzen, hastigen Sätze Zwischensätze eingeschvbeii werde»,
so lauten sie etwa wie folgt:

Eignete (!) er (der Geldwechsler Zeno) doch vor den Thoren gar manche Possessio, be¬
wirtschaftet von Sklaven und Sklavinnen, welche diese Gelegenheit erfassen mochten (!), wie



*) Diesem Schwulst entspricht auch die klägliche Hilflosigkeit der Juterpnuktivu. D. Red.
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[0028] Romane aus der Völkerwanderung. hunc» Leo weckt und darnach dem blondlockigen schönen Königssohn Liuthari beinahe sich selbst untreu macht. Wissen unsre Dichter nicht mehr, was sie schreiben? Soll die leidige Gewohnheit des rhetorischen Dramas, um des Effektes willen in der nächsten Szene zu vergessen, was uns in der vorhergehenden ein¬ dringlich gemacht worden ist, nun auch auf die erzählende Dichtung übergehen? Und vor allem: welcher Wortschwall, welcher Überfluß von Redensarten, um uns das Bild einer zugleich reizenden und unschuldigen jungen Frau vor Augen zu stellen! Des Verfassers Phantasie will im fünften Jahrhundert christlicher Zeitrechnung leben und uns in diese Zeit versetzen, und da zitirt und kritisirt er die Madonnen Rafaels, er will poetisch wirken und wirft mit abstrakten Ab- handlungswvrteu wie „nichts Komplizirtes, nichts Mimkclhaftes" um sich und häuft ein Bild auf das andre, als wären wir nicht mehr weit vom Schwillst der Schlesien und Giambattista Marinis gepriesenen Andenkens.^) Und wun¬ derlich genug, mit dieser unpoetischen Häufung, diesen geschmacklosen Wieder¬ holungen einer Vorstellung, die der Dichter nicht klar und plastisch in Worte zu prägen vermag, geht im weitern Verlauf des Romans die unglaublichste Trivialität (wohlgemerkt Trivialität nach demi Maßstabe, mit dem wir einen Autor wie Dahn zu messen haben) Hand in Hand. Wir könnten hundert Stellen zitiren, die dem Schluß des fünften und dem Anfang des sechsten Ka¬ pitels gleichkommen: Mett es dem Tribun! schrie er mit heiserer Stimme wie aus letzter Kraft. Ich kann nicht mehr — der Pfeil im Nacken! — Sie sind da! — Schließt die Thore! Die Germanen stehen vor der Stadt! Und den Zügel fahren lassend, stürzte er rücklings vom Pferd. — Er war tot. — Sechstes Kapitel. War es wirklich so? Standen in der That die Germanen vor den Thoren von Juvavum? Darüber zerbrachen sich die Bürger mit peinigenden Schwaukuiigeu die Köpfe. Zunächst erfuhr man gar nichts mehr von allem, was draußen vorgegangen war oder nun vorging. Ein völlig barbarischer Stil also, der dem Leihbibliothekenroman angehört und in Teinach berüchtigten Kriminalgeschichten eine wenig beneidenswerte Popularität erlangt hat, hat es den: hoch- und feingebildeten Dichter anthun können, daß er ihn für nachahmenswert erachtet! Der Hast der Produktion ist ein solcher Stil oder vielmehr Unheil freilich im höchsten Maße förderlich. Wenn dann in die kurzen, hastigen Sätze Zwischensätze eingeschvbeii werde», so lauten sie etwa wie folgt: Eignete (!) er (der Geldwechsler Zeno) doch vor den Thoren gar manche Possessio, be¬ wirtschaftet von Sklaven und Sklavinnen, welche diese Gelegenheit erfassen mochten (!), wie *) Diesem Schwulst entspricht auch die klägliche Hilflosigkeit der Juterpnuktivu. D. Red.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/28>, abgerufen am 26.05.2024.