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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der zweite Pariser Krach.

' Es genügt ihnen, sich das Ansehen zu geben, Prinzipien zu besitzen, aber sie
Hüten sich wohl, solche thatsächlich zu entwickeln. Als er dann an die Spitze
der neuen französischen Republik trat, war er selbst großer Aktionär ge¬
worden und repräsentirte eine kleine Geldmacht, welche wenigstens befähigt, die
Interessen der großen Geldmächte zu begreifen und sich einzubilden, daß sie mit
den seinigen identisch seien. Auch als Politiker war er lediglich Kapitalist.
Ihm genügte es, den alten Ruhm Frankreichs als eine Aufspeicherung -- bei
der er doch auch einigermaßen mitgewirkt -- zu betrachte", und er war über¬
zeugt, daß sich mit diesem aufgespeicherten Ruhmeskapital die "eueren Nieder¬
lagen gar wohl bezahlen ließen. Von ihm ist das geflügelte Wort: In Frank¬
reich soll der Reichtum nicht als Verbreche" bestraft werden. Aber dieses so
oft zitirte Wort ist das furchtbarste, allerdings negative Urteil, das über die
Politik Thiers' selbst ausgesprochen werden konnte. Es ist nicht mehr und nicht
weniger als eine vage und unmotivirte Entschuldigung der Politik, die darauf
hinauslaufen mußte, die Finanzkoterien zur unumschränkten Herrschaft in Frank¬
reich zu bringen, und das Wort beweist, daß Thiers nicht unbewußt und
vielleicht auch nicht ohne Gewissensskrupel seinen Weg ging.

Wenn Thiers, der ehrgeizig genug war, um selbst thätig zu sein und selbst
einzugreifen, uoch mit einer gewissen Selbständigkeit die Geschäfte der Börse
und des Herrn von Rothschild im französischen Staatswesen besorgte und diri-
, girte, so bedeutet die Stellung, welche der jetzige Präsident einnimmt, für die Börse
einen entschiednen Fortschritt. Mac Mahon wollte die Politik Thiers' fortsetzen,
ohne sie zu begreifen. Er meinte, dieser habe thatsächlich eine neue politische Kon¬
solidation des Staates im Auge gehabt, wie er dies so oft in seinen öffentlichen
Kundgebungen ausgedrückt hatte. Und Mac Mahon wollte nun ins soldatische
übersetze", was er in Thiers diplvmatisirend verkörpert gesehen hatte. Da aber
geriet er bald genug in Konflikt mit der HÄuts-tmimos, die freilich vorsichtig
genug war, ihn nicht gewaltsam zu reizen, sondern vorzog, ihn, nachdem sie ihre
Täuschung erkannt hatte, von seinem Posten hinwcgzunörgeln.

Grevy ist der Mann, den die Hg-nee-lmWos nach Thiers braucht. Sie
hat nicht mehr eine Brücke nötig, um zur Staatsgewalt hinaufzusteigen, und
eine jüngere selbständige Kraft würde oft genug allzu eigenwillig verfahren
wollen. Dies hatte man sogar noch an Thiers zu tadeln, und es war der
Grund, weshalb ihn schließlich doch die Hg.ues-lini"lo6, die anch die politischen
Parteimänner jeder Richtung in Frankreich genügend beherrscht, um in der
Kammer Konstellationen nach Belieben hervorzurufen, fallen ließ. Und über
Mißgriffe in den Personen setzt sich die Rimw-lluMvs mit der größten Ele¬
ganz hinweg, was Gambetta, der sich wirklich einbildete, ein Geschöpf seiner
selbst zu sein, sehr gut erfahren hat.

War vorher, unter Thiers, unter Mac Mahon und selbst während der
ersten Zeit der Präsidentschaft Grevys, der finanzielle Charakter der gegenwärtigen


Der zweite Pariser Krach.

' Es genügt ihnen, sich das Ansehen zu geben, Prinzipien zu besitzen, aber sie
Hüten sich wohl, solche thatsächlich zu entwickeln. Als er dann an die Spitze
der neuen französischen Republik trat, war er selbst großer Aktionär ge¬
worden und repräsentirte eine kleine Geldmacht, welche wenigstens befähigt, die
Interessen der großen Geldmächte zu begreifen und sich einzubilden, daß sie mit
den seinigen identisch seien. Auch als Politiker war er lediglich Kapitalist.
Ihm genügte es, den alten Ruhm Frankreichs als eine Aufspeicherung — bei
der er doch auch einigermaßen mitgewirkt — zu betrachte», und er war über¬
zeugt, daß sich mit diesem aufgespeicherten Ruhmeskapital die »eueren Nieder¬
lagen gar wohl bezahlen ließen. Von ihm ist das geflügelte Wort: In Frank¬
reich soll der Reichtum nicht als Verbreche» bestraft werden. Aber dieses so
oft zitirte Wort ist das furchtbarste, allerdings negative Urteil, das über die
Politik Thiers' selbst ausgesprochen werden konnte. Es ist nicht mehr und nicht
weniger als eine vage und unmotivirte Entschuldigung der Politik, die darauf
hinauslaufen mußte, die Finanzkoterien zur unumschränkten Herrschaft in Frank¬
reich zu bringen, und das Wort beweist, daß Thiers nicht unbewußt und
vielleicht auch nicht ohne Gewissensskrupel seinen Weg ging.

Wenn Thiers, der ehrgeizig genug war, um selbst thätig zu sein und selbst
einzugreifen, uoch mit einer gewissen Selbständigkeit die Geschäfte der Börse
und des Herrn von Rothschild im französischen Staatswesen besorgte und diri-
, girte, so bedeutet die Stellung, welche der jetzige Präsident einnimmt, für die Börse
einen entschiednen Fortschritt. Mac Mahon wollte die Politik Thiers' fortsetzen,
ohne sie zu begreifen. Er meinte, dieser habe thatsächlich eine neue politische Kon¬
solidation des Staates im Auge gehabt, wie er dies so oft in seinen öffentlichen
Kundgebungen ausgedrückt hatte. Und Mac Mahon wollte nun ins soldatische
übersetze», was er in Thiers diplvmatisirend verkörpert gesehen hatte. Da aber
geriet er bald genug in Konflikt mit der HÄuts-tmimos, die freilich vorsichtig
genug war, ihn nicht gewaltsam zu reizen, sondern vorzog, ihn, nachdem sie ihre
Täuschung erkannt hatte, von seinem Posten hinwcgzunörgeln.

Grevy ist der Mann, den die Hg-nee-lmWos nach Thiers braucht. Sie
hat nicht mehr eine Brücke nötig, um zur Staatsgewalt hinaufzusteigen, und
eine jüngere selbständige Kraft würde oft genug allzu eigenwillig verfahren
wollen. Dies hatte man sogar noch an Thiers zu tadeln, und es war der
Grund, weshalb ihn schließlich doch die Hg.ues-lini»lo6, die anch die politischen
Parteimänner jeder Richtung in Frankreich genügend beherrscht, um in der
Kammer Konstellationen nach Belieben hervorzurufen, fallen ließ. Und über
Mißgriffe in den Personen setzt sich die Rimw-lluMvs mit der größten Ele¬
ganz hinweg, was Gambetta, der sich wirklich einbildete, ein Geschöpf seiner
selbst zu sein, sehr gut erfahren hat.

War vorher, unter Thiers, unter Mac Mahon und selbst während der
ersten Zeit der Präsidentschaft Grevys, der finanzielle Charakter der gegenwärtigen


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[0403] Der zweite Pariser Krach. ' Es genügt ihnen, sich das Ansehen zu geben, Prinzipien zu besitzen, aber sie Hüten sich wohl, solche thatsächlich zu entwickeln. Als er dann an die Spitze der neuen französischen Republik trat, war er selbst großer Aktionär ge¬ worden und repräsentirte eine kleine Geldmacht, welche wenigstens befähigt, die Interessen der großen Geldmächte zu begreifen und sich einzubilden, daß sie mit den seinigen identisch seien. Auch als Politiker war er lediglich Kapitalist. Ihm genügte es, den alten Ruhm Frankreichs als eine Aufspeicherung — bei der er doch auch einigermaßen mitgewirkt — zu betrachte», und er war über¬ zeugt, daß sich mit diesem aufgespeicherten Ruhmeskapital die »eueren Nieder¬ lagen gar wohl bezahlen ließen. Von ihm ist das geflügelte Wort: In Frank¬ reich soll der Reichtum nicht als Verbreche» bestraft werden. Aber dieses so oft zitirte Wort ist das furchtbarste, allerdings negative Urteil, das über die Politik Thiers' selbst ausgesprochen werden konnte. Es ist nicht mehr und nicht weniger als eine vage und unmotivirte Entschuldigung der Politik, die darauf hinauslaufen mußte, die Finanzkoterien zur unumschränkten Herrschaft in Frank¬ reich zu bringen, und das Wort beweist, daß Thiers nicht unbewußt und vielleicht auch nicht ohne Gewissensskrupel seinen Weg ging. Wenn Thiers, der ehrgeizig genug war, um selbst thätig zu sein und selbst einzugreifen, uoch mit einer gewissen Selbständigkeit die Geschäfte der Börse und des Herrn von Rothschild im französischen Staatswesen besorgte und diri- , girte, so bedeutet die Stellung, welche der jetzige Präsident einnimmt, für die Börse einen entschiednen Fortschritt. Mac Mahon wollte die Politik Thiers' fortsetzen, ohne sie zu begreifen. Er meinte, dieser habe thatsächlich eine neue politische Kon¬ solidation des Staates im Auge gehabt, wie er dies so oft in seinen öffentlichen Kundgebungen ausgedrückt hatte. Und Mac Mahon wollte nun ins soldatische übersetze», was er in Thiers diplvmatisirend verkörpert gesehen hatte. Da aber geriet er bald genug in Konflikt mit der HÄuts-tmimos, die freilich vorsichtig genug war, ihn nicht gewaltsam zu reizen, sondern vorzog, ihn, nachdem sie ihre Täuschung erkannt hatte, von seinem Posten hinwcgzunörgeln. Grevy ist der Mann, den die Hg-nee-lmWos nach Thiers braucht. Sie hat nicht mehr eine Brücke nötig, um zur Staatsgewalt hinaufzusteigen, und eine jüngere selbständige Kraft würde oft genug allzu eigenwillig verfahren wollen. Dies hatte man sogar noch an Thiers zu tadeln, und es war der Grund, weshalb ihn schließlich doch die Hg.ues-lini»lo6, die anch die politischen Parteimänner jeder Richtung in Frankreich genügend beherrscht, um in der Kammer Konstellationen nach Belieben hervorzurufen, fallen ließ. Und über Mißgriffe in den Personen setzt sich die Rimw-lluMvs mit der größten Ele¬ ganz hinweg, was Gambetta, der sich wirklich einbildete, ein Geschöpf seiner selbst zu sein, sehr gut erfahren hat. War vorher, unter Thiers, unter Mac Mahon und selbst während der ersten Zeit der Präsidentschaft Grevys, der finanzielle Charakter der gegenwärtigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/403>, abgerufen am 17.06.2024.