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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Gegen das Landstreichertum.

beteiligt, teils in Papieren gehandelt, dabei die von den Väter" überlieferten
patriarchalischen Sitten der Einfachkeit, der Sparsamkeit und des Fleißes
aufgegeben und mit allem diesem recht viel Geld verloren. Alle Landwirte
machten die Entdeckung, daß sie "viel zu teuer wirtschafteten." Statt nun
durch intensive Arbeit und durch Einschränkung ihrer Genüsse ihr Budget
wieder ins Gleichgewicht zu bringen, suchten sie Ersparnisse an Arbeitern
und Löhnen zu machen und verkürzten ihrem Dienstmann und Knecht alle
die Natnrallöhne und Deputate, welche dem ländlichen Arbeiter ein men¬
schenwürdiges Dasein allein ermöglichen. Die fntterfrcie Kuh wurde ihm ans
dem herrschaftlichen Stalle getrieben und ihm dafür ein tägliches Quantum
vou zwei bis drei Lidern abgerahmter Milch gegeben; es wurde ihm die Auf¬
zucht eines Schweines verboten, welche allein ihm das Mittel an die Hand
gab, durch fleißige Benutzung aller wirtschaftlichen, ihm sonst wertlosen Abfülle
sich für das ganze Jahr nahrhafte Kost zu schaffen; statt des kleinen Kartoffel¬
feldes, welches ihn auch an den Erntesvrgen und -Freuden seines Herrn stets
Anteil nehmen ließ, erhielt er je nach der Größe seiner Familie ein wöchent¬
liches Quantum Kartoffeln, das Flachsbeet wurde ihm ohne Ersatz gestrichen,
und die winterliche Arbeit des Dreschens, welche ihn nach dem alten Lohnsystem
des "sechzehnten Scheffels" mit Brotkvrn versorgte, wurde ihm durch die
Massenleistung der Dreschmaschine ganz entzogen, er selbst dadurch während des
Winters zum Faullenzen verurteilt. Der landwirtschaftliche Arbeiter, der in
seinen frühern Kontraktverhältnissen ein reges Interesse an seiner kleinen Vieh¬
zucht, seinem kleinen Feld- und Gartenbau hatte, der durch den ausnutzenden
Besitz seiner Kuh, durch die Einheimsung seiner Ernte zu einen kleinen Wohl¬
stande gelangen konnte, dessen Weib durch Wartung des Stalles und Bearbei¬
tung ihres Gartens eine sorgsame Hausfrau wurde, der durch den Besitz alles
dessen um die Scholle seines Herrn gebunden und um Erhaltung dieses Be¬
sitzes zu einer ordentlichen und fleißigen Lebensführung gezwungen war, wurde
durch die Entziehung dieser Wohlthaten und ihre teilweise Umänderung in Geld¬
lohn in einen reinen Tagelöhner umgewandelt und in das besitzlose Proletarier-
tum hineingestoßen. Er war von jetzt an stets bereit und auch darauf gefaßt, den
Hof zu verlassen, an dessen Besitzer ihn weder das Gefühl der Dankbarkeit noch
das Band irgend eines andern Interesses als das der gewährten Arbeit knüpfte,
und Arbeit für bloßes Geld glaubte er im Gefühl seiner Kraft überall zu finden.
An die Stelle der häuslichen Arbeit im Stall und in der Kammer, der Be¬
stellung des Gartens und des Kartoffelackers mit den Vorarbeiten für die Be¬
dürfnisse des Winters trat das Wirtshausleben. Das schnell und war ver¬
diente Geld reizte zur schnellen Ausgabe beim Krüger und Dorfjuden. Wo
früher Herr und Gesinde in mehreren aufeinanderfolgenden Generationen in
patriarchalischen Verhältnissen Mühe und Lust. Freud und Leid geteilt hatten,
stellten sich jetzt Widersetzlichkeiten und Krawatte, Klagen auf beiden Seiten,


Gegen das Landstreichertum.

beteiligt, teils in Papieren gehandelt, dabei die von den Väter» überlieferten
patriarchalischen Sitten der Einfachkeit, der Sparsamkeit und des Fleißes
aufgegeben und mit allem diesem recht viel Geld verloren. Alle Landwirte
machten die Entdeckung, daß sie „viel zu teuer wirtschafteten." Statt nun
durch intensive Arbeit und durch Einschränkung ihrer Genüsse ihr Budget
wieder ins Gleichgewicht zu bringen, suchten sie Ersparnisse an Arbeitern
und Löhnen zu machen und verkürzten ihrem Dienstmann und Knecht alle
die Natnrallöhne und Deputate, welche dem ländlichen Arbeiter ein men¬
schenwürdiges Dasein allein ermöglichen. Die fntterfrcie Kuh wurde ihm ans
dem herrschaftlichen Stalle getrieben und ihm dafür ein tägliches Quantum
vou zwei bis drei Lidern abgerahmter Milch gegeben; es wurde ihm die Auf¬
zucht eines Schweines verboten, welche allein ihm das Mittel an die Hand
gab, durch fleißige Benutzung aller wirtschaftlichen, ihm sonst wertlosen Abfülle
sich für das ganze Jahr nahrhafte Kost zu schaffen; statt des kleinen Kartoffel¬
feldes, welches ihn auch an den Erntesvrgen und -Freuden seines Herrn stets
Anteil nehmen ließ, erhielt er je nach der Größe seiner Familie ein wöchent¬
liches Quantum Kartoffeln, das Flachsbeet wurde ihm ohne Ersatz gestrichen,
und die winterliche Arbeit des Dreschens, welche ihn nach dem alten Lohnsystem
des „sechzehnten Scheffels" mit Brotkvrn versorgte, wurde ihm durch die
Massenleistung der Dreschmaschine ganz entzogen, er selbst dadurch während des
Winters zum Faullenzen verurteilt. Der landwirtschaftliche Arbeiter, der in
seinen frühern Kontraktverhältnissen ein reges Interesse an seiner kleinen Vieh¬
zucht, seinem kleinen Feld- und Gartenbau hatte, der durch den ausnutzenden
Besitz seiner Kuh, durch die Einheimsung seiner Ernte zu einen kleinen Wohl¬
stande gelangen konnte, dessen Weib durch Wartung des Stalles und Bearbei¬
tung ihres Gartens eine sorgsame Hausfrau wurde, der durch den Besitz alles
dessen um die Scholle seines Herrn gebunden und um Erhaltung dieses Be¬
sitzes zu einer ordentlichen und fleißigen Lebensführung gezwungen war, wurde
durch die Entziehung dieser Wohlthaten und ihre teilweise Umänderung in Geld¬
lohn in einen reinen Tagelöhner umgewandelt und in das besitzlose Proletarier-
tum hineingestoßen. Er war von jetzt an stets bereit und auch darauf gefaßt, den
Hof zu verlassen, an dessen Besitzer ihn weder das Gefühl der Dankbarkeit noch
das Band irgend eines andern Interesses als das der gewährten Arbeit knüpfte,
und Arbeit für bloßes Geld glaubte er im Gefühl seiner Kraft überall zu finden.
An die Stelle der häuslichen Arbeit im Stall und in der Kammer, der Be¬
stellung des Gartens und des Kartoffelackers mit den Vorarbeiten für die Be¬
dürfnisse des Winters trat das Wirtshausleben. Das schnell und war ver¬
diente Geld reizte zur schnellen Ausgabe beim Krüger und Dorfjuden. Wo
früher Herr und Gesinde in mehreren aufeinanderfolgenden Generationen in
patriarchalischen Verhältnissen Mühe und Lust. Freud und Leid geteilt hatten,
stellten sich jetzt Widersetzlichkeiten und Krawatte, Klagen auf beiden Seiten,


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[0423] Gegen das Landstreichertum. beteiligt, teils in Papieren gehandelt, dabei die von den Väter» überlieferten patriarchalischen Sitten der Einfachkeit, der Sparsamkeit und des Fleißes aufgegeben und mit allem diesem recht viel Geld verloren. Alle Landwirte machten die Entdeckung, daß sie „viel zu teuer wirtschafteten." Statt nun durch intensive Arbeit und durch Einschränkung ihrer Genüsse ihr Budget wieder ins Gleichgewicht zu bringen, suchten sie Ersparnisse an Arbeitern und Löhnen zu machen und verkürzten ihrem Dienstmann und Knecht alle die Natnrallöhne und Deputate, welche dem ländlichen Arbeiter ein men¬ schenwürdiges Dasein allein ermöglichen. Die fntterfrcie Kuh wurde ihm ans dem herrschaftlichen Stalle getrieben und ihm dafür ein tägliches Quantum vou zwei bis drei Lidern abgerahmter Milch gegeben; es wurde ihm die Auf¬ zucht eines Schweines verboten, welche allein ihm das Mittel an die Hand gab, durch fleißige Benutzung aller wirtschaftlichen, ihm sonst wertlosen Abfülle sich für das ganze Jahr nahrhafte Kost zu schaffen; statt des kleinen Kartoffel¬ feldes, welches ihn auch an den Erntesvrgen und -Freuden seines Herrn stets Anteil nehmen ließ, erhielt er je nach der Größe seiner Familie ein wöchent¬ liches Quantum Kartoffeln, das Flachsbeet wurde ihm ohne Ersatz gestrichen, und die winterliche Arbeit des Dreschens, welche ihn nach dem alten Lohnsystem des „sechzehnten Scheffels" mit Brotkvrn versorgte, wurde ihm durch die Massenleistung der Dreschmaschine ganz entzogen, er selbst dadurch während des Winters zum Faullenzen verurteilt. Der landwirtschaftliche Arbeiter, der in seinen frühern Kontraktverhältnissen ein reges Interesse an seiner kleinen Vieh¬ zucht, seinem kleinen Feld- und Gartenbau hatte, der durch den ausnutzenden Besitz seiner Kuh, durch die Einheimsung seiner Ernte zu einen kleinen Wohl¬ stande gelangen konnte, dessen Weib durch Wartung des Stalles und Bearbei¬ tung ihres Gartens eine sorgsame Hausfrau wurde, der durch den Besitz alles dessen um die Scholle seines Herrn gebunden und um Erhaltung dieses Be¬ sitzes zu einer ordentlichen und fleißigen Lebensführung gezwungen war, wurde durch die Entziehung dieser Wohlthaten und ihre teilweise Umänderung in Geld¬ lohn in einen reinen Tagelöhner umgewandelt und in das besitzlose Proletarier- tum hineingestoßen. Er war von jetzt an stets bereit und auch darauf gefaßt, den Hof zu verlassen, an dessen Besitzer ihn weder das Gefühl der Dankbarkeit noch das Band irgend eines andern Interesses als das der gewährten Arbeit knüpfte, und Arbeit für bloßes Geld glaubte er im Gefühl seiner Kraft überall zu finden. An die Stelle der häuslichen Arbeit im Stall und in der Kammer, der Be¬ stellung des Gartens und des Kartoffelackers mit den Vorarbeiten für die Be¬ dürfnisse des Winters trat das Wirtshausleben. Das schnell und war ver¬ diente Geld reizte zur schnellen Ausgabe beim Krüger und Dorfjuden. Wo früher Herr und Gesinde in mehreren aufeinanderfolgenden Generationen in patriarchalischen Verhältnissen Mühe und Lust. Freud und Leid geteilt hatten, stellten sich jetzt Widersetzlichkeiten und Krawatte, Klagen auf beiden Seiten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/423>, abgerufen am 17.06.2024.