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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Gewcrbereform im österreichischen Reichsrate.

folgenden Jahrhunderten erklärt sich aus der politischen und Kulturgeschichte
jener Zeit und aus der Taubheit der damaligen Führer gegen den Ruf nach
Reform.

Wenn auch die meisten Koryphäen der Linken sich ausschließlich ncgirend
verhielten, so doch nicht alle. Es wurde auch von dieser Seite ein genaues
Rezept mitgeteilt, wie dein Kleingewerbe zu helfen sei. "Der Kleingewerbetreibende
muß, wenn er durch die Großindustrie Konkurrenz erleidet, Spezialitäten er¬
zeugen, er muß Spezialitäten aufsuchen, oder er muß durch eine geschmackvolle
Ausführung zum Kunstgewerbe übergehen... Fast jeder Gewerbetreibende kann
zum Kunstgewerbe übergehen, es handelt sich nur darum, daß er geschmackvolle
Ausführungen in den Vordergrund stellt. Wenn er dies aber nicht erreichen
kann, muß er Fabrikarbeiter werden oder sich- mit Genossen, sich mit andern
assoziiren, und zwar zu dem Zwecke der Beschaffung von Rohstoffen, der Be¬
schaffung von Werkzeugen, von Maschinen und zur Beförderung des kaufmännischen
Verkehrs."


So sind die Rollen ausgeteilt
Und alles wohl bestellt,
So wird die kennte Zeit geheilt,
Und jung die alte Welt.

Und über eine Frage, die so einfach zu lösen ist, zerbrechen sich die ge¬
scheitesten Leute den Kopf! Wie hübsch das sein wird, wenn der Schuster und
der Schneider, der Schmied und der Bäcker in kleinen Städten "Spezialitäten
aussuchen" oder "geschmackvolle Ausführungen in den Vordergrund stellen," was
sich allerdings mit der obenerwähnten guten Pfuscharbeit aufs beste vereinigen
lassen wird. Und wenn sie keins von beiden können, el nun, so werden sie
Fabrikarbeiter, ein Ziel, aufs innigste zu wünschen. Dieser Redner wurde be¬
glückwünscht.

Um die Kampfart dieser Partei zusammenfassend zu charakterisiren: Fort¬
während wurden Klein- und Großgewerbe durcheinandergemischt und die Miene
angenommen, als sollte alles über einen Kamm geschoren, die alte Zunft rein
und ganz wiederhergestellt werden, jeder Tadel der Schleuderkonkurrenz wie ein
Angriff auf die Konkurrenz überhaupt dargestellt, der Wunsch nach Organisation
als Beeinträchtigung des unglücklichen Konsumenten. Das gilt beinahe ohne
Ausnahme. Und zu solcher Taktik bot die Haltung der Gegner weder Grund
noch Vorwand. Abgerechnet einen allerdings sehr übel angebrachten tschechischen
Schmerzensschrei und einen närrischen Seitensprung des bekannten Abgeord¬
neten Lienbacher, dem seine eignen Parteigenossen nicht gefolgt zu sein scheinen,
machen die Reden für den Gewerbeschutz in der Generaldebatte den Eindruck der
Sachlichkeit und Ruhe gegenüber der Phrasenhaftigkeit und Leidenschaft. Man
schildert die Bedrängnis des Kleingewerbes, dem das Konfektionsgeschäft, der
Hausirhandel, die Scheinverkäufe, die Strafhausarbeit, die Steuerlast u. f. w. das


Die Gewcrbereform im österreichischen Reichsrate.

folgenden Jahrhunderten erklärt sich aus der politischen und Kulturgeschichte
jener Zeit und aus der Taubheit der damaligen Führer gegen den Ruf nach
Reform.

Wenn auch die meisten Koryphäen der Linken sich ausschließlich ncgirend
verhielten, so doch nicht alle. Es wurde auch von dieser Seite ein genaues
Rezept mitgeteilt, wie dein Kleingewerbe zu helfen sei. „Der Kleingewerbetreibende
muß, wenn er durch die Großindustrie Konkurrenz erleidet, Spezialitäten er¬
zeugen, er muß Spezialitäten aufsuchen, oder er muß durch eine geschmackvolle
Ausführung zum Kunstgewerbe übergehen... Fast jeder Gewerbetreibende kann
zum Kunstgewerbe übergehen, es handelt sich nur darum, daß er geschmackvolle
Ausführungen in den Vordergrund stellt. Wenn er dies aber nicht erreichen
kann, muß er Fabrikarbeiter werden oder sich- mit Genossen, sich mit andern
assoziiren, und zwar zu dem Zwecke der Beschaffung von Rohstoffen, der Be¬
schaffung von Werkzeugen, von Maschinen und zur Beförderung des kaufmännischen
Verkehrs."


So sind die Rollen ausgeteilt
Und alles wohl bestellt,
So wird die kennte Zeit geheilt,
Und jung die alte Welt.

Und über eine Frage, die so einfach zu lösen ist, zerbrechen sich die ge¬
scheitesten Leute den Kopf! Wie hübsch das sein wird, wenn der Schuster und
der Schneider, der Schmied und der Bäcker in kleinen Städten „Spezialitäten
aussuchen" oder „geschmackvolle Ausführungen in den Vordergrund stellen," was
sich allerdings mit der obenerwähnten guten Pfuscharbeit aufs beste vereinigen
lassen wird. Und wenn sie keins von beiden können, el nun, so werden sie
Fabrikarbeiter, ein Ziel, aufs innigste zu wünschen. Dieser Redner wurde be¬
glückwünscht.

Um die Kampfart dieser Partei zusammenfassend zu charakterisiren: Fort¬
während wurden Klein- und Großgewerbe durcheinandergemischt und die Miene
angenommen, als sollte alles über einen Kamm geschoren, die alte Zunft rein
und ganz wiederhergestellt werden, jeder Tadel der Schleuderkonkurrenz wie ein
Angriff auf die Konkurrenz überhaupt dargestellt, der Wunsch nach Organisation
als Beeinträchtigung des unglücklichen Konsumenten. Das gilt beinahe ohne
Ausnahme. Und zu solcher Taktik bot die Haltung der Gegner weder Grund
noch Vorwand. Abgerechnet einen allerdings sehr übel angebrachten tschechischen
Schmerzensschrei und einen närrischen Seitensprung des bekannten Abgeord¬
neten Lienbacher, dem seine eignen Parteigenossen nicht gefolgt zu sein scheinen,
machen die Reden für den Gewerbeschutz in der Generaldebatte den Eindruck der
Sachlichkeit und Ruhe gegenüber der Phrasenhaftigkeit und Leidenschaft. Man
schildert die Bedrängnis des Kleingewerbes, dem das Konfektionsgeschäft, der
Hausirhandel, die Scheinverkäufe, die Strafhausarbeit, die Steuerlast u. f. w. das


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[0044] Die Gewcrbereform im österreichischen Reichsrate. folgenden Jahrhunderten erklärt sich aus der politischen und Kulturgeschichte jener Zeit und aus der Taubheit der damaligen Führer gegen den Ruf nach Reform. Wenn auch die meisten Koryphäen der Linken sich ausschließlich ncgirend verhielten, so doch nicht alle. Es wurde auch von dieser Seite ein genaues Rezept mitgeteilt, wie dein Kleingewerbe zu helfen sei. „Der Kleingewerbetreibende muß, wenn er durch die Großindustrie Konkurrenz erleidet, Spezialitäten er¬ zeugen, er muß Spezialitäten aufsuchen, oder er muß durch eine geschmackvolle Ausführung zum Kunstgewerbe übergehen... Fast jeder Gewerbetreibende kann zum Kunstgewerbe übergehen, es handelt sich nur darum, daß er geschmackvolle Ausführungen in den Vordergrund stellt. Wenn er dies aber nicht erreichen kann, muß er Fabrikarbeiter werden oder sich- mit Genossen, sich mit andern assoziiren, und zwar zu dem Zwecke der Beschaffung von Rohstoffen, der Be¬ schaffung von Werkzeugen, von Maschinen und zur Beförderung des kaufmännischen Verkehrs." So sind die Rollen ausgeteilt Und alles wohl bestellt, So wird die kennte Zeit geheilt, Und jung die alte Welt. Und über eine Frage, die so einfach zu lösen ist, zerbrechen sich die ge¬ scheitesten Leute den Kopf! Wie hübsch das sein wird, wenn der Schuster und der Schneider, der Schmied und der Bäcker in kleinen Städten „Spezialitäten aussuchen" oder „geschmackvolle Ausführungen in den Vordergrund stellen," was sich allerdings mit der obenerwähnten guten Pfuscharbeit aufs beste vereinigen lassen wird. Und wenn sie keins von beiden können, el nun, so werden sie Fabrikarbeiter, ein Ziel, aufs innigste zu wünschen. Dieser Redner wurde be¬ glückwünscht. Um die Kampfart dieser Partei zusammenfassend zu charakterisiren: Fort¬ während wurden Klein- und Großgewerbe durcheinandergemischt und die Miene angenommen, als sollte alles über einen Kamm geschoren, die alte Zunft rein und ganz wiederhergestellt werden, jeder Tadel der Schleuderkonkurrenz wie ein Angriff auf die Konkurrenz überhaupt dargestellt, der Wunsch nach Organisation als Beeinträchtigung des unglücklichen Konsumenten. Das gilt beinahe ohne Ausnahme. Und zu solcher Taktik bot die Haltung der Gegner weder Grund noch Vorwand. Abgerechnet einen allerdings sehr übel angebrachten tschechischen Schmerzensschrei und einen närrischen Seitensprung des bekannten Abgeord¬ neten Lienbacher, dem seine eignen Parteigenossen nicht gefolgt zu sein scheinen, machen die Reden für den Gewerbeschutz in der Generaldebatte den Eindruck der Sachlichkeit und Ruhe gegenüber der Phrasenhaftigkeit und Leidenschaft. Man schildert die Bedrängnis des Kleingewerbes, dem das Konfektionsgeschäft, der Hausirhandel, die Scheinverkäufe, die Strafhausarbeit, die Steuerlast u. f. w. das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/44>, abgerufen am 26.05.2024.