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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Börse und kein Lüde.

heranziehen könnten, besteht ja, Dank der Gewerbefreiheit, bereits. Man wird
wenigstens für die Übergangszeit den Genossenschaften weitergehende Rechte ein¬
räumen müssen, um sich der Pfuscher und Störer zu erwehren -- natürlich
gleichzeitig gegen die Härten vorbauen, welche das alte Zunftwesen verhaßt ge¬
macht haben. Doch fast alle Verbesserungsanträge, auch wohlbegründete, einge¬
bracht von Mitgliedern der Linken, welche auf dem Boden der Vorlage stehen,
wurden kurzweg von der Hemd gewiesen, oft ohne jede Diskussion; wiederholt
begnügte sich der Berichterstatter, zu erklären, er halte den Antrag für unnötig
und bitte daher ihn abzulehnen. Mit diesem "Durchpeitschen" des Gesetzes hat
leider auch die Rechte bewiesen, daß sie deu Parteirücksichten ungebührlichen
Einfluß gestattet, auch ihrestcils Beweismaterial für den Satz geliefert, daß von
den Parlamenten schwerlich eine ersprießliche Behandlung wirtschaftlicher Fragen
erwartet werden darf.




Die Börse und kein Ende.

er Erfahrungssatz, daß man den Brunnen erst zuschüttet, wenn
das Kind hineingefallen ist, macht sich nirgends mehr als ans
dem Gebiete des Handels und Verkehrs geltend. So lange
die Milliarden flössen, Gründer Paläste bauten und durch ihren
Luxus die weitesten Kreise des Volkes in den Taumel des ein¬
gebildeten Aufschwungs hineinzogen, beklagte sich niemand über das Akticngesctz
und die Differenzgcschäfte, sand der Börsenbarou Zutritt zu den höchsten Sphären
der Gesellschaft, wurde der in einen Spekulanten umgewandelte Wucherer mit
Auszeichnungen aller Art überhäuft. So lange die Geschäfte gut gingen, die
Genossenschaften ihren Umsatz in das ungemessenste trieben und Dividenden über
Dividenden an ihre Mitglieder verteilten, pries man das Gcnossenschaftsprinzip
als die Lösung der sozialen Frage, und die Solidarhaft des einzelnen galt als
ein unumstößliches Dogma ihrer Krcditbasis, das höchstens von Vnchgelehrten
und Theoretikern mißverstanden wurde. Dann trat der große Krach ein, die
luftigen Grundlagen des Systems brachen zusammen, die Überproduktion warf
den Handel darnieder, und nunmehr erschienen die Gesetze, welche bisher so
gepriesen wurden, als der Grundquell des ganzen Unheils. Eine Flut von
Artikeln und Broschüren erschien, in denen das "hineingelegte Publikum," Beamte,
Anwälte und sonstige Sachverständige ihre Vorschläge zur Reform beibrachten.
Ja sogar ehemalige Gründer und Gründergenossen besaßen den Mut, als Auk-
torität die öffentliche Meinung belehren zu wollen, indem sie sich, sei es in


Die Börse und kein Lüde.

heranziehen könnten, besteht ja, Dank der Gewerbefreiheit, bereits. Man wird
wenigstens für die Übergangszeit den Genossenschaften weitergehende Rechte ein¬
räumen müssen, um sich der Pfuscher und Störer zu erwehren — natürlich
gleichzeitig gegen die Härten vorbauen, welche das alte Zunftwesen verhaßt ge¬
macht haben. Doch fast alle Verbesserungsanträge, auch wohlbegründete, einge¬
bracht von Mitgliedern der Linken, welche auf dem Boden der Vorlage stehen,
wurden kurzweg von der Hemd gewiesen, oft ohne jede Diskussion; wiederholt
begnügte sich der Berichterstatter, zu erklären, er halte den Antrag für unnötig
und bitte daher ihn abzulehnen. Mit diesem „Durchpeitschen" des Gesetzes hat
leider auch die Rechte bewiesen, daß sie deu Parteirücksichten ungebührlichen
Einfluß gestattet, auch ihrestcils Beweismaterial für den Satz geliefert, daß von
den Parlamenten schwerlich eine ersprießliche Behandlung wirtschaftlicher Fragen
erwartet werden darf.




Die Börse und kein Ende.

er Erfahrungssatz, daß man den Brunnen erst zuschüttet, wenn
das Kind hineingefallen ist, macht sich nirgends mehr als ans
dem Gebiete des Handels und Verkehrs geltend. So lange
die Milliarden flössen, Gründer Paläste bauten und durch ihren
Luxus die weitesten Kreise des Volkes in den Taumel des ein¬
gebildeten Aufschwungs hineinzogen, beklagte sich niemand über das Akticngesctz
und die Differenzgcschäfte, sand der Börsenbarou Zutritt zu den höchsten Sphären
der Gesellschaft, wurde der in einen Spekulanten umgewandelte Wucherer mit
Auszeichnungen aller Art überhäuft. So lange die Geschäfte gut gingen, die
Genossenschaften ihren Umsatz in das ungemessenste trieben und Dividenden über
Dividenden an ihre Mitglieder verteilten, pries man das Gcnossenschaftsprinzip
als die Lösung der sozialen Frage, und die Solidarhaft des einzelnen galt als
ein unumstößliches Dogma ihrer Krcditbasis, das höchstens von Vnchgelehrten
und Theoretikern mißverstanden wurde. Dann trat der große Krach ein, die
luftigen Grundlagen des Systems brachen zusammen, die Überproduktion warf
den Handel darnieder, und nunmehr erschienen die Gesetze, welche bisher so
gepriesen wurden, als der Grundquell des ganzen Unheils. Eine Flut von
Artikeln und Broschüren erschien, in denen das „hineingelegte Publikum," Beamte,
Anwälte und sonstige Sachverständige ihre Vorschläge zur Reform beibrachten.
Ja sogar ehemalige Gründer und Gründergenossen besaßen den Mut, als Auk-
torität die öffentliche Meinung belehren zu wollen, indem sie sich, sei es in


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[0046] Die Börse und kein Lüde. heranziehen könnten, besteht ja, Dank der Gewerbefreiheit, bereits. Man wird wenigstens für die Übergangszeit den Genossenschaften weitergehende Rechte ein¬ räumen müssen, um sich der Pfuscher und Störer zu erwehren — natürlich gleichzeitig gegen die Härten vorbauen, welche das alte Zunftwesen verhaßt ge¬ macht haben. Doch fast alle Verbesserungsanträge, auch wohlbegründete, einge¬ bracht von Mitgliedern der Linken, welche auf dem Boden der Vorlage stehen, wurden kurzweg von der Hemd gewiesen, oft ohne jede Diskussion; wiederholt begnügte sich der Berichterstatter, zu erklären, er halte den Antrag für unnötig und bitte daher ihn abzulehnen. Mit diesem „Durchpeitschen" des Gesetzes hat leider auch die Rechte bewiesen, daß sie deu Parteirücksichten ungebührlichen Einfluß gestattet, auch ihrestcils Beweismaterial für den Satz geliefert, daß von den Parlamenten schwerlich eine ersprießliche Behandlung wirtschaftlicher Fragen erwartet werden darf. Die Börse und kein Ende. er Erfahrungssatz, daß man den Brunnen erst zuschüttet, wenn das Kind hineingefallen ist, macht sich nirgends mehr als ans dem Gebiete des Handels und Verkehrs geltend. So lange die Milliarden flössen, Gründer Paläste bauten und durch ihren Luxus die weitesten Kreise des Volkes in den Taumel des ein¬ gebildeten Aufschwungs hineinzogen, beklagte sich niemand über das Akticngesctz und die Differenzgcschäfte, sand der Börsenbarou Zutritt zu den höchsten Sphären der Gesellschaft, wurde der in einen Spekulanten umgewandelte Wucherer mit Auszeichnungen aller Art überhäuft. So lange die Geschäfte gut gingen, die Genossenschaften ihren Umsatz in das ungemessenste trieben und Dividenden über Dividenden an ihre Mitglieder verteilten, pries man das Gcnossenschaftsprinzip als die Lösung der sozialen Frage, und die Solidarhaft des einzelnen galt als ein unumstößliches Dogma ihrer Krcditbasis, das höchstens von Vnchgelehrten und Theoretikern mißverstanden wurde. Dann trat der große Krach ein, die luftigen Grundlagen des Systems brachen zusammen, die Überproduktion warf den Handel darnieder, und nunmehr erschienen die Gesetze, welche bisher so gepriesen wurden, als der Grundquell des ganzen Unheils. Eine Flut von Artikeln und Broschüren erschien, in denen das „hineingelegte Publikum," Beamte, Anwälte und sonstige Sachverständige ihre Vorschläge zur Reform beibrachten. Ja sogar ehemalige Gründer und Gründergenossen besaßen den Mut, als Auk- torität die öffentliche Meinung belehren zu wollen, indem sie sich, sei es in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/46>, abgerufen am 26.05.2024.