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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Börse und kein Ende.

Memoiren, sei es in Lehrbüchern, auf das literarische Gebiet begaben. Alle diese
Vorschläge erschöpften niemals die volle Sachlage, Jeder war auf einen be¬
sonderen Punkt aufmerksam geworden und glaubte lediglich in diesem den Hebel
gefunden zu haben, von wo aus die ganze reformirende Bewegung ausgehen
müsse. Ab und zu fiel ein Blick auf eine ausländische Gesetzgebung, aus welcher
wiederum nnr ein Punkt herausgegriffen wurde, den man als das erlösende
Schiboleth hinstellte. Aber auch im Reichstage und in den andern deutschen
Volksvertretungen kam man über eine akademische Erörterung der einen oder
der andern Seite nicht heraus. Erlebten wir doch, daß im vergangnen Jahre
der Eigentümer der Frankfurter Zeitung, Herr Sonnemann, sich als Reformer
der Wiengesetzgebnng aufspielte und den Reichstag zum Piedestal seiner sittlichen
Entrüstung über den Aktienschwindel wählte. Bei dieser Gelegenheit warf er
dem Reichskanzler die Begünstigung der Samoaangelegenheit vor, und der In¬
haber des Frankfurter Börsenblattes warf sich stolz in die Brust: "Gott sei
Dank, daß ich nicht bin wie dieser." Denn die Frankfurter Zeitung hat immer
nur objektiv die Gründung von Aktiengesellschaften beurteilt, sie hat niemals
einseitig die eine Gesellschaft einer andern gegenüber begünstigt, sie hat nie Ne-
klamennzeigen gegen hohe Gebühren aufgenommen, und auf ihren Rat hat niemals
das naive Publikum sein Geld verloren. Und worin fand der große Tribun
vom Main die Abhilfe gegen das Übel? Lediglich darin, daß der Gesetzgeber
die Gesellschaften nötigen sollte, ihre Statuten in ihrem Bureau anzuschlagen
und jedermann gegen ein geringes Entgelt zugänglich zu machen. Soll mau
hier die Kindlichkeit des geschulten Börsenmannes bewundern, der die Solidität
eines Unternehmens nach den Statuten beurteilen will? Die Statuten waren bei
allen Gesellschaften ebenso schön wie das Äußere des Aktienbriefes; aber gerade je
schöner diese beiden waren, desto fauler sah es im Innern aus. Der Widerpart dieses
Abgeordneten, Herr Perrot, erklärte dagegen -- wenn auch nur im eignen Namen --,
daß es überhaupt kein Mittel gebe, der Unsolidität von Micnunternehmungen ent¬
gegenzutreten und daß man sie daher gänzlich abschaffen müsse. In der That ein
radikales Mittel nach dem Rezept, daß Feuer heile, wo das Schwert nicht hilft.
Ein solches Mittel kauu nur einseitige Kurzsichtigkeit eingeben, zumal da die
Aufhebung durch den einzelnen Staat bei der Bequemlichkeit der internationalen
Verkehrsverhältnisse wenig Nutzen bringen würde. Auch ist nicht zu leugnen,
daß in der Bilanz der Aktiengesellschaften dem Verlust der Einzelnen oft ein
Gewinn des Ganzen gegenübersteht. Ohne die in der Aktiengesellschaft allein
mögliche Häufung des Kapitals wäre -- um nur ein Beispiel anzuführen --
die Gründung von Eisenbahnen nicht möglich gewesen, denn der Staat kann
nicht zu bloßen Speknlationszwecken Linien bauen, deren Rentabilität nicht
feststeht, wenn nicht etwa andre Rücksichten entscheiden. Auch wäre der Staat
nicht immer in der Lage, Anleihen zu solchen Zwecken gegen einen mäßigen Zins
aufzunehmen. Endlich würden viele andre Erfindungen des kühnen Menschen-


Die Börse und kein Ende.

Memoiren, sei es in Lehrbüchern, auf das literarische Gebiet begaben. Alle diese
Vorschläge erschöpften niemals die volle Sachlage, Jeder war auf einen be¬
sonderen Punkt aufmerksam geworden und glaubte lediglich in diesem den Hebel
gefunden zu haben, von wo aus die ganze reformirende Bewegung ausgehen
müsse. Ab und zu fiel ein Blick auf eine ausländische Gesetzgebung, aus welcher
wiederum nnr ein Punkt herausgegriffen wurde, den man als das erlösende
Schiboleth hinstellte. Aber auch im Reichstage und in den andern deutschen
Volksvertretungen kam man über eine akademische Erörterung der einen oder
der andern Seite nicht heraus. Erlebten wir doch, daß im vergangnen Jahre
der Eigentümer der Frankfurter Zeitung, Herr Sonnemann, sich als Reformer
der Wiengesetzgebnng aufspielte und den Reichstag zum Piedestal seiner sittlichen
Entrüstung über den Aktienschwindel wählte. Bei dieser Gelegenheit warf er
dem Reichskanzler die Begünstigung der Samoaangelegenheit vor, und der In¬
haber des Frankfurter Börsenblattes warf sich stolz in die Brust: „Gott sei
Dank, daß ich nicht bin wie dieser." Denn die Frankfurter Zeitung hat immer
nur objektiv die Gründung von Aktiengesellschaften beurteilt, sie hat niemals
einseitig die eine Gesellschaft einer andern gegenüber begünstigt, sie hat nie Ne-
klamennzeigen gegen hohe Gebühren aufgenommen, und auf ihren Rat hat niemals
das naive Publikum sein Geld verloren. Und worin fand der große Tribun
vom Main die Abhilfe gegen das Übel? Lediglich darin, daß der Gesetzgeber
die Gesellschaften nötigen sollte, ihre Statuten in ihrem Bureau anzuschlagen
und jedermann gegen ein geringes Entgelt zugänglich zu machen. Soll mau
hier die Kindlichkeit des geschulten Börsenmannes bewundern, der die Solidität
eines Unternehmens nach den Statuten beurteilen will? Die Statuten waren bei
allen Gesellschaften ebenso schön wie das Äußere des Aktienbriefes; aber gerade je
schöner diese beiden waren, desto fauler sah es im Innern aus. Der Widerpart dieses
Abgeordneten, Herr Perrot, erklärte dagegen — wenn auch nur im eignen Namen —,
daß es überhaupt kein Mittel gebe, der Unsolidität von Micnunternehmungen ent¬
gegenzutreten und daß man sie daher gänzlich abschaffen müsse. In der That ein
radikales Mittel nach dem Rezept, daß Feuer heile, wo das Schwert nicht hilft.
Ein solches Mittel kauu nur einseitige Kurzsichtigkeit eingeben, zumal da die
Aufhebung durch den einzelnen Staat bei der Bequemlichkeit der internationalen
Verkehrsverhältnisse wenig Nutzen bringen würde. Auch ist nicht zu leugnen,
daß in der Bilanz der Aktiengesellschaften dem Verlust der Einzelnen oft ein
Gewinn des Ganzen gegenübersteht. Ohne die in der Aktiengesellschaft allein
mögliche Häufung des Kapitals wäre — um nur ein Beispiel anzuführen —
die Gründung von Eisenbahnen nicht möglich gewesen, denn der Staat kann
nicht zu bloßen Speknlationszwecken Linien bauen, deren Rentabilität nicht
feststeht, wenn nicht etwa andre Rücksichten entscheiden. Auch wäre der Staat
nicht immer in der Lage, Anleihen zu solchen Zwecken gegen einen mäßigen Zins
aufzunehmen. Endlich würden viele andre Erfindungen des kühnen Menschen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/47>, abgerufen am 26.05.2024.