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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Börse und kein Lüde.

den Zweck hatten, das außerhalb stehende Publikum durch hohe Kurse zu
blenden und zu locken, monatelang getrieben werden. Man mußte sich bei
den spätern gerichtlichen Untersuchungen fragen, ob den Eingeweihten und
namentlich deu vereideten Maklern, welche jene Geschäfte zu vermitteln, den
Vörsenkommissarien, welche die Kursnotirung zu überwachen hatten, jene
Vorgänge unbekannt bleiben konnten. Jedermann weiß aber auch, daß
in höchst legitimer, wenn auch nicht anständiger Weise die Kurse
in die Höhe getrieben werden können, ohne daß die Steigerung in der Pro-
sperirung des Unternehmens ihren Grund hat. Jetzt, wo die Börse von allen
Seiten bedroht ist, rühren sich bereits die Gewissen, und es hat soeben in Berlin
eine Versammlung von Börsenbesuchern stattgefunden, welche die ärgsten Aus¬
schreitungen bezüglich der Zulassung von schlechten Elementen beseitigen wollen.
Aber tiroso vMaos.

Wozu alle diese Erörterungen? Zunächst, um den Beweis zu führen, daß
es einer radikalen, alle Seiten zugleich umfassenden Reform bedarf, um die
schädlichen Auswüchse unsers Verkehrslebens zu beseitigen. Stellt sich jede Ma߬
regel an sich als unzureichend dar, in ihrem Zusammenwirken wird man doch
eine einigermaßen Erfolg versprechende Besserung erwarten dürfen. Allein man
täusche sich auch nicht. Die Gesetzgebung allein kann das Übel nicht beseitigen,
das so sehr mit unsern Kulturzuständen zusammenhängt. Die öffentliche Moral
hat in der letzten Zeit schwere Schläge erlitten. Nicht bloß die Gier nach Geld,
sondern auch der mühelose Erwerb desselben ist ein Charakterzug der Zeit ge¬
worden. Auf allen Gebieten und in allen Kreisen der Gesellschaft hat dieses
materielle Streben an Umfang zugenommen. Das Geld ersetzt heute bei vielen
jedes Ideal, es gleicht alle Unterschiede aus, und der Besitz macht heute, wie
zu Kaiser Vespasians Zeit, seinen Ursprung vergessen. Gegen Tendenzen dieser
Art ist die Gesetzgebung ohnmächtig. Hier gilt es ein allgemeines Aufrütteln
der Gesellschaft, eine Wiederbelebung der gesunkenen Moral durch Erziehung in
Familie und Schule, in Kirche und Staat. Der letztere zeige durch seine Gesetz¬
gebung, daß er nicht gleichgiltig gegen diese Krebsschäden ist, die Gesellschaft
aber bethätige durch ihr Verhalten, daß jener Satz des Tacitus, der einst zum
Ruhme unsrer Väter geschrieben wurde, wieder zur Wahrheit geworden sei, jener
Satz: ?1us ibi boiri irwrss valöirt, (Min alibi bonas löFss.




Die Börse und kein Lüde.

den Zweck hatten, das außerhalb stehende Publikum durch hohe Kurse zu
blenden und zu locken, monatelang getrieben werden. Man mußte sich bei
den spätern gerichtlichen Untersuchungen fragen, ob den Eingeweihten und
namentlich deu vereideten Maklern, welche jene Geschäfte zu vermitteln, den
Vörsenkommissarien, welche die Kursnotirung zu überwachen hatten, jene
Vorgänge unbekannt bleiben konnten. Jedermann weiß aber auch, daß
in höchst legitimer, wenn auch nicht anständiger Weise die Kurse
in die Höhe getrieben werden können, ohne daß die Steigerung in der Pro-
sperirung des Unternehmens ihren Grund hat. Jetzt, wo die Börse von allen
Seiten bedroht ist, rühren sich bereits die Gewissen, und es hat soeben in Berlin
eine Versammlung von Börsenbesuchern stattgefunden, welche die ärgsten Aus¬
schreitungen bezüglich der Zulassung von schlechten Elementen beseitigen wollen.
Aber tiroso vMaos.

Wozu alle diese Erörterungen? Zunächst, um den Beweis zu führen, daß
es einer radikalen, alle Seiten zugleich umfassenden Reform bedarf, um die
schädlichen Auswüchse unsers Verkehrslebens zu beseitigen. Stellt sich jede Ma߬
regel an sich als unzureichend dar, in ihrem Zusammenwirken wird man doch
eine einigermaßen Erfolg versprechende Besserung erwarten dürfen. Allein man
täusche sich auch nicht. Die Gesetzgebung allein kann das Übel nicht beseitigen,
das so sehr mit unsern Kulturzuständen zusammenhängt. Die öffentliche Moral
hat in der letzten Zeit schwere Schläge erlitten. Nicht bloß die Gier nach Geld,
sondern auch der mühelose Erwerb desselben ist ein Charakterzug der Zeit ge¬
worden. Auf allen Gebieten und in allen Kreisen der Gesellschaft hat dieses
materielle Streben an Umfang zugenommen. Das Geld ersetzt heute bei vielen
jedes Ideal, es gleicht alle Unterschiede aus, und der Besitz macht heute, wie
zu Kaiser Vespasians Zeit, seinen Ursprung vergessen. Gegen Tendenzen dieser
Art ist die Gesetzgebung ohnmächtig. Hier gilt es ein allgemeines Aufrütteln
der Gesellschaft, eine Wiederbelebung der gesunkenen Moral durch Erziehung in
Familie und Schule, in Kirche und Staat. Der letztere zeige durch seine Gesetz¬
gebung, daß er nicht gleichgiltig gegen diese Krebsschäden ist, die Gesellschaft
aber bethätige durch ihr Verhalten, daß jener Satz des Tacitus, der einst zum
Ruhme unsrer Väter geschrieben wurde, wieder zur Wahrheit geworden sei, jener
Satz: ?1us ibi boiri irwrss valöirt, (Min alibi bonas löFss.




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[0051] Die Börse und kein Lüde. den Zweck hatten, das außerhalb stehende Publikum durch hohe Kurse zu blenden und zu locken, monatelang getrieben werden. Man mußte sich bei den spätern gerichtlichen Untersuchungen fragen, ob den Eingeweihten und namentlich deu vereideten Maklern, welche jene Geschäfte zu vermitteln, den Vörsenkommissarien, welche die Kursnotirung zu überwachen hatten, jene Vorgänge unbekannt bleiben konnten. Jedermann weiß aber auch, daß in höchst legitimer, wenn auch nicht anständiger Weise die Kurse in die Höhe getrieben werden können, ohne daß die Steigerung in der Pro- sperirung des Unternehmens ihren Grund hat. Jetzt, wo die Börse von allen Seiten bedroht ist, rühren sich bereits die Gewissen, und es hat soeben in Berlin eine Versammlung von Börsenbesuchern stattgefunden, welche die ärgsten Aus¬ schreitungen bezüglich der Zulassung von schlechten Elementen beseitigen wollen. Aber tiroso vMaos. Wozu alle diese Erörterungen? Zunächst, um den Beweis zu führen, daß es einer radikalen, alle Seiten zugleich umfassenden Reform bedarf, um die schädlichen Auswüchse unsers Verkehrslebens zu beseitigen. Stellt sich jede Ma߬ regel an sich als unzureichend dar, in ihrem Zusammenwirken wird man doch eine einigermaßen Erfolg versprechende Besserung erwarten dürfen. Allein man täusche sich auch nicht. Die Gesetzgebung allein kann das Übel nicht beseitigen, das so sehr mit unsern Kulturzuständen zusammenhängt. Die öffentliche Moral hat in der letzten Zeit schwere Schläge erlitten. Nicht bloß die Gier nach Geld, sondern auch der mühelose Erwerb desselben ist ein Charakterzug der Zeit ge¬ worden. Auf allen Gebieten und in allen Kreisen der Gesellschaft hat dieses materielle Streben an Umfang zugenommen. Das Geld ersetzt heute bei vielen jedes Ideal, es gleicht alle Unterschiede aus, und der Besitz macht heute, wie zu Kaiser Vespasians Zeit, seinen Ursprung vergessen. Gegen Tendenzen dieser Art ist die Gesetzgebung ohnmächtig. Hier gilt es ein allgemeines Aufrütteln der Gesellschaft, eine Wiederbelebung der gesunkenen Moral durch Erziehung in Familie und Schule, in Kirche und Staat. Der letztere zeige durch seine Gesetz¬ gebung, daß er nicht gleichgiltig gegen diese Krebsschäden ist, die Gesellschaft aber bethätige durch ihr Verhalten, daß jener Satz des Tacitus, der einst zum Ruhme unsrer Väter geschrieben wurde, wieder zur Wahrheit geworden sei, jener Satz: ?1us ibi boiri irwrss valöirt, (Min alibi bonas löFss.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/51>, abgerufen am 17.06.2024.