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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Börse und kein Lüde.

Wiegen, aber man wird andrerseits auch von diesen einseitigen Maßregeln nicht
allzuviel erhoffen dürfen, solange es leicht erscheint, dieselben Geschäfte durch
die ausländischen Börsen zu cffektuiren und solange die Börsenordnung eigentlich
eine Börsenunordnung ist. In dieser Hinsicht herrschen im deutschen Reiche die
unglaublichsten Zustände. Wenn auch gegenüber der völligen Freiheit zur Errichtung
von Börsen, wie sie in England und Amerika zulässig ist, in Deutschland die Ge¬
nehmigung von einer ministeriellen Erlaubnis abhängt, so steht doch die Be¬
aufsichtigung des Börsenverkehrs lediglich bei den Beteiligten, die so lax als
möglich ihre Obliegenheiten erfüllen. Was hat es genützt, die öffentlichen Spiel¬
plätze zu verbieten, wenn man dieselben in den Börsenhallen privilegirt? Was
hilft es, wenn man den Bauernfänger, der ein paar Mark im Kümmelblättchcn
sich erschwindelt hat, bestraft, und den Börsenjobber, wenn er nur Glück in
seinen Spekulationen hat, mit Ehren überhäuft, ihm Orden und Freiherrn¬
titel anhängt? Als noch die öffentlichen Spielplätze bestanden, waren doch
immer durch Polizeivorschriften gewisse Personen wegen ihrer Unerfahrenheit
von dem Zutritt ausgeschlossen. Zu der Börse kann gegen Losung einer
Karte um einen geringen Preis jeder. Ebenso aber wie die Personen finden
auch die Effekten der schlimmsten Sorte einen leichten, anonymen und uu-
kontrolirtcn Zugang. Die Börsenvorstände selbst sind zu sehr bei diese" Manipu¬
lationen beteiligt, als daß von ihnen eine Besserung zu erhoffen wäre; sie kümmern
sich nicht darum und wollen es auch nicht sehen, auf welche Weise eine
Aktiengesellschaft entstanden ist, unter welchen Schwindeloperationen irgendein
halbasiatischer Staat das deutsche Vermögen für unproduktive Anleihen in An¬
spruch nimmt, die Aktien und Obligationen können ohne Formalität und
Prüfung an der Börse gehandelt werden. Wenn auch die ärgsten Schwindel¬
papiere nicht in den öffentlichen Kurszettel aufgenommen werden, in den neben
diesem florirenden, nicht offiziellen Kurszettel finden sie stets Eingang, und der
letztere figurirt in den Tagesblättern zur Täuschung des Publikums ohne An¬
stand. In den seltensten Fällen wird, wie erwähnt, von dem Rechte des Vörsen-
ausschlusscs gegen Personen Gebrauch gemacht, an der Börse handeln Personen,
die nicht bloß in andern Stellungen Schiffbruch erlitten haben, sondern die
mit einem Makel der schlimmsten Art behaftet sind. Nach französischem Recht
gilt ein falliter Kaufmann, bevor er nicht durch volle Bezahlung seiner Gläubiger
rehabilitirt ist, für unfähig an der Börse zu erscheinen, in Deutschland dauert
der Ausschluß uur während des Konkurses, denn die moderne Gesetzgebung in
ihrer überströmenden Humanität hat auch noch die letzten Reste der Ehrcn-
minderung beseitigt, welche mit dem schuldvollen Zusammenbruch eines Geschäfts
verbunden waren. Ist es bei einem solchen Publikum, welches ohne Kontrole
wirtschaften kann, zu verwundern, wenn Dinge vorkommen, die nicht bloß un¬
lauter sind, sondern oft auch die strafrechtlichen Grenzen überschreiten? In
der aufgeregten Zeit der Gründerepoche konnten fiktive Geschäfte, welche nur


Die Börse und kein Lüde.

Wiegen, aber man wird andrerseits auch von diesen einseitigen Maßregeln nicht
allzuviel erhoffen dürfen, solange es leicht erscheint, dieselben Geschäfte durch
die ausländischen Börsen zu cffektuiren und solange die Börsenordnung eigentlich
eine Börsenunordnung ist. In dieser Hinsicht herrschen im deutschen Reiche die
unglaublichsten Zustände. Wenn auch gegenüber der völligen Freiheit zur Errichtung
von Börsen, wie sie in England und Amerika zulässig ist, in Deutschland die Ge¬
nehmigung von einer ministeriellen Erlaubnis abhängt, so steht doch die Be¬
aufsichtigung des Börsenverkehrs lediglich bei den Beteiligten, die so lax als
möglich ihre Obliegenheiten erfüllen. Was hat es genützt, die öffentlichen Spiel¬
plätze zu verbieten, wenn man dieselben in den Börsenhallen privilegirt? Was
hilft es, wenn man den Bauernfänger, der ein paar Mark im Kümmelblättchcn
sich erschwindelt hat, bestraft, und den Börsenjobber, wenn er nur Glück in
seinen Spekulationen hat, mit Ehren überhäuft, ihm Orden und Freiherrn¬
titel anhängt? Als noch die öffentlichen Spielplätze bestanden, waren doch
immer durch Polizeivorschriften gewisse Personen wegen ihrer Unerfahrenheit
von dem Zutritt ausgeschlossen. Zu der Börse kann gegen Losung einer
Karte um einen geringen Preis jeder. Ebenso aber wie die Personen finden
auch die Effekten der schlimmsten Sorte einen leichten, anonymen und uu-
kontrolirtcn Zugang. Die Börsenvorstände selbst sind zu sehr bei diese» Manipu¬
lationen beteiligt, als daß von ihnen eine Besserung zu erhoffen wäre; sie kümmern
sich nicht darum und wollen es auch nicht sehen, auf welche Weise eine
Aktiengesellschaft entstanden ist, unter welchen Schwindeloperationen irgendein
halbasiatischer Staat das deutsche Vermögen für unproduktive Anleihen in An¬
spruch nimmt, die Aktien und Obligationen können ohne Formalität und
Prüfung an der Börse gehandelt werden. Wenn auch die ärgsten Schwindel¬
papiere nicht in den öffentlichen Kurszettel aufgenommen werden, in den neben
diesem florirenden, nicht offiziellen Kurszettel finden sie stets Eingang, und der
letztere figurirt in den Tagesblättern zur Täuschung des Publikums ohne An¬
stand. In den seltensten Fällen wird, wie erwähnt, von dem Rechte des Vörsen-
ausschlusscs gegen Personen Gebrauch gemacht, an der Börse handeln Personen,
die nicht bloß in andern Stellungen Schiffbruch erlitten haben, sondern die
mit einem Makel der schlimmsten Art behaftet sind. Nach französischem Recht
gilt ein falliter Kaufmann, bevor er nicht durch volle Bezahlung seiner Gläubiger
rehabilitirt ist, für unfähig an der Börse zu erscheinen, in Deutschland dauert
der Ausschluß uur während des Konkurses, denn die moderne Gesetzgebung in
ihrer überströmenden Humanität hat auch noch die letzten Reste der Ehrcn-
minderung beseitigt, welche mit dem schuldvollen Zusammenbruch eines Geschäfts
verbunden waren. Ist es bei einem solchen Publikum, welches ohne Kontrole
wirtschaften kann, zu verwundern, wenn Dinge vorkommen, die nicht bloß un¬
lauter sind, sondern oft auch die strafrechtlichen Grenzen überschreiten? In
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/50>, abgerufen am 26.05.2024.