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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

geben, und hatte beinahe täglich dem stillschweigenden Wunsche des treuen Andrew
nachgeben und ihn, den Austrag geben wollen, die Koffer zu packen. Nun sollte
die Vernunft siegen. Er wollte nicht länger mit der Gefahr scherzen, denn gestern
hatte er erkannt, daß es eine Gefahr gab. Männlich entschlossen wollte er den
Zauberkreis durchbrechen, wollte den Atlantischen Ozean zwischen sich und ein
bestrickendes, unerreichbares Bild höchster Seligkeit bringen.

Ja, mein gnädiges Fräulein, sagte er mit fester Stimme, ich denke morgen
aufzubrechen. Die Zeit, welche ich mir vorgesetzt hatte, ist verstrichen, und ich
kann mit leidlich gutem Gewissen hinsichtlich der benutzten malerischen Punkte
dieses Gestades abziehen. Daheim, das heißt am Hudson, werde ich meine
Staffelei in dem verlassenen Hause meiner lieben seligen Mutter aufstellen und
werde versuchen, nach den Motiven, die ich mir aus Italien und von hier ge¬
holt habe, einiges auszuführen. Wenn die Herren und Damen der fünften
Avenue nur halb so viel Geschmack an der Abbildung Ihres Schlosses finden
wie ich an dem Original, so kann ich mein Glück machen.

Eberhard: wunderte sich selbst, indem er so sprach, über deu eigentümlichen
Ton seiner Worte. Sie klangen fremdartig modulirt. Und er hatte ein schmerz¬
haftes Gefühl, indem er so die Entscheidung herbeiführte und vor sich eine
Zukunft ohne lebhaftes Interesse, ohne Hoffnung vor sich auftauchen sah, gleich
der grauen Unermeßlichkeit von Meer und Himmel, die er vorhin auf dem
Thurme des gräflichen Einsiedlers vor sich gesehen hatte, ehe der Wind den
Nebel zerriß.

Er hatte, während er sprach, den Blick liber den Kopf des Pferdes hinweg
auf den Weg vor sich gerichtet und seine Begleiterin nicht angesehen. Als sie
aber nichts erwiederte und die Tiere wieder hundert Schritte nebeneinander
gegangen waren, ohne daß ein andres Geräusch zu hören war als der matte
Hufschlag und das leise Knirschen von Zaumzeug und Gebiß, da blickte er seitwärts
zu Dorothea hin, und seine Augen begegneten den ihren.

Es lag ein so besondrer Ausdruck darin, daß es ihn durchschauerte. Ihrer
lebenskräftigen Natur war das Verstecken der tiefsten und heiligsten Empfindungen
fremd, und als sie jetzt mit innigem und glühendem Mitgefühl an den freudlosen
und vom Geschick verfolgte" Künstler dachte, dessen Gedanken sie aus der Art,
wie er sprach, noch mehr als aus seiner Rede selbst herauslas, da erkannte
Eberhard: mit der Sicherheit des verwandten Geistes die Bedeutung ihres
Schweigens und verstand die Sprache ihrer Augen.

Eine unbesiegliche Macht löste seine Selbstbeherrschung in ein seliges Gefühl
auf, und leise tönte von seinen Lippen das Wort: Dorothea!




Die Grafen von Altenschwerdt.

geben, und hatte beinahe täglich dem stillschweigenden Wunsche des treuen Andrew
nachgeben und ihn, den Austrag geben wollen, die Koffer zu packen. Nun sollte
die Vernunft siegen. Er wollte nicht länger mit der Gefahr scherzen, denn gestern
hatte er erkannt, daß es eine Gefahr gab. Männlich entschlossen wollte er den
Zauberkreis durchbrechen, wollte den Atlantischen Ozean zwischen sich und ein
bestrickendes, unerreichbares Bild höchster Seligkeit bringen.

Ja, mein gnädiges Fräulein, sagte er mit fester Stimme, ich denke morgen
aufzubrechen. Die Zeit, welche ich mir vorgesetzt hatte, ist verstrichen, und ich
kann mit leidlich gutem Gewissen hinsichtlich der benutzten malerischen Punkte
dieses Gestades abziehen. Daheim, das heißt am Hudson, werde ich meine
Staffelei in dem verlassenen Hause meiner lieben seligen Mutter aufstellen und
werde versuchen, nach den Motiven, die ich mir aus Italien und von hier ge¬
holt habe, einiges auszuführen. Wenn die Herren und Damen der fünften
Avenue nur halb so viel Geschmack an der Abbildung Ihres Schlosses finden
wie ich an dem Original, so kann ich mein Glück machen.

Eberhard: wunderte sich selbst, indem er so sprach, über deu eigentümlichen
Ton seiner Worte. Sie klangen fremdartig modulirt. Und er hatte ein schmerz¬
haftes Gefühl, indem er so die Entscheidung herbeiführte und vor sich eine
Zukunft ohne lebhaftes Interesse, ohne Hoffnung vor sich auftauchen sah, gleich
der grauen Unermeßlichkeit von Meer und Himmel, die er vorhin auf dem
Thurme des gräflichen Einsiedlers vor sich gesehen hatte, ehe der Wind den
Nebel zerriß.

Er hatte, während er sprach, den Blick liber den Kopf des Pferdes hinweg
auf den Weg vor sich gerichtet und seine Begleiterin nicht angesehen. Als sie
aber nichts erwiederte und die Tiere wieder hundert Schritte nebeneinander
gegangen waren, ohne daß ein andres Geräusch zu hören war als der matte
Hufschlag und das leise Knirschen von Zaumzeug und Gebiß, da blickte er seitwärts
zu Dorothea hin, und seine Augen begegneten den ihren.

Es lag ein so besondrer Ausdruck darin, daß es ihn durchschauerte. Ihrer
lebenskräftigen Natur war das Verstecken der tiefsten und heiligsten Empfindungen
fremd, und als sie jetzt mit innigem und glühendem Mitgefühl an den freudlosen
und vom Geschick verfolgte« Künstler dachte, dessen Gedanken sie aus der Art,
wie er sprach, noch mehr als aus seiner Rede selbst herauslas, da erkannte
Eberhard: mit der Sicherheit des verwandten Geistes die Bedeutung ihres
Schweigens und verstand die Sprache ihrer Augen.

Eine unbesiegliche Macht löste seine Selbstbeherrschung in ein seliges Gefühl
auf, und leise tönte von seinen Lippen das Wort: Dorothea!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/548>, abgerufen am 27.05.2024.