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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die erste Woche des neuen Ministeriums in Frankreich,

hier verdient doch bemerkt zu werden, daß auf das Gesetz von 1834 rasch ein
ministerielles Rundschreiben folgte, welches erklärte, die Klausel, die sich auf die
Miss su mal-aetivitg p^r rstrait Ä'ömxloi bezog, solle nur auf solche Offiziere
Anwendung finden, welche sich Ungehörigsten oder Vernachlässigung der Di¬
sziplin zu schulden komme" lassen oder sich unfähig erwiesen hätten, ihre dienst¬
lichen Obliegenheiten zu erfüllen, und nichts von alledem ist den genannten
Prinzen vorzuwerfen. Zu der hierin liegenden Unbilligkeit kommt aber noch das
entschieden Unlogische, das in der Maßregel liegt. Weil der Prinz Napoleon
eine Proklamation erlassen hat, in welcher er eine Republik anklagt und ver¬
urteilt, die eingestandenermaßen nach dem Vorbilde einer konstitutionellen Mon¬
archie geschaffen worden ist, treibt die Regierung des Präsidenten Grevy die
Prinzen des Hauses Orleans, welche als Vertreter der konstitutionellen Freiheit
in Frankreich gelten können, aus den Reihen der französischen Armee. Dazu
tritt endlich noch ein drittes. Dem jüngsten Staatsmann, dem unerfahrensten
Sachwalter sollte klar sein, daß ein Verschwörer, dessen Treiben von seinen offi¬
ziellen Vorgesetzten und Untergebenen überwacht werden kann, weit weniger ge¬
fährlich sein wird, als derselbe Mann, wenn er als Privatmann im Lande lebt.
Die königlichen Prinzen, denen man ihre Posten entzogen hat, mögen sich unter
ihren Kameraden Freunde erworben haben (namentlich der Herzog de Chartres
scheint bei seinem Regimente beliebt gewesen zu sein), dennoch werden sie in
einer demokratischen Gesellschaft mindestens ebensoviel Neider und Gegner ge¬
habt haben, und es werden in ihrer unmittelbaren Umgebung zahlreiche Auf¬
passer gewesen sein, die bereit gewesen wären, jede verdächtige Bewegung der
Herren bei der Behörde anzuzeigen. Aber in der ganzen unerfreulichen Ange¬
legenheit hat man die Stimme der Vernunft niemals zu ihrem Rechte kommen
sehen, sondern immer nur den Ruf der Beängstigung -- ein schlimmes Zeugnis
für die Überzeugung der herrschenden Partei von der Festigkeit ihrer Republik!
Blicken wir zurück. Prinz Napoleon erläßt sein Manifest. Floquet schlägt
Alarm darüber, und die erschrockene Mehrheit der Deputirten folgt ihm wie eine
Herde. Der einzige, welcher von der Wirkung des Geschreis: "Der Wolf!
Der Wolf!" profitirt, ist der Prinz Napoleon. Er greift die Republik an, und
das Ministerium fällt über den Haufen. Mehrere Wochen bleibt Frankreich
ohne Regierung, und die erste Amtshandlung des neuen Kabinets besteht darin,
daß es die von der imperialistischen Partei am bittersten gehaßten Persönlich¬
keiten ihr aus dem Wege räumt und sich die Freunde der letztern durch einen
Willkürakt entfremdet. In der That, das Kabinet Ferry konnte für den Prinzen
Plon-Plon kaum viel mehr thun.

Wie die Monarchisten darüber denken, ersehen wir aus dem ^iZg-ro, der
in jeder Nummer eine Fülle von Spott über den Präsidenten der Republik
ausgießt. In einem Artikel der letzten Woche heißt es u. a. von ihm: "Er
wartete auf keine Anklage vom Brigadegeneral, auf kein Dokument, keinen Be-


Die erste Woche des neuen Ministeriums in Frankreich,

hier verdient doch bemerkt zu werden, daß auf das Gesetz von 1834 rasch ein
ministerielles Rundschreiben folgte, welches erklärte, die Klausel, die sich auf die
Miss su mal-aetivitg p^r rstrait Ä'ömxloi bezog, solle nur auf solche Offiziere
Anwendung finden, welche sich Ungehörigsten oder Vernachlässigung der Di¬
sziplin zu schulden komme» lassen oder sich unfähig erwiesen hätten, ihre dienst¬
lichen Obliegenheiten zu erfüllen, und nichts von alledem ist den genannten
Prinzen vorzuwerfen. Zu der hierin liegenden Unbilligkeit kommt aber noch das
entschieden Unlogische, das in der Maßregel liegt. Weil der Prinz Napoleon
eine Proklamation erlassen hat, in welcher er eine Republik anklagt und ver¬
urteilt, die eingestandenermaßen nach dem Vorbilde einer konstitutionellen Mon¬
archie geschaffen worden ist, treibt die Regierung des Präsidenten Grevy die
Prinzen des Hauses Orleans, welche als Vertreter der konstitutionellen Freiheit
in Frankreich gelten können, aus den Reihen der französischen Armee. Dazu
tritt endlich noch ein drittes. Dem jüngsten Staatsmann, dem unerfahrensten
Sachwalter sollte klar sein, daß ein Verschwörer, dessen Treiben von seinen offi¬
ziellen Vorgesetzten und Untergebenen überwacht werden kann, weit weniger ge¬
fährlich sein wird, als derselbe Mann, wenn er als Privatmann im Lande lebt.
Die königlichen Prinzen, denen man ihre Posten entzogen hat, mögen sich unter
ihren Kameraden Freunde erworben haben (namentlich der Herzog de Chartres
scheint bei seinem Regimente beliebt gewesen zu sein), dennoch werden sie in
einer demokratischen Gesellschaft mindestens ebensoviel Neider und Gegner ge¬
habt haben, und es werden in ihrer unmittelbaren Umgebung zahlreiche Auf¬
passer gewesen sein, die bereit gewesen wären, jede verdächtige Bewegung der
Herren bei der Behörde anzuzeigen. Aber in der ganzen unerfreulichen Ange¬
legenheit hat man die Stimme der Vernunft niemals zu ihrem Rechte kommen
sehen, sondern immer nur den Ruf der Beängstigung — ein schlimmes Zeugnis
für die Überzeugung der herrschenden Partei von der Festigkeit ihrer Republik!
Blicken wir zurück. Prinz Napoleon erläßt sein Manifest. Floquet schlägt
Alarm darüber, und die erschrockene Mehrheit der Deputirten folgt ihm wie eine
Herde. Der einzige, welcher von der Wirkung des Geschreis: „Der Wolf!
Der Wolf!" profitirt, ist der Prinz Napoleon. Er greift die Republik an, und
das Ministerium fällt über den Haufen. Mehrere Wochen bleibt Frankreich
ohne Regierung, und die erste Amtshandlung des neuen Kabinets besteht darin,
daß es die von der imperialistischen Partei am bittersten gehaßten Persönlich¬
keiten ihr aus dem Wege räumt und sich die Freunde der letztern durch einen
Willkürakt entfremdet. In der That, das Kabinet Ferry konnte für den Prinzen
Plon-Plon kaum viel mehr thun.

Wie die Monarchisten darüber denken, ersehen wir aus dem ^iZg-ro, der
in jeder Nummer eine Fülle von Spott über den Präsidenten der Republik
ausgießt. In einem Artikel der letzten Woche heißt es u. a. von ihm: „Er
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[0554] Die erste Woche des neuen Ministeriums in Frankreich, hier verdient doch bemerkt zu werden, daß auf das Gesetz von 1834 rasch ein ministerielles Rundschreiben folgte, welches erklärte, die Klausel, die sich auf die Miss su mal-aetivitg p^r rstrait Ä'ömxloi bezog, solle nur auf solche Offiziere Anwendung finden, welche sich Ungehörigsten oder Vernachlässigung der Di¬ sziplin zu schulden komme» lassen oder sich unfähig erwiesen hätten, ihre dienst¬ lichen Obliegenheiten zu erfüllen, und nichts von alledem ist den genannten Prinzen vorzuwerfen. Zu der hierin liegenden Unbilligkeit kommt aber noch das entschieden Unlogische, das in der Maßregel liegt. Weil der Prinz Napoleon eine Proklamation erlassen hat, in welcher er eine Republik anklagt und ver¬ urteilt, die eingestandenermaßen nach dem Vorbilde einer konstitutionellen Mon¬ archie geschaffen worden ist, treibt die Regierung des Präsidenten Grevy die Prinzen des Hauses Orleans, welche als Vertreter der konstitutionellen Freiheit in Frankreich gelten können, aus den Reihen der französischen Armee. Dazu tritt endlich noch ein drittes. Dem jüngsten Staatsmann, dem unerfahrensten Sachwalter sollte klar sein, daß ein Verschwörer, dessen Treiben von seinen offi¬ ziellen Vorgesetzten und Untergebenen überwacht werden kann, weit weniger ge¬ fährlich sein wird, als derselbe Mann, wenn er als Privatmann im Lande lebt. Die königlichen Prinzen, denen man ihre Posten entzogen hat, mögen sich unter ihren Kameraden Freunde erworben haben (namentlich der Herzog de Chartres scheint bei seinem Regimente beliebt gewesen zu sein), dennoch werden sie in einer demokratischen Gesellschaft mindestens ebensoviel Neider und Gegner ge¬ habt haben, und es werden in ihrer unmittelbaren Umgebung zahlreiche Auf¬ passer gewesen sein, die bereit gewesen wären, jede verdächtige Bewegung der Herren bei der Behörde anzuzeigen. Aber in der ganzen unerfreulichen Ange¬ legenheit hat man die Stimme der Vernunft niemals zu ihrem Rechte kommen sehen, sondern immer nur den Ruf der Beängstigung — ein schlimmes Zeugnis für die Überzeugung der herrschenden Partei von der Festigkeit ihrer Republik! Blicken wir zurück. Prinz Napoleon erläßt sein Manifest. Floquet schlägt Alarm darüber, und die erschrockene Mehrheit der Deputirten folgt ihm wie eine Herde. Der einzige, welcher von der Wirkung des Geschreis: „Der Wolf! Der Wolf!" profitirt, ist der Prinz Napoleon. Er greift die Republik an, und das Ministerium fällt über den Haufen. Mehrere Wochen bleibt Frankreich ohne Regierung, und die erste Amtshandlung des neuen Kabinets besteht darin, daß es die von der imperialistischen Partei am bittersten gehaßten Persönlich¬ keiten ihr aus dem Wege räumt und sich die Freunde der letztern durch einen Willkürakt entfremdet. In der That, das Kabinet Ferry konnte für den Prinzen Plon-Plon kaum viel mehr thun. Wie die Monarchisten darüber denken, ersehen wir aus dem ^iZg-ro, der in jeder Nummer eine Fülle von Spott über den Präsidenten der Republik ausgießt. In einem Artikel der letzten Woche heißt es u. a. von ihm: „Er wartete auf keine Anklage vom Brigadegeneral, auf kein Dokument, keinen Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/554>, abgerufen am 17.06.2024.